Kernkraft 20.12.2024, 22:25 Uhr

Atomkatastrophen: Die schwersten Reaktorunfälle der Geschichte

Tschernobyl, Fukushima oder Harrisburg – wir blicken auf die schwersten Reaktorunfälle der Geschichten und schauen auch nach Deutschland.

Tschernobyl

Tschernobyl ist auch fast 40 Jahre nach der Katastrophe noch eine Geisterstadt und der Reaktor unter einem dicken Sargophag verborgen.

Foto: PantherMedia / zittto (YAYMicro)

Die Nutzung von Atomenergie ist ein zweischneidiges Schwert: Sie liefert saubere Energie mit geringen CO2-Emissionen, birgt aber erhebliche Risiken. Schwere Reaktorunfälle haben immer wieder gezeigt, dass technisches Versagen, menschliche Fehler und Naturkatastrophen verheerende Folgen haben können. Vor allem die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima prägen das Bild der Atomkraft bis heute. Doch auch weniger bekannte Vorfälle wie in Kyschtym oder Three Mile Island haben gezeigt, wie gefährlich diese Technologie sein kann.

Die INES-Skala: Ein globaler Maßstab für nukleare Ereignisse

Bevor wir zu den schlimmsten Atomkatastrophen kommen, schauen wir uns an, wie die Unfälle klassifiziert werden. Die International Nuclear Event Scale (INES) wurde 1990 von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) eingeführt, um nukleare Ereignisse nach ihrer Schwere einzuordnen. Sie dient als Kommunikationsmittel sowohl für Fachleute als auch für die Öffentlichkeit, indem sie die Komplexität solcher Vorfälle auf eine einfache Skala reduziert.

Aufbau der Skala:

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Die Skala reicht von 0 bis 7 und teilt Ereignisse in verschiedene Kategorien ein:

  • Stufe 0 („Abweichung“): Ereignisse ohne sicherheitstechnische Bedeutung.
  • Stufen 1–3 („Störfälle“): Ereignisse mit geringeren Auswirkungen, die keine Gefährdung der Öffentlichkeit darstellen.
  • Stufen 4–7 („Unfälle“): Schwere Ereignisse mit erheblichen Risiken für Mensch und Umwelt.

Bewertungskriterien Ereignisse werden anhand dreier Hauptkriterien bewertet:

  1. Auswirkungen auf Mensch und Umwelt: Wie viel radioaktives Material wurde freigesetzt, und welche Regionen sind betroffen?
  2. Beeinträchtigung radiologischer Barrieren: Sind Schutzmechanismen innerhalb der Anlage versagt?
  3. Beeinträchtigung der Sicherheitsvorkehrungen: Gab es Störungen im Betrieb oder Design des Reaktors?

Die schlimmsten Reaktorunfälle weltweit

Bevor wir uns Reaktorunfälle in Deutschland anschauen, blicken wir zunächst auf die schlimmsten Katastrophen in Atomkraftwerken weltweit. Wir haben sie eingangs bereits erwähnt, hier wollen wir etwas ausführlicher auf die einzelnen Unfälle eingehen.

Tschernobyl, Ukraine (1986)

Am 26. April 1986 kam es im Reaktor 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl zu einer Explosion, die eine der schwersten nuklearen Katastrophen der Geschichte auslöste. Der Unfall ereignete sich während eines geplanten Sicherheitstests, bei dem die Reaktortemperatur außer Kontrolle geriet. Eine Kombination aus Designfehlern des RBMK-Reaktors, unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen und Bedienfehlern führte zur Kernschmelze.

Folgen:

  • Radioaktive Freisetzung: Die Explosion schleuderte enorme Mengen radioaktiver Stoffe in die Atmosphäre, darunter Jod-131, Cäsium-137 und Strontium-90.
  • Evakuierungen: Rund 350.000 Menschen mussten ihre Heimat verlassen. Die Stadt Pripyat bleibt bis heute unbewohnbar.
  • Gesundheitliche Auswirkungen: Laut der WHO starben Tausende an den direkten Folgen der Strahlung. Die Zahl der langfristigen Krebsfälle bleibt ein kontroverses Thema.

Auf der INES-Skala wurde Tschernobyl als erster Vorfall mit Stufe 7 eingestuft. Die Katastrophe führte weltweit zu einer Neubewertung der Atomenergie.

Fukushima, Japan (2011)

Am 11. März 2011 traf ein Erdbeben der Stärke 9,0 die japanische Pazifikküste. Der darauffolgende Tsunami überflutete das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi. Durch den Stromausfall versagten die Kühlsysteme, was in drei Reaktoren zu einer Kernschmelze führte.

Auswirkungen:

  • Explosionen: Wasserstoffexplosionen zerstörten die Gebäude von drei Reaktoren.
  • Evakuierungen: Mehr als 160.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen.
  • Umweltkontamination: Radioaktives Material gelangte ins Meer und verseuchte große Landflächen.

Der Unfall erreichte ebenfalls Stufe 7. Er verdeutlichte die Risiken, die von Naturkatastrophen für Kernkraftwerke ausgehen.

