„Blauer“ Wasserstoff gegen den Klimawandel
Forscher wollen Erdgas in Wasserstoff und Kohlenstoff beziehungsweise CO2 aufspalten. Die C-Fraktion soll gelagert oder als industrieller Rohstoff genutzt werden. Das soll fossile Vorräte schonen. Wir stellen zwei Projekte vor.
Wenn „grüner“ Wasserstoff in absehbarer Zukunft nicht wirtschaftlich herzustellen ist, soll es eben „blauer“ sein. Der Unterschied: Ersterer wird in Elektrolyseuren hergestellt, die mit emissionsfreiem Strom betrieben werden. Letzterer entsteht durch Abspaltung des Kohlenstoffatoms aus Erdgas. Dabei wandelt sich der Kohlenstoff in ein Dioxid um oder er bleibt als Feststoff übrig.
Gleich zwei Teams planen ein solches Projekt, das die sogenannte Dekarbonisierung voranbringen soll. Zum einen ist das der Essener Erdgasnetzbetreiber Open Grid Europe gemeinsam mit dem norwegischen Energieunternehmen Equinor, zum anderen das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und das Gas- und Ölunternehmen Wintershall DEA aus Kassel. Beide Gruppen nutzen völlig unterschiedliche Techniken.
Dampfreformierungsprozess: CO2 einfangen und endlagern
Das norwegisch-deutsche Team setzt die Technik ein, die heute schon zur industriellen Wasserstoffherstellung genutzt wird. Dampfreformierungsprozess heißt das Verfahren, das bei hohen Temperaturen abläuft. Dabei wird das Kohlenstoffatom oxidiert. Das entstehende Kohlendioxid entweicht in die Atmosphäre und trägt zum Klimawandel bei.
Das soll beim blauen Wasserstoff nicht geschehen. Auch bei der Erdgasgewinnung ist Kohlendioxid ein Abfallprodukt. Open Grid Europe und Equinor fangen das CO2 ein und wollen es in ausgebeuteten Öl- und Gasfeldern unter dem norwegischen Schelf endlagern. Es wird abgetrennt, ehe der Energierohstoff per Pipeline oder Tankschiff verfrachtet wird. Umweltbewusstere Unternehmen pressen das Klimagas schon seit einigen Jahren in den Untergrund, aus dem es bisher nicht mehr aufgetaucht ist, sodass es der Atmosphäre entzogen bleibt.
Equinor plant die Endlagerung im Rahmen des Speicherprojektes „Northern Lights“. Daran beteiligt sind neben den Öl- und Gasförderern Shell und Total Air Liquide auch Arcelor Mittal, Ervia, Fortum Oyj, HeidelbergCement AG, Preem, und Stockholm Exergi. Die endgültige Entscheidung, ob „Northern Lights“ realisiert wird, fällt im kommenden Jahr.
Blauer Wasserstoff für energieintensive Industrie
Während die Umsetzung der Energiewende im Stromsektor bereits Erfolge erziele, stehe die energieintensive Industrie weitestgehend am Anfang, sagt Jörg Bergmann, Sprecher der Geschäftsführung von Open Grid Europe. Das Pilotprojekt „H2morrow“, so die Bezeichnung des Projekts „blauer“ Wasserstoff, soll in Nordrhein-Westfalen umgesetzt werden, da hier eine Vielzahl CO2-intensiver Industrien angesiedelt sind. „Bis 2030 sollen die Industrie und andere Endkunden in Nordrhein-Westfalen mit jährlich 8,6 Terawattstunden Wasserstoff aus dekarbonisiertem Erdgas versorgt werden können“, sagt Steinar Eikaas, Vizepräsident bei Equinor. Dies entspreche der Energieversorgung (Strom und Gas) von 450.000 durchschnittlichen 4-Personen-Haushalten pro Jahr.
Für Hans-Josef Fell, ehemaliger Bundestagsabgeordneter von Bündnis90/Die Grünen, ist das Projekt inakzeptabel. Die Erdgaswirtschaft täusche mit dem neuen Begriff „blauer Wasserstoff“ lediglich Aktivitäten für den Klimaschutz vor. Zudem bezweifelt er, dass die Endlager über Jahrhunderte dicht bleiben.
Methanpyrolyse: Erdgas-Spaltung in flüssigem Zinn
KIT und Wintershall DEA setzen eine ganz andere Technik namens Methanpyrolyse ein. Dabei entstehen gasförmiger Wasserstoff und fester Kohlenstoff, der problemlos gelagert oder von der Industrie genutzt werden kann. Er könnte die Kohlenstoffquellen Erdgas, Öl oder Kohle ersetzen. Experten der Internationalen Energieagentur (IEA) haben errechnet, dass schon eine Beimischung von 20 % Wasserstoff im europäischen Gasnetz die CO2-Emissionen um 60 Millionen Tonnen pro Jahr reduzierten. Das entspricht rund 7 % der deutschen Emissionen.
Bei der Methanpyrolyse, die KIT-Forscher gemeinsam mit dem Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam entwickelt haben, wird Erdgas in einen mit flüssigem Zinn gefüllten Blasensäulenreaktor eingedüst. Hier spaltet es sich bei einer Temperatur von 1200 Grad Celsius in seine Bestandteile auf. Der Wasserstoff wird oberhalb des Zinnspiegels abgesaugt, der feste Kohlenstoff schwimmt auf dem flüssigen Metall und wird von Zeit zu Zeit abgeschöpft.
Erdgas wird klimaneutral nutzbar
In einem auf 3 Jahre angelegten Projekt wollen die Partner das Verfahren für den großtechnischen Einsatz fit machen. „Es gibt weltweit große Mengen Erdgas und es gibt die Möglichkeit, dieses Erdgas klimaneutral nutzbar zu machen“, schwärmt Thomas Wetzel, Professor am Institut für Verfahrenstechnik des KIT. Tatsächlich wird das Angebot in Deutschland noch größer, wenn Nord Stream 2 in Betrieb geht, die zweite Pipeline zwischen Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern und Russland. „Erdgas kann Zukunft“, sagt auch Hugo Dijkgraaf, Vorstandsmitglied und Cheftechnologe bei Wintershall Dea. „Schon heute ist Erdgas der sauberste konventionelle Energieträger. Aber Erdgas kann künftig noch klimafreundlicher werden – indem wir das CO2 abspalten und aus Erdgas Wasserstoff gewinnen.“
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