Bio-Algorithmen sollen Smart Grid schlau machen
Digital steuerbare Stromnetze, die sogenannten Smart Grids, sind das Herzstück der zukünftigen Strominfrastruktur in Deutschland. Damit sie sich schnell und flexibel an unterschiedliche Last- und Einspeisesituationen anpassen können, experimentiert man für ihre Steuerung mit Bio-Algorithmen.
Beim Darmstädter Stromversorger HSE AG arbeitet man intensiv daran, eine geeignete Strominfrastruktur für das Jahr 2020 zu entwickeln. Dann sollen mindestens 20 % der elektrischen Energie aus erneuerbaren Quellen kommen. Kooperationspartner ist dabei der Fachbereich EIT (Elektrotechnik und Informationstechnik) der Hochschule Darmstadt. Dort denken Dieter Metz und sein Team darüber nach, wie man die zu erwartenden stärker fluktuierenden Einspeise- und Lastverläufe informationstechnisch abbilden und simulieren kann.
EIT-Professor Metz setzt auf künstliche neuronale Netze, um die Stromnetze von heute zu Smart Grids von morgen zu machen. Die Anfänge dieser Algorithmen datieren auf die Mitte der 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Sie versuchen, ähnlich den Mechanismen, nach denen sich Neuronen in den Gehirnen von Lebewesen vernetzen, Korrelationen zwischen verschiedenen Faktoren zu finden. Was die Stromnetze angeht, sind es jene Faktoren, die die zu erwartende Stromernte und damit die von Photovoltaikanlagen ins Netz eingespeiste Last beeinflussen.
Smart Grid: Künstliche neuronale Netze sollen das Gehirn künftiger Stromnetze werden
„Wichtig sind dafür beispielsweise Lichteinstrahlung, Tageszeit oder die Bewölkung, aber auch die Temperatur und sogar die Mondphase, die einen schwachen, jedoch nachweisbaren Einfluss hat“, erklärt Metz.
Am Ende soll ein Modell stehen, das möglichst genau vorhersagen kann, auf wie viel Stromeinspeisung durch Photovoltaik sich das Netz zu einer bestimmten Zeit einstellen oder wie stark man Photovoltaikanlagen herunterregeln muss, um die Netzstabilität nicht zu riskieren.
„Wir haben mit den neuronalen Netzen signifikant bessere Ergebnisse als mit konventionellen Algorithmen, die zum Beispiel bei der Simulation von Windanlagen Starkwind schon mal 3 h verspätet einplanen“, sagt Metz. Das sei viel zu spät für das Stromnetz, das in Echtzeit funktioniert.
Bio-Algorithmen sind flexibel und lernfähig
Biologische Algorithmen gelten als besonders hoffnungsvoll für die Implementierung im Smart Grid, weil sich Organismen seit jeher mit jeder Menge schneller, unvorhergesehener Veränderungen auseinandersetzen und sofort auf sie reagieren müssen. Ihre internen Steuermechanismen sind daran angepasst. Zudem lernen sie aus jeder Erfahrung etwas. Genau das wünscht man sich auch vom Stromnetz der Zukunft. Konventionelle Algorithmen sind im Vergleich damit eher starre Instrumente.
Schnell muss es zum Beispiel gehen, wenn plötzlich im Netz eine Differenz zwischen Erzeugung und Verbrauch entsteht. Metz setzt dabei auf Rechenverfahren, die die Evolution abbilden. „Die Frage heißt hier: Welcher Steuermechanismus ist wann am besten? Ein Tarif-
signal, Lastabwurf, der Einsatz von Druckluft- oder Gasspeichern?“
Dabei wird am Anfang willkürlich ein Verfahren ausgewählt und durchläuft den Algorithmus. Vergleichsbasis ist, was passieren würde, wenn gar kein Eingriff ins Netz erfolgte. Ziel ist etwa ein möglichst niedriger Strompreis. Anschließend wird der gewählte Kompensationsmechanismus variiert. Am Ende bewertet man die Ergebnisse der Varianten. Die besten werden ausgewählt und gehen in die nächste Runde, woraus sich am Ende eine Prioritätenregelung ergibt. „Dabei können sich die Ergebnisse durchaus unterscheiden, je nachdem, ob ein Kosten- oder ein Kohlendioxid-
minimum angestrebt wird“, sagt Metz.
Bio-Algorithmen versprechen Lösungen für viele Smart-Grid-Probleme
Auch in den USA arbeitet man mit biologischen Algorithmen, um neue Methoden zur Stromnetzstabilisierung zu entwickeln. Ein Vorreiter ist Ganesh Kumar Venayagamoorthy von der University of Missouri, wo der Professor für Elektro- und Computertechnik ein Labor für Echtzeit-, Energie- und intelligente Systeme gegründet hat. Seit sieben Jahren bildet er Studenten in biologischen Algorithmen aus. Das Besondere: Die Studenten lernen, zwei oder mehrere Algorithmen zu kombinieren, um komplexe Probleme realitätsgerecht zu lösen.
Bio-Algorithmen versprechen Lösungen für viele Probleme von Smart Grids: so die Optimierung der Wartungsintervalle der Komponenten, die Dämpfung von Oberschwingungen und anderen durch fluktuierende Einspeisung bedingten Störungen. Sie könnten auch helfen die Zeitverzögerungen bei der Datenübermittlung im Stromnetz zu kompensieren. Am Ende sollen diese Technologien überall da eingesetzt werden, wo ähnlich komplexe Systeme wie Smart Grids gesteuert werden müssen.
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