Lebensnahe mikroelektronische Systeme 12.10.2023, 10:42 Uhr

Wie „Lebende Technologien“ unsere Zukunft nachhaltig verändern

Lebensnahe mikroelektronische Systeme werden in Zukunft eine immer größere Bedeutung erlangen und einen ganz neuen Blick auf Nachhaltigkeit ermöglichen. Forschende der TU Chemnitz zeigen im renommierten Fachjournal „Advanced Materials“ das Innovationspotenzial dieser Entwicklung auf.

künstliche Organismen

Künstliche Organismen können erstaunliche Fähigkeiten entwickeln und die Zukunft nachhaltiger machen.

Foto: Forschungszentrum MAIN / TU Chemnitz

Elektronische Geräte wie Autos, Batterien, Smartphones, Haushaltsgeräte und Industrieroboter werden immer komplexer, gleichzeitig sinken die Entwicklungs- und Lebenszyklen. Das steht im krassen Gegensatz zu einer Welt mit begrenzten Ressourcen. Das erfordert ein neues Denken und Handeln. Hier lohnt sich ein Blick auf die Natur. Die Natur bietet nachhaltige Lösungen für komplexe Herausforderungen, selbst unter Ressourcenbeschränkungen. Ein prägnantes Beispiel dafür sind lebende Organismen auf Zellbasis: Sie können enorme Menge an Informationen in ihrer DNA speichern, sich kontinuierlich optimieren und bei Bedarf sogar selbstständig abbauen.

Lebende Technologien nutzbar machen

Das spannende Forschungsgebiet der „Lebenden Technologien“ befasst sich intensiv mit den zentralen Eigenschaften des Lebens, um sie sowohl technologisch als auch ökologisch zu nutzen. Ein Schlüsselaspekt dabei ist die Mikroelektronische Morphogenese: Hierbei geht es um die Entwicklung von Organismen auf mikroelektronischer Ebene, wie in der Mikrorobotik. Dies verbindet modernste Technologie und Ressourceneffizienz mit innovativen Anwendungsgebieten wie der Biomedizin.

Das Forschungszentrum für Materialien, Architekturen und Integration von Nanomembranen (MAIN) der Technischen Universität Chemnitz (TUC) ist international und transdisziplinär in diesem Sektor tätig. Als Mitglied des renommierten European Centre for Living Technology (ECLT) in Venedig zählt das Forschungszentrum weltweit zu den führenden Akteuren in diesem Bereich.

In einem aktuellen Artikel in der Fachzeitschrift „Advanced Materials“ mit dem Titel „Microelectronic Morphogenesis: Smart Materials with Electronics Assembling into Artificial Organisms“ bieten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungszentrums MAIN erstmals einen tiefgehenden Einblick in die Fortschritte der „Lebenden Technologien“. Sie betonen dabei das Potenzial und die Bedeutung dieser Technologien für einen nachhaltigen Umgang mit technologischen Ressourcen. Den Beitrag können Sie hier nachlesen.

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Robotikmodule werden zu künstlichen Organismen

Im Bereich der Mikroelektronischen Morphogenese zeigen die Autoren auf, dass weiche Robotikmodule, auch als „Smartlets“ bezeichnet, bald dazu fähig sein werden, sich eigenständig zu komplexen Systemen, den sogenannten künstlichen Organismen, zusammenzusetzen.

Smartlets sind aus flexiblen Mikromodulen gefertigt, die mit kleinen Silizium-Chips, den sogenannten Chiplets, bestückt sind. Diese Ausstattung ermöglicht es den Smartlets nicht nur, Informationen über diverse Funktionen zu bewahren, sondern auch Produktionsanweisungen, die als elektronische Genome bezeichnet werden, zu kodieren. So können sich Smartlets ähnlich wie Zellen reproduzieren und weiterentwickeln. Zudem sind die Chiplets mit neuromorphen Lernfunktionen ausgerüstet, wodurch die Smartlets ihre Effizienz kontinuierlich und evolutionär steigern können.

Zwischen den Smartlets entstehen sowohl fluidische als auch elektrische Verbindungen. Diese Verknüpfungen ermöglichen es den Chiplets, den Zustand des Gesamtsystems zu erkennen. Dadurch können sie Reparaturen initiieren, Montagefehler beheben, Demontageprozesse starten und übergreifende Funktionen zwischen den einzelnen Smartlets koordinieren. Dazu zählen erweiterte Kommunikationsfähigkeiten wie Antennen, Energieverwaltung (Speicherung, Erzeugung und Verteilung), Fernerkundung und die Umlagerung von Materialien.

Smartlet

Ein sich auf einer Oberfläche selbst-faltendes mikroelektronisches Modul (Smartlet), das eine Fülle von Funktionen integrieren kann, zum Beispiel: Energieversorgung, Aktorik, Sensorik und Kommunikationsfähigkeiten.

Foto: Forschungszentrum MAIN / TU Chemnitz

Besteht die Gefahr einer unkontrollierten Vermehrung?

Vor dem Hintergrund, dass Smartlets relativ selbstständig agieren, stellt sich dem Laien natürlich die Frage, ob eine unkontrollierte Vermehrung möglich ist. Was dann einige Fragen hinsichtlich Sicherheit und Verantwortung aufwerfen würde. Die Autoren der Studie geben jedoch Entwarnung. Während sich natürliche Organismen in der Umwelt frei vermehren können, da sie aus biologischen Substanzen bestehen, kann dies bei Smartlets nicht passieren. Ihre essenziellen Silizium-Komponenten können nur unter menschlicher Kontrolle in spezialisierten Halbleiterfabriken hergestellt werden.

Die detaillierte digitale Erfassung der Eigenschaften von Smartlets auf den Chiplets erlaubt das Auslesen des Materialgehalts, des Urhebers sowie aller umweltrelevanten Aspekte der künstlichen Organismen. Dazu meint Prof. Dr. Dagmar Gesmann-Nuissl, Leiterin der Professur für Privatrecht und Recht des geistigen Eigentums an der TUC: „Diese feinkörnige Dokumentation der Verantwortung bis in den mikroskopischen Bereich hinein wird die rechtliche Zuordnung von ökologischer und sozialer Verantwortung für unsere technischen Errungenschaften grundlegend verändern.“

Smartlets können sich selbst recyclen

Dank ihrer Fortbewegungs-, Wahrnehmungs- und Selbstorganisationsfähigkeiten können sich Smartlets eigenständig für Recycling-Zwecke sortieren. Sie können zudem zurückgewonnen, wiederverwendet und für unterschiedliche künstliche Organismen in neuen Konfigurationen genutzt werden.

Dazu äußert sich Prof. Dr. Marlen Gabriele Arnold, Leiterin der Professur BWL – Betriebliche Umweltökonomie und Nachhaltigkeit an der TUC: „Selbst bei einer großen Materialmenge könnten diese Eigenschaften dieser Technologie ein bisher nicht gekanntes Maß an Nachhaltigkeit verleihen und die Messlatte für künftige Technologien und deren Einsatz im Einklang mit den Ressourcen unseres Planeten sehr hoch legen.“

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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