Belastungen im Getriebe werden zum Streitthema
Kommt es zum Getriebeschaden, können für Betreiber von Windkraftanlagen Kosten im sechsstelligen Euro-Bereich entstehen. Wer für die Schäden aufkommen soll, wenn diese in Verbindung mit „Graufleckigkeit“ auftreten, ist noch unklar.
Mit mikroskopisch kleinen Ausbrüchen auf der Flanke eines Zahnrads oder einer Lagerstelle beginnt die „Graufleckigkeit“. Irgendwann sind diese als mattgraue Bereiche mit dem Auge zu erkennen. Dieses Phänomen ist bei Zahnradgetrieben zwar seit Jahrzehnten bekannt, in den Getrieben der Windkraftanlagen tritt es jedoch besonders häufig auf und wird hier zunehmend zum Problem.
Vor drei Jahren nahm sich der Bundesverband Windenergie deshalb mit Gründung des Arbeitskreises Graufleckigkeit des Themas an. „Ziel des Arbeitskreises, der sich sechsmal pro Jahr getroffen hat, war es, das Wesen der Graufleckigkeit zu beschreiben. Dazu zählen Entstehung, Aussehen, Auswirkungen und Maßnahmen gegen Graufleckigkeit“, erläuterte der Sachverständige und Gutachter Hubert Gregorius, Sprecher des Kreises, nun gegenüber den VDI nachrichten. In dem Arbeitskreis sitzen Sachverständige, Juristen, Betreiber und Betriebsführer von Windkraftanlagen.
In diesem Sommer soll der Arbeitskreis seinen Abschlussbericht vorlegen. Noch ist nicht klar, was genau in dem Bericht stehen wird, klar aber scheint schon: Auch weiterhin bleibt ungeklärt, wer für die Graufleckigkeit und den damit verbundenen eventuellen Ausfall einer Windkraftanlage künftig haftbar gemacht werden kann – nach Ansicht vieler Getriebehersteller sind es natürliche Verschleißerscheinungen und damit kein Garantiefall. Dies gilt umso mehr, da die Graufleckenbildung ein langsamer Prozess ist, der sich meist erst nach Ablauf der Gewährleistung zu einem Getriebeausfall entwickelt. Echte Schäden sind es hingegen für die Betreiber, die beim Ausfall einer Windkraftanlage auf Kosten sitzen bleiben, die schnell im sechsstelligen Bereich liegen können.
„Problematisch ist die Graufleckigkeit bei den modernen Hochleistungsanlagen ab 1 MW Leistung geworden, die ständig am Limit laufen“, sagte Gregorius. Zwar gebe es mittlerweile hochadditivierte Schmierstoffe und Oberflächenbeschichtungen sowie Verfahren zur Verbesserung der Oberflächenstruktur, die das Problem eindämmen. Jedoch bestehe das Problem bei Altanlagen nach wie vor. Bislang fehlt ein Gerichtsurteil, das eindeutig aussagt, ob es sich um einen Schaden handelt und wer dafür aufzukommen hat.
Doch nicht nur bei der Suche nach Schuldigen gehen die Meinungen weit auseinander – schon für die Entstehung der Graufleckigkeit gibt es verschiedene Theorien. So ist sie laut Hans-Heinrich Runge eine Folge von Schwingungen mit sehr hohen Eigenfrequenzen von Getriebebauteilen. Runge arbeitete als Kontrollleiter Jahrzehnte im Achsenwerk bei Mercedes-Benz in Kassel. Dort traten nach seiner Aussage in den 70er- und 80er-Jahren unerwartet Fresserscheinungen an den Zahnflanken der Kegelräder in den Hinterachsen von verschiedenen Baumustern auf. Im Resonanzzustand, also wenn die Bauteile bei gleicher Frequenz schwangen, wurde der Schmierfilm zwischen den Zahnrädern nach seiner Einschätzung zerstört.
Bei den metallografischen Untersuchungen im Labor von Mercedes-Benz wurden laut Runge Gefügeumwandlungen an der Oberfläche der Zahnflanken festgestellt, was für ihn darauf hinwies, dass im Zahnkontakt bei gestörtem Schmierfilm ohne sichtbare Fressriefen und Heißlauferscheinungen hohe Temperaturen aufgetreten sein mussten, die zum Anlassen und nachfolgend zu teilweiser Neuhärtung der einsatzgehärteten Oberfläche geführt hatten. An den Kegelrollenlagern von Differenzialgetriebe und Achslager wurde zudem Abrieb mit matten Laufflächen festgestellt. „Weitere Markierungen deuteten auf Schwingungen hin“, so Runge.
Hier liegt nach seiner Auffassung das Kernproblem: „Schwingungsfähige Bauteile haben vielfache Eigenfrequenzen, die bei Anregung eine Schwingung in Resonanzform erzeugen können.“ Bei Zahnradgetrieben sei eine Anregung durch nicht vermeidbare Impulse der einzelnen Zähne vorhanden. Wenn diese Anregung mit der hohen Gleichmäßigkeit einer genauen Zahnteilung erfolge, sei dies ein hohes Resonanzpotenzial für hochfrequente Schwingungen, die sogar im hohen Ultraschallbereich liegen könnten. In einem derartigen Schwingungszustand mit hoher Frequenz werde der Schmierfilm zerstört. Die damit einhergehenden Mikrorisse wären somit Schrumpfrisse, die durch Temperaturwechsel entstehen.
Runge vermutet, dass hiermit auch ein hoher Verschleiß von Wälzlagern in Windkraftanlagen erklärt werden kann. Graufleckigkeit und Lagerverschleiß entstünden somit nicht durch äußere Beanspruchungen, sondern durch eine innere dynamische Beanspruchung, die von den Getriebeherstellern zu vertreten sei.
Generell fehlen in Sachen Dauerfestigkeit bei den großen Windkraftanlagen bisher Erfahrungen. Und durch wechselnde Winde, Turmschatten oder Vorstau wirken dynamische Kräfte auf die Antriebswelle.
Noch ist aber völlig offen, ob Grau-
fleckigkeit als Schaden anerkannt wird: Da der Begriff „Schaden“ je nach Interessenlage der Akteure bisher eine andere Bedeutung erhielt, beschloss der Arbeitskreis im Sommer kein Urteil zu präsentieren, sondern durch Sammlung verschiedener Materialien eine Grundlage für Gerichtsstreitigkeiten zu schaffen. Alle bisherigen Streitigkeiten vor Gericht sind schwebende Verfahren oder es wurde sich in Kompromissen geeinigt, hieß es. Ob und welche Empfehlungen der „Arbeitskreis Graufleckigkeit“ ansonsten geben wird, bleibt abzuwarten. O. KLEMPERT
Ein Beitrag von: