Start-up 20.04.2020, 12:18 Uhr

Autonome Ladesäulen: Eine Idee aus zwei Generationen

Mit autonomen Ladesäulen wollen die Gründer Alexander Sohl und Inès Adler den Ausbau von Stromnetzen umgehen und somit flächendeckend Aufladen ermöglichen.

Startup ME Energy Jordanova Duda

Der Altersunterschied schützt vor Innovationen nicht. Alexander Sohl (rechts) und Inès Adler hat die Lust am Auto zusammengeführt.

Foto: ME Energy

Ohne E-Autos keine Ladesäulen – und umgekehrt gilt es genauso. Die Brandenburger ME Energy – Liquid Electricity GmbH entwickelt autonome Ladesäulen, die ein Fahrzeug mit Strom für 200 Kilometer Reichweite innerhalb von 10 Minuten betanken sollen. Damit wollen die Gründer E-Mobilität auch auf dem Lande flächendeckend ermöglichen. Der Strom wird im Inneren der Ladestation aus den zertifizierten Biokraftstoffen Methanol oder Ethanol produziert.

Ingenieure wollen dem Diesel den Garaus machen

Mit Verbrennungsprozessen kennen sich die beiden ehemaligen Bosch- bzw. Daimler-Ingenieure Alexander Sohl und Inès Adler bestens aus. Allein auf Adlers Konto als Entwicklerin des Common-Rail-Systems gehen zahlreiche Patente in Sachen Dieselverbrennung, Einspritzung und Abgasbehandlung. Heute arbeitet sie daran, dem Diesel den Garaus zu machen. Da sich Sohl und Adler über gemeinsame Freunde kannten, tauschten sich die beiden häufiger über die neuesten Trends in der Autowelt aus, erzählt Alexander Sohl. Da spielte der Altersunterschied von 33 Jahren keine Rolle. In den Gesprächen stießen sie immer wieder auf das eigentliche Problem der E-Mobilität: Das Stromnetz dafür auszubauen, sei unwirtschaftlich.
Um das Henne-Ei-Problem zu lösen, gründeten die passionierten Autofahrer ME Energy zu Beginn des Jahres 2018. Seit Anfang 2019 firmiert das Start-up als GmbH. Einen Prototyp der ultraschnellen Ladesäule Anylectric gibt es auch schon, und seit Juni 2019 immerhin 2 Millionen Euro Risikokapital, damit sie Ende 2020/Anfang 2021 auf den Markt kommt. Im Zentrum für Luft- und Raumfahrt (ZLUR) in Wildau läuft bereits die Fertigung einer Kleinserie. Ginge es nach ME Energy, haben sich die Reichweitenschwierigkeiten erledigt. Ladungen mit bis zu 200 kW werden verfügbar sein: Ein Auto müsste nur für 10 Minuten an den Stecker, um 200 Kilometer weiterzufahren, ein Elektrobus bräuchte 1,5 Stunden. Der große Vorteil ist, dass die Säule nicht an das Mittelspannungsnetz angeschlossen wird und deshalb völlig unabhängig von der bestehenden Infrastruktur aufgestellt und betrieben werden kann. Passt der Standort nicht, könne sie einfach umgesetzt werden.

Methanol oder Ethanol erzeugen Gleichstrom

Im Bauch des autonomen Geräts erzeugt eine Generatoreneinheit aus Methanol oder Ethanol Gleichstrom. Weil bestehende Technik ihre Anforderungen nicht erfüllen konnte, haben Sohl und Adler eine neue Art Generator entwickelt. Er sei unter anderem durch eine optimierte Drehzahl in der Lage, mit einer hohen Effizienz von rund 40 % Strom zu erzeugen: vergleichbar mit einem Kraftwerk. Es ließe sich sogar noch mehr herausholen. „Wir peilen die 45 % an.“
Beim Verbrennen des Kraftstoffs werden nach Sohls Angaben keine Stickoxide oder Feinstaub emittiert. Mehr Details wollen die pfiffigen Erfinder wegen des laufenden Patentverfahrens nicht preisgeben. Auf den Generator und verschiedene periphere Systeme des Kraft-Wärme-Verfahrens haben die beiden Ingenieure fünf Patente angemeldet.

