Technikgeschichte 15.03.2013, 13:59 Uhr

Atomkraft auf der Berliner Pfaueninsel

In der jungen Bundesrepublik war die Begeisterung für Kerntechnik groß – quer durch alle Parteien. Mit der friedlichen Nutzung der Atomenergie sollte auch die Option für eine nukleare Bewaffnung offengehalten werden, sagt der Technikhistoriker Joachim Radkau. Bürgerinitiativen und Atomunfälle machten der Euphorie bald ein Ende.

Euphorie zu Beginn, Frust am Ende: Die Geschichte der Atomkraft in Deutschland.

Euphorie zu Beginn, Frust am Ende: Die Geschichte der Atomkraft in Deutschland.

Foto: dpa

Wenn sich ein Historiker mehr als 40 Jahre lang immer wieder mit einem Thema beschäftigt, dann kann es sein, dass dieses Thema durch die Zeitläufe vollkommen auf den Kopf gestellt wird. Joachim Radkau kann hiervon ein Lied singen. Eines der großen Lebensthemen des 69-jährigen Professors für Technikgeschichte an der Universität Bielefeld ist die Atomkraft.

Als Radkau sich 1973 erstmals mit der Geschichte der Kerntechnik befasste, sei dies aus einer jugendlichen Begeisterung für diese Technik geschehen, sagt er im Rückblick. Zu diesem Zeitpunkt war die allgemeine Euphorie für die vermeintlich unendlich verfügbare, vermeintlich kostengünstige Energie aus der Kernspaltung allerdings gewichen und erste Zweifel waren öffentlich artikuliert worden.

Diesen Zweifeln konnte sich auch Radkau während seiner Beschäftigung mit Akten und Dokumenten aus der Frühzeit der deutschen Atomwirtschaft in den 1950er-und 1960er-Jahren nicht entziehen. 1980 legte er seine Habilitation unter dem Titel „Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft“ vor. Und heute, 33 Jahre später, hat Radkau zusammen mit Lothar Hahn, dem früheren Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, eine vollkommen überarbeitete und aktualisierte Neuauflage dieses Buches vorgelegt – jetzt unter dem Titel „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“.

„Wir haben uns beide, Lothar Hahn und ich, nur langsam und schrittweise von der Begeisterung für die Atomtechnik entfernt“, erklärte Radkau vor einigen Tagen in einem Vortrag in der Berliner Urania. Ein Denkprozess, der durchaus parallel mit der Bewertung der Atomenergie in der Öffentlichkeit verlief.

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Am Anfang, so schildert der Technikhistoriker plastisch, war die Euphorie riesengroß. In den 1950er-Jahren war die Rede von den „unabsehbaren Chancen der friedlichen Atomnutzung“. Mithilfe des Atoms würde die Menschheit die Wüsten und Eiswüsten erblühen lassen, so lauteten die Prognosen – die freilich wenig Rücksicht auf mögliche Kollateralschäden nahmen.

Radkau führt viele Beispiele für die frühe Atombegeisterung auf, die aus heutiger Sicht nur noch skurril wirken. So hat der West-Berliner Senat unter Willy Brandt nach dem Mauerbau 1961 ernsthaft die Errichtung eines Kernkraftwerks erwogen, um die Stadt energieautark zu machen. Als Standort war die Pfaueninsel vorgesehen, die direkt an der Grenze zur DDR lag – und in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten von Millionen Menschen.

Der spätere Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Brandt war in jüngeren Jahren ein großer Anhänger der Kernenergie, eine Position, die in seiner Partei weit verbreitet war und 1959 ihren Niederschlag im Godesberger Programm gefunden hatte.

Wie ist aber diese Hochkonjunktur der Kernenergie in den 1950er-Jahren zu erklären? „Vielleicht waren es die Aura und die Macht der Atombombe, die auf die friedliche Nutzung dieser gewaltigen Kräfte abfärbten“, sagt der Historiker Radkau heute. Er führt aber auch handfeste verteidigungspolitische Erwägungen als Hintergrund für die Atombegeisterung an: Zumindest zeitweise wollte sich Deutschland auf dem Wege der friedlichen Nutzung der Atomenergie aber wohl auch die Option offenhalten, irgendwann selbst eine nukleare Bewaffnung durchzusetzen.

Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer hat zeitweilig nachweislich mit diesem Szenario gespielt. Das gilt auch für Japan, das ebenfalls als Verliererland des Zweiten Weltkriegs auf den Bau von Atombomben verzichtete. Für die japanischen Eliten, so Radkau, war aber die Offenhaltung einer nuklearen Option wichtiger als eine Absage an die Kerntechnik.

Mit dem Aufkommen alternativer Energien flaute in Deutschland die Konjunktur der Kernkraft ab. 1982 wurde mit dem Bau des letzten Kernkraftwerks in Deutschland begonnen, dem KKW Isar/Ohu 2. Noch in den 1980er-Jahren war einzig die Kohlekraft eine realistische Alternative, die schon damals aus ökologischen Gründen problematisch erschien. Doch als die erneuerbaren Energiequellen in den 1990er-Jahren immer substanzieller erschienen, geriet die Kernenergie aufs Abstellgleis. Der unermüdliche Widerstand der Bürgerinitiativen gegen Atomkraft und die Erfahrungen der Atomunfälle in Harrisburg, Tschernobyl und zuletzt in Fukushima taten ihr Übriges.

In seinem Berliner Vortrag stellte Radkau auch Überlegungen zu der Frage an, welche Lehren man aus der Geschichte der Atomkraft in Deutschland für den Umgang mit Risikotechnologien ziehen kann. Als Beispiel führte er das derzeit heißumstrittene Thema Fracking an. Auch hier, so Radkau, ist unter Wissenschaftlern eine große Euphorie spürbar, etwa bei Geologen, die mit diesem Thema große Fördersummen einspielen könnten. Und doch können mit dem Fracking unabsehbare Probleme verbunden sein. „Die Verseuchung des Grundwassers könnte eine schlimmere Zeitbombe werden als der Klimawandel“, meint Radkau.

Wie kann die mit dem Injizieren von Gas-Wasser-Gemischen in tiefe Gesteinsschichten verbundene Komplexität bewältigt werden?, fragt Radkau. „Wie können unabhängige Kontrolleure die kilometertief im Erdboden ablaufenden Vorgänge kontrollieren? Wo gibt es von den Betreibern unabhängige Instanzen, die dabei einen Überblick behalten?“ Bevor solche Fragen nicht eindeutig zu klären sind, rät er zu Zurückhaltung.

Die Atomwirtschaft in Deutschland steht vor dem Ende – ist aber natürlich längst nicht tot. Noch auf Jahrzehnte werden die Abschaltung und der Rückbau der vorhandenen Kernkraftwerke die Betreiberunternehmen beschäftigen. Und die bis dato ungelösten Probleme bei der Entsorgung und Endlagerung des Atommülls werden den nächsten Generationen überlassen, die ihrerseits keinerlei Profite aus der Stromerzeugung mehr erwirtschaften können. Dieses letzte Kapitel der deutschen Atomwirtschaft wird das weitaus längste werden – ein Ende ist nicht absehbar.  JOHANNES WENDLAND

J. Radkau/L. Hahn: Aufstieg und Fall
der deutschen Atomwirtschaft. Oekom Verlag, München 2013. 413 S., 24,95 €

Ein Beitrag von:

  • Johannes Wendland

    Johannes Wendland ist freier Journalist und schreibt für überregionale Magazine, Zeitungen und Online-Medien u.a. über Wirtschaftsthemen, Raumfahrt und IT-Themen.

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