Wer eine Gewehrkugel im Flug vermisst, kann auch autonom fahren
So schnell wie die Ingenieure am Forschungsinstitut KIT in Karlsruhe hat noch nie jemand eine Gewehrkugel im Flug vermessen. Noch nie so schnell und so genau. Wofür das gut ist? Wer autonom fahren will, der muss auch die Umgebung ultraschnell erfassen können.
Jedes Detail auf der Oberfläche ist zu sehen, jeder Kratzer, jede Verformung. Und das im Flug. Bei einem Tempo von 150 Metern pro Sekunde ist es KIT-Forschern gelungen, eine Gewehrkugel genau zu vermessen. Bei diesem Tempo von 540 km/h ist das in dieser Genauigkeit noch niemandem gelungen.
Was zunächst aussieht wie ein nutzloser Rekordversuch, hat außerordentliche Auswirkungen. Das Verfahren lässt sich beispielsweise zur 100-prozentigen Qualitätskontrolle nutzen. Jedes Produkt lässt sich im Bruchteil einer Sekunde auf Fehler überprüfen. Heute sind meist nur Stichproben möglich.
Vielleicht noch wichtiger: Es lässt sich auch zum Navigieren einsetzen, also in autonom oder teilautonom fahrenden Autos. Da die Apparatur kaum größer als eine Streichholzschachtel ist und mit den gleichen Techniken hergestellt wird wie Chips, lässt sie sich überall einsetzen, wo es drauf ankommt, blitzschnell ein Bild von der jeweiligen Lage zu bekommen.
Deutsch-schweizerische Teamarbeit
Das Kunststück gelang zwei Forscherteams aus Karlsruhe und Lausanne. Die Leitung auf deutscher Seite hat Professor Christian Koos vom Institut für Photonik und Quantenelektronik (IPQ) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). An der Spitze der Schweizer Gruppe steht Professor Tobias Kippenberg von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Die Forscher entwickelten eine neuartige Lichtquelle, mit der die zu messenden Objekte abgetastet werden.
Das Verfahren ähnelt Lidar, einer lasergestützten Abtastmethode, die für so unterschiedliche Aufgaben wie die Messung von Regenmengen oder die Navigation von Fahrzeugen eingesetzt wird. Der Unterschied zu der neuen Methode liegt darin, dass diese um ein Vielfaches schneller ist.
Laserpulse tasten die Objekte ab
Laserlicht erzeugt in so genannten Mikroresonatoren optische Frequenzkämme, also Licht, das eine Vielzahl präzise definierter Wellenlängen beinhaltet – das Spektrum erinnert in einem Diagramm dargestellt an die Zinken eines Kammes. Diese werden als unvorstellbar kurze, schnell aufeinander folgende Pulse auf das zu messende Objekt geschossen. Kennt man die Struktur eines solchen Kammes, kann das Interferenzmuster bei der Überlagerung mit einem zweiten Frequenzkamm genutzt werden, um die vom Licht zurückgelegte Strecke zu bestimmen. Die ultrakurzen Pulse werden Solitonen genannt.
„Wir haben äußerst verlustarme optische Mikroresonatoren entwickelt, in denen sich sehr hohe optische Intensitäten erzeugen lassen – eine Grundvoraussetzung für die Solitonen-Frequenzkämme“, sagt Kippenberg. Am KIT ist das Know-how zur Nutzung von Solitonen beheimatet. „Wir haben uns in den letzten Jahren intensiv mit Verfahren zur ultra-schnellen Terabit-Kommunikation mit Solitonen-Frequenzkämmen aus Mikroresonatoren befasst“, sagt Koos. Die Erfahrungen, die sein Team dabei machte, übertrugen die Forscher auf ein anderes Forschungsgebiet, in dem sie arbeiten, die optische Distanzmessung.
Resonatoren sind schon kommerziell erhältlich
Ehe das Messen mit Solitonen einsatzfähig ist, müssen noch einige Probleme gelöst werden. Bisher funktioniert es nur bei Entfernungen von weniger als einem Meter, viel zu wenig also für die Navigation. Außerdem erzeugt es so viele Daten, dass gängige Mikroprozessoren für die Verarbeitung nicht ausreichen. Mag sein, dass auch andere Forscher in diesem Bereich Erfolge feiern, denn die Mikroresonatoren werden von Ligentec bereits hergestellt, einer Ausgründung aus der EPFL.
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