95 % nachhaltig reichen aus: Warum „hellgrüner“ Wasserstoff besser ist
Wie grün muss Wasserstoff sein, damit wir unsere Klimaziele erreichen? Forschende haben berechnet, dass „fast nachhaltig“ besser ist als mit aller Macht die 100-Prozent-Marke anzupeilen.
Die Frage, ob nachhaltig produzierter Wasserstoff tatsächlich komplett grün sein muss, wird derzeit nicht nur in der Politik heftig diskutiert. Forschende der Hong Kong University of Science and Technology (HKUST) und der ETH Zürich haben am Beispiel der Produktion von Ammoniak und Kunstdünger berechnet, dass ein „nahezu nachhaltiger“ Ansatz insgesamt günstiger wäre. So ist es durchaus denkbar, dass zu einem gewissen Prozentsatz auch fossile Brennstoffe zur Wasserstoffproduktion eingesetzt werden, wenn nicht genügend Solar- oder Windstrom zur Verfügung steht.
Inhaltsverzeichnis
Berechnung am Beispiel von Ammoniak
Nachhaltig erzeugter Wasserstoff bietet enorme Chancen für die Energiewende. Er dient nicht nur als Energiespeicher oder Treibstoff für Lastwagen, sondern kann auch in der Industrie eingesetzt werden. Besonders in der Ammoniakproduktion spielt er eine bedeutende Rolle. Jährlich werden weltweit 180 Millionen Tonnen Ammoniak produziert, hauptsächlich für die Düngemittelindustrie.
Der dafür benötigte Wasserstoff wird derzeit aus Erdgas gewonnen, was hohe Treibhausgasemissionen verursacht und Abhängigkeiten von erdgasexportierenden Ländern verstärkt. Grüner Wasserstoff könnte eine saubere Alternative bieten, die diesen Nachteilen entgegenwirkt. Das Forschungsteam aus Hong Kong und Zürich hat sich in einer Studie die Bedingungen angeschaut, unter denen die Ammoniakproduktion auf grünen oder nahezu grünen Wasserstoff umgestellt werden könnte. Die Ergebnisse sind vielversprechend.
Mehrheitlich erneuerbarer Strom reicht aus
In Ländern wie Norwegen, Spanien, Ungarn und Polen ist es bereits heute wirtschaftlich möglich, Ammoniak aus grünem oder fast grünem Wasserstoff herzustellen. Diese Länder profitieren von günstigen geografischen Bedingungen, staatlicher Förderung und niedrigen Stromkosten. Der kostengünstige Strom aus Sonnen- oder Windenergie ermöglicht es, auf teure Speicherlösungen zu verzichten. Dies reduziert die Produktionskosten erheblich.
Die Studie zeigt auch, dass der Strom nicht vollständig fossilfrei sein muss, um erhebliche positive Klimaeffekte zu erzielen. Es ist sinnvoll, mehrheitlich erneuerbaren Strom zu nutzen. In Zeiten ohne ausreichend Sonnen- oder Windenergie kann Strom aus dem Netz bezogen werden, der teilweise aus fossilen Quellen stammt. Diese Flexibilität reduziert die Gesamtkosten der Wasserstoffproduktion.
Klimafreundliche Ammoniakproduktion
Stefano Mingolla, Hauptautor der Studie und Doktorand an der HKUST, arbeitete eng mit Giovanni Sansavini von der ETH Zürich zusammen. Sansavini betont, dass nahezu grüner Wasserstoff bei der Ammoniakproduktion besonders effektiv ist. Wasserstoff dient hier direkt als Rohstoff, ohne ineffiziente Energieumwandlungen. Die Berechnungen zeigen, dass die Treibhausgasemissionen der Ammoniakproduktion um 95 % gesenkt werden könnten, wenn der Wasserstoff nicht mehr als ein Kilogramm CO2 pro Kilogramm Wasserstoff freisetzt.
Zum Vergleich: Ein Kg Wasserstoff, das mit dem Schweizer Strommix hergestellt wird, verursacht 1,7 Kg CO2. Mit dem heutigen deutschen Strommix sind es 18 Kg CO2, mit dem niederländischen Strommix 16 Kg und mit dem polnischen Strommix 33 Kg. Diese Zahlen verdeutlichen das Potenzial, das in der Umstellung auf grünen Wasserstoff liegt.
Vollständige Dekarbonisierung: Eine Kostenfrage
Eine vollständige Dekarbonisierung der Wasserstoffproduktion wäre jedoch extrem teuer. Die letzten 5 % der Dekarbonisierung würden die Kosten nahezu verdoppeln. Sansavini warnt, dass übertriebene Ambitionen kontraproduktiv sein könnten, da sie die Energiewende durch zu hohe Kosten bremsen könnten. Stattdessen sollte man sich auf pragmatische und wirtschaftlich sinnvolle Lösungen konzentrieren.
Sansavini betont, dass Wasserstoff nicht im großen Stil mit Strom aus dem bestehenden Elektrizitätsnetz hergestellt werden wird. Die lokale Stromproduktion und die Netzübertragungskapazitäten wären dafür oft nicht ausreichend. Eine denkbare Lösung wäre der Bau neuer Solar- oder Windparks in unmittelbarer Nähe zu Ammoniakproduktionsanlagen. Dies würde den Flächenbedarf reduzieren und gleichzeitig die Stromversorgung sichern.
Kombinierte Landnutzung
In Regionen mit günstigen geografischen Bedingungen wie Südeuropa und der Atlantikküste ist der Flächenbedarf für neue Energieparks geringer. Eine kombinierte Landnutzung könnte hier eine effiziente Lösung bieten. Beispielsweise könnten Wind- oder Solarparks gleichzeitig landwirtschaftlich genutzt werden.
Obwohl grüner Wasserstoff in einigen Ländern bereits wettbewerbsfähig ist, bleibt seine Produktion im europäischen Durchschnitt teurer als die Herstellung aus Erdgas. Um grünen Wasserstoff überall konkurrenzfähig zu machen, sind weitere Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie wirtschaftliche Anreize notwendig. Die Definition von grünem Wasserstoff wird derzeit auch in der EU diskutiert. Laut der Studie wäre ein Restanteil von bis zu einem Kg CO2-Emissionen pro Kilogramm Wasserstoff akzeptabel und sinnvoll.
Quelle: ETH Zürich
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