Die eingesetzten „grünen“ Kraftstoffe machen den Strom CO2-neutral. Ethanol und Methanol bezieht ME Energy zurzeit von lokalen Partnern aus Brandenburg. Die Kraftstoffe seien als nachhaltig zertifiziert und stammten entweder aus Rest- und Abfallmaterial oder werden durch Power-to-Liquid-Synthese erzeugt.

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„Beim Power-to-Liquid wird aus Strom, Wasser und CO2 Methanol gewonnen. Somit ist es sogar möglich, Ökostrom in Form von Methanol zu speichern. Das Ganze auch mit hoher Effizienz und in großen Skalen – somit ist das ein möglicher Baustein der Energiewende“, meint Sohl.

Tank ist in der Ladesäule verbaut

Dafür, dass die Ladesäule immer ausreichend befüllt ist, werde ein automatisierter Bestellvorgang sorgen, versichert der Gründer. Der Tank ist in der Ladesäule verbaut. Der Kraftstoff wird von Tanklastern geliefert. Nutzer können den Strom, so sieht es das Konzept vor, nach allen gängigen Formaten abrechnen: mit dem Smartphone via QR-Code oder mit einer EC-, Kredit- oder Tankkarte. Künftig würde man ein Fahrzeug eventuell einfach über den Ladestecker identifizieren.

„Bislang scheitert der Ausbau des Schnellladenetzes an den hohen Anschlusskosten. Abhängig vom Standort sind über 150.000 Euro fällig. Das ist mehr als der Kaufpreis einer ME Energy-Ladestation“, sagt Sohl. Für diese werden rund 95.000 Euro veranschlagt. Die Anschaffung der Anylectric werde sich statt in 30 Jahren in nur 5 Jahren amortisieren, verspricht der Gründer. Zwar koste die Säule selbst etwas mehr als die herkömmliche, aber die Stromkosten seien deutlich niedriger. Zudem müssten keine Leitungen verlegt werden.

Produzieren will ME Energy die Stationen selbst, weil es wichtig sei, die wirtschaftliche Schöpfung in Brandenburg zu halten. Auch die Risikofinanzierer sind aus dem Bundesland. Bis dahin hatte sich ME Energy alleine aus den Ersparnissen der Gründer und Preisgeldern aus drei gewonnenen Gründerwettbewerben gespeist. „Wir haben etwa ein Jahr lang mit diversen VC-Fonds und Investoren gesprochen und verhandelt“, schildert Sohl die Kapitalsuche. Jedes Mal hieß es dann allerdings: Das ist eine sehr gute Idee, aber das Risiko ist uns zu hoch.

Zeit ist reif für die Verkehrswende

Nun scheint die Zeit reif für die Verkehrswende und den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Bernhard Mattes, ehemaliger Präsident des Branchenverbands VDA, bezifferte auf dem Autogipfel 2019 den Bedarf auf rund 100.000 Schnellladesäulen plus 1 Million öffentliche und mehrere Millionen private Ladepunkte.

Die ME Energy hat mittlerweile 10 Angestellte. Bis auf einen sind alle Ingenieure. „Wir suchen noch Elektrotechniker, Mechatroniker und Spezialisten für Verbrennungstechnik“, sagt Sohl. In zwei bis drei Jahren soll es doppelt so viele Arbeitsplätze geben: Das Jungunternehmen peilt den deutschen, danach den europäischen und mittelfristig den US-amerikanischen Markt an. Erstaunlicherweise sei es relativ einfach, in der Region Fachkräfte zu finden, freut sich der Geschäftsführer. Der deutliche Altersunterschied der beiden Gründer mache es auch möglich, verschiedene Generationen anzusprechen.

Über ME Energy GmbH:

  • Sitz in Wildau, gegr. 2018
  • Produkt: autonome Schnellladesäulen für Elektrofahrzeuge
  • Mitarbeiter: 10

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Ein Beitrag von:

  • Matilda Jordanova-Duda

    Matilda Jordanova-Duda ist freie Autorin für Print, Radio und Onlinemedien. Ihre Themenschwerpunkte sind Existenzgründung und Mittelstand, Energiewende und Industrie 4.0. sowie Bildung und Migration.

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