Kyschtym, Russland (1957)

Der Unfall in der Wiederaufarbeitungsanlage Majak war der erste schwere Atomunfall der Geschichte. Am 29. September 1957 explodierte ein Tank mit hochradioaktiven Abfällen, was zur Freisetzung großer Mengen radioaktiver Stoffe führte.

Hintergrund: Die Sowjetunion hielt den Unfall jahrzehntelang geheim. Erst in den 1980er-Jahren wurde das Ausmaß bekannt. Der Vorfall erreichte Stufe 6 auf der INES-Skala, wobei einige Experten eine Einstufung als Stufe 7 fordern.

Three Mile Island, USA (1979)

Am 28. März 1979 ereignete sich im Atomkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg eine Teil-Kernschmelze. Fehlerhafte Ventile und menschliche Fehlentscheidungen führten zu einem massiven Kühlmittelverlust. Radioaktive Gase wurden freigesetzt, jedoch in geringen Mengen.

Folgen:

  • Verunsicherung: Der Unfall verursachte weltweit Angst vor der Atomenergie.
  • Politische Konsequenzen: In den USA wurden keine neuen Atomkraftwerke mehr genehmigt.

Der Vorfall erreichte Stufe 5 auf der INES-Skala.

Windscale, England (1957)

Im Oktober 1957 geriet ein Reaktor in der britischen Anlage Windscale in Brand. Der Vorfall wurde durch eine fehlerhafte Routineprozedur ausgelöst. Die Löscharbeiten dauerten vier Tage, währenddessen wurden erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt.

Langzeitfolgen:

  • Geheimhaltung: Die britische Regierung hielt das Ausmaß des Unfalls jahrzehntelang unter Verschluss.
  • Umweltbelastung: Die Region blieb jahrelang kontaminiert.

Atomunfälle in Deutschland

Deutschland blieb von großen Atomkatastrophen verschont, doch auch hier kam es zu kritischen Vorfällen, die die Risiken der Atomenergie verdeutlichten. Hier die einige der gravierendsten Unfälle bzw. Störungen.

Brunsbüttel und Krümmel (2007)

Am 28. Juni 2007 ereignete sich im Atomkraftwerk Brunsbüttel ein Kurzschluss. Dieser führte zu Stromschwankungen, die sich auf das benachbarte Atomkraftwerk Krümmel auswirkten. Dort kam es zu einem Transformatorbrand, der erst nach Stunden unter Kontrolle gebracht werden konnte. Vattenfall, der Betreiber der Anlagen, geriet unter Kritik, da er die Vorfälle zunächst herunterspielte. Die technischen Probleme und die mangelhafte Kommunikation des Unternehmens sorgten für eine breite öffentliche Debatte über die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke.

Biblis A (1987)

Am 16. Dezember 1987 kam es im Reaktor Biblis A zu einem der schwersten Störfälle in Deutschland. Ein Leck in einem Ventil führte zu einem erheblichen Verlust von Kühlmittel. Drei Arbeitsschichten lang wurde der Fehler nicht bemerkt, da die Automatik das Problem nicht erkannte. Erst durch die manuelle Abschaltung konnte eine Kernschmelze verhindert werden. Insgesamt traten 107 Liter radioaktives Kühlwasser aus, bevor der Reaktor heruntergefahren wurde. Dieser Vorfall verdeutlichte die Bedeutung eines genauen Sicherheitsmanagements und sorgte für verschärfte Kontrollen.

Hamm-Uentrop (1986)

Im Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop, einem Prototyp für die Nutzung von Thorium als Brennstoff, kam es am 4. Mai 1986 zu einem schwerwiegenden Zwischenfall. Aufgrund eines Verstopfens in einem Zuleitungsrohr trat stark radioaktives Helium aus. Die Strahlenbelastung in der Umgebung stieg kurzfristig auf das Vierfache der durch die Tschernobyl-Wolke verursachten Belastung. Der Unfall blieb lange Zeit unzureichend untersucht. Kritiker bemängelten, dass gesundheitliche Folgen wie erhöhte Krebsraten in der Region nie umfassend dokumentiert wurden.

Gundremmingen (1975)

Einer der schwersten Unfälle in der frühen Geschichte der deutschen Atomkraft ereignete sich im Block A des Kernkraftwerks Gundremmingen. Am 13. Januar 1975 kam es zu einem Brand im Bereich des Reaktors, der durch einen Defekt an einer Turbine ausgelöst wurde. Dabei wurden radioaktive Stoffe freigesetzt. Block A wurde nach diesem Vorfall stillgelegt und nie wieder in Betrieb genommen. Der Unfall war ein früher Hinweis darauf, dass technische Mängel auch in modernen Anlagen auftreten können.

Philippsburg (2001)

Im Jahr 2001 kam es im Kernkraftwerk Philippsburg zu einem Beinahe-Störfall. Während einer Routineinspektion wurde festgestellt, dass eine Pumpe des Notkühlsystems nicht funktionierte. Obwohl keine unmittelbare Gefahr bestand, zeigte der Vorfall, wie wichtig eine lückenlose Wartung ist. Der Betreiber musste sich umfangreichen Prüfungen und einer öffentlichen Untersuchung stellen.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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