30 Prozent Energie einsparen – ohne Fassadendämmung und Fenstertausch
Dass Wohngebäude und Gewerbeimmobilien weniger Energie verbrauchen als bisher, ist ein wichtiger Teil zur Erreichung der Klimaneutralität. Die Digitalisierung kann dabei helfen. Vor allem Gewerbeimmobilien profitieren davon schon heute.
Klimaneutral bis 2045 – wenn diese Vorgabe eingehalten werden soll, müssen auch alle rund 19 Millionen Wohn- und zwei Millionen beheizte Nichtwohngebäude in Deutschland bis dahin klimaneutral betrieben werden.
Neue Fenster, gedämmte Kellerdecken, Fassaden und Dächer, Wärmepumpen statt Gas- und Ölkessel, Hybridheizungen: Spätestens seit der Diskussion um Energieeffizienzklassen von Gebäuden und dem neuen Gebäudeenergiegesetz sind diese Maßnahmen vielen bekannt. Was dagegen weniger im Gespräch ist: Die Potenziale, die Digitalisierung und optimierte Regelungen von Heizungen sowie Lüftungs- und Klimaanlagen bieten können.
Dabei sind sie enorm. Zwei Beispiele:
- Wenn in einem Wohnhaus die sehr hohe Vorlauftemperatur von 80 Grad reduziert wird (und eventuell mit etwas physischem Aufwand die Heizungsrohre im Keller gedämmt werden), lässt sich ohne energetische Sanierung und ohne neue Heizung viel Energie sparen. Der Energieberater und Bauingenieur Carsten Herbert aus Darmstadt sagt: Je nach Szenario sind so Einsparungen in der Größenordnung 20 Prozent möglich.
- Ein Tagungsraum in einem Hotel wird standardmäßig auf 21 Grad temperiert, auch wenn er leer ist. Findet eine Veranstaltung statt, wird es plötzlich viel zu warm, denn jeder Mensch bringt eine Heizleistung von rund 100 Watt mit. Die Anlage heizt jetzt nicht mehr, sondern muss kühlen. „Hätte sie durch eine automatische Einbeziehung von Raumbelegungs- und Wetterprognosedaten gewusst, dass an dem Tag der Konferenzraum in Nutzung ist und es warm wird, hätte sie sich das anfängliche Heizen sparen können“, sagt Carsten Kreutze, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Recogizer, das sich um den optimalen Anlagenbetrieb von Gewerbeimmobilien kümmert.
In der Studie „Klimaschutz und Energieeffizienz durch digitale Gebäudetechnologien“ des Digitalverbands Bitkom heißt es: „Eine Optimierung der Betriebsführung von Heizungsanlagen für mehr Energieeffizienz wird oft nicht vorgenommen.“
Der Verband Bitkom geht davon aus, dass kurz- bis mittelfristig durch eine ebensolche Optimierung bis zu 14,7 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart werden können. Dies entspreche fast 30 Prozent des im Klimaschutzgesetz formulierten Reduktionsziels für den Gebäudesektor.
Zukunft bei der Anlagenregelung berücksichtigen
Tatsächlich gibt es schon länger funktionierende Lösungen am Markt. Das Bonner Greentech-Unternehmen Recogizer wurde 2014 gegründet und optimiert seitdem die Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen in Büros, Einkaufszentren, Hotels und Bildungseinrichtungen. Im Schnitt sparen die Gebäude so fast 30 Prozent Energie – ohne dass ein Fenster ausgetauscht oder eine Fassade gedämmt wurde.
Der Ansatz des Unternehmens: Die selbstlernende Reglung wird auf die bestehende Gebäudeautomation aufgesetzt, die dann anders arbeitet – nämlich nicht mehr nur messwertbasiert, sondern auch prognostisch. „Es gibt viele Daten, mithilfe derer man den Gebäudebetrieb vorausschauend optimieren kann, die üblicherweise aber nicht genutzt werden“, sagt der Recogizer-Geschäftsführer Carsten Kreutze. So berücksichtigt das System bei der Regelung zum Beispiel die Wettervorhersage, Sonnenscheindauer und -intensität, geplante Raumbelegungen, Öffnungszeiten, Besucherandrang und weitere.
Werden diese Daten beim Betrieb der Anlagen einbezogen, kann unter anderem auf einige Heiz- und/oder Kühlintervalle verzichtet werden. Denn ohne eine datengestützte und vorausschauende Regelung arbeiten Heiz- und Klimaanlagen oft ohne Nutzen gegeneinander.
Außerdem nutzt das Unternehmen die Möglichkeit der kontinuierlichen, automatischen Regelung. So wird die Klimatechnik alle 15 Minuten mit Updates versorgt – und das technische Facility Management wird entlastet, das in der Regel damit beauftragt ist, die Anlagen energieeffizient zu betreiben.
KI für private Heizungen
Andere Unternehmen verfolgen ebenfalls digitale Ansätze und entwickeln zum Beispiel smarte Heizkörperthermostate, die die manuellen Drehregler an Heizkörpern ersetzen. Auch das kann Energie einsparen – zum Beispiel, weil die Thermostate automatisch erkennen, ob und wann ein Raum in der Regel überhaupt genutzt wird.
Im Bereich der Ein- und Mehrfamilienhäuser ist die Optimierung aufwändiger, weil die Anlagen kleiner sind und der Zugriff auf diese schwieriger. Aber auch hier gibt es Ideen:
Das Forschungsprojekt SECAI zum Beispiel untersucht, wie digital und automatisiert die Heizungen in Privatwohnungen effizienter geregelt werden können, etwa durch eine KI-gestützte Anpassung der Heizungssteuerung.
Potenziale werden langsam erkannt
Dass mithilfe von Digitalisierung und optimalem Betrieb von Heizungen und Lüftungs- und Klimaanlagen viel Energie gespart werden kann, hat inzwischen auch die Politik erkannt – auch wenn sie kommunikativ bisher relativ wenig Beachtung fand.
Aber: Das neue (noch nicht beschlossene) Gebäudeenergiegesetz fordert unter anderem zu prüfen, „ob die einstellbaren technischen Parameter für den Betrieb der Anlage zur Wärmeerzeugung hinsichtlich der Energieeffizienz optimiert sind“. Hier geht es zum Beispiel um die Absenkung der Vorlauftemperatur. Speziell für Nichtwohngebäude formuliert das Gesetz einen „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“, um „die Potenziale für einen energetisch optimierten Gebäudebetrieb“ zu heben.
Und erst im Mai wurde das Kompetenzzentrum für Energieeffizienz durch Digitalisierung (KEDi) gegründet, das zur bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur gehört und sich zentral um das Thema kümmern soll. Im KEDi-Factsheet heißt es: „Digitale Technologien können einen großen Beitrag zur Energieeffizienzsteigerung im Gebäude- und Industriesektor leisten. Jedoch sind die Potenziale bisher branchenübergreifend nicht ausgeschöpft.“
Carsten Kreutze kann das bestätigen, sieht aber gleichzeitig ein stark wachsendes Bewusstsein und Interesse: „Immer mehr Kunden fangen mit einfach umsetzbaren und günstigen digitalen Lösungen zur Steigerung der Energieeffizienz an, bevor sie sich um weitere Effizienzmaßnahmen kümmern.“
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