Wasserstoff beeinflusst Eigenschaften von Supraleitern
Die Suche nach vielversprechenden Supraleitern, die auch bei hoher Temperatur elektrischen Strom ohne Widerstand leiten können, gestaltet sich schwierig. Forscher der Technischen Universität Wien (TU Wien) haben nun herausgefunden, dass Wasserstoff die elektronischen Eigenschaften der Supraleiter beeinflusst.
„Hochtemperatur-Supraleitung ist ein äußerst komplexes und schwieriges Forschungsgebiet“, betont Karsten Held, Professor am Institut für Festkörperphysik der TU Wien. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass eine Gruppe Wissenschaftler aus Stanford spektakuläre Ergebnisse veröffentlichte, die aber von keinen anderen Forschern reproduziert und damit auch nicht bestätigt werden konnten. Das Team aus Stanford hatte im Sommer 2019 ein neues Zeitalter für die Hochtemperatur-Supraleitung in Aussicht gestellt. Die Wissenschaftler begründeten dies mit der Entdeckung sogenannter Nickelaten, einer besonderen Klasse von Materialien, die Eigenschaften von Supraleitern aufwiesen. Sie könnten also auch bei hohen Temperaturen ohne jeden Widerstand elektrischen Strom leiten.
Forscher der TU Wien fanden nun heraus, warum sich die Ergebnisse aus den USA nicht wiederholen ließen. Das liege daran, dass bei manchen Nickelaten zusätzliche Wasserstoffatome in die Struktur des Materials eingebaut werden. Durch diese Zugabe ändere sich das Verhalten des Materials. Diesen Effekt müsse man deshalb bei der Herstellung neuer Supraleiter entsprechend berücksichtigen.
Empfänglich für Wasserstoff
„Lange Zeit konzentrierte man sich ganz besonders auf sogenannte Cuprate, also kupferhaltige Verbindungen. Man spricht daher auch vom Kupfer-Zeitalter“, erklärt Karsten Held. „Mit ihnen gelangen einige wichtige Fortschritte, auch wenn es in der Theorie der Hochtemperatur-Supraleitung bis heute viele offene Fragen gibt.“ Forscher hatten in der Vergangenheit herausgefunden, dass manche Materialien nur nahe dem absoluten Temperatur-Nullpunkts eine supraleitende Funktion aufweisen. Diese sind für technische Anwendungen aufgrund dessen jedoch gar nicht einsetzbar. Jahrzehntelang haben Wissenschaftler deshalb nach Materialien gesucht, die auch bei höheren Temperaturen diese besondere Eigenschaft mitbringen. Entdeckt wurden in den 1980er-Jahren sogenannte „Hochtemperatur-Supraleiter“. Wobei der Name irreführend ist, weil auch die Hochtemperatur-Supraleiter stark gekühlt werden müssen, um ihre besonderen supraleitenden Eigenschaften zu erhalten. Den Forschern allerdings war es wichtig, auch Supraleiter bei höheren Temperaturen ausfindig zu machen.
Bei diesen Forschungen konzentrierte man sich erstmals auf eisenhaltige Supraleiter. Daraus resultierte auch das Ergebnis der Stanford-Wissenschaftler. An der TU Wien analysierte man nun die Nickelate mit Hilfe von Supercomputern. Dabei kam heraus: Sie sind extrem empfänglich für Wasserstoff. Wasserstoffatome können beispielsweise bei der Synthese in bestimmte Nickelate eingebaut werden. Die Folge: Die elektronischen Eigenschaften des Materials ändern sich vollständig. „Allerdings passiert das nicht bei allen Nickelaten“, sagt Liang Si von der TU Wien. „Unsere Berechnungen zeigen, dass es bei den meisten von ihnen energetisch günstiger ist, Wasserstoff einzubauen, bei den Nickelaten aus Stanford allerdings nicht. Auch geringfügige Änderungen der Synthesebedingungen können einen Unterschied ausmachen.“ Eine Gruppe Forscher von der National University of Singapore (NUS Singapore) nutzte am 24. April 2020 diese Erkenntnisse von der TU Wien, um supraleitende Nickelate herzustellen. Dies gelang, da sie schon bei der Produktion den freiwerdenden Wasserstoff entweichen ließen.
Supercomputer helfen dabei, Supraleiter zu finden
Um weiter an den Eigenschaften von Nickelaten forschen, sie besser verstehen und vorhersagen zu können, entwickeln und verwenden die Wissenschaftler an der TU Wien neue Computerberechnungsmethoden. „Nachdem hier eine große Zahl quantenphysikalischer Teilchen gleichzeitig eine Rolle spielt, sind Rechnungen extrem aufwendig“, erklärt Liang Si. „Durch die Kombination verschiedener Methoden gelingt es uns nun aber sogar, die kritische Temperatur abzuschätzen, bis zu der die verschiedenen Materialien supraleitend sind. Solche zuverlässigen Berechnungen waren bisher nicht möglich.“ Konkret berechnete das Team, in welchem Bereich sich die Konzentration von Strontium in den Nickelaten bewegen darf, damit eine Supraleitung möglich wird. In einem weiteren Experiment hat es diese Vorhersagen bestätigen können. Karsten Held wagt nach den Erfolgen einen Blick in die Zukunft: „Durch die neuen Nickelat-Supraleiter sowie unser theoretisches Verständnis und die Vorhersagekraft der Computerrechnungen eröffnet sich eine ganz neue Perspektive, dem großen Traum der Festkörperphysik näher zu kommen: einem Supraleiter bei Umgebungstemperatur, also ohne Kühlung.“
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