Das Ende einer Ära: 60 Jahre Atomkraft in Deutschland
Seit rund sechs Jahrzehnten haben Atomkraftwerke in Deutschland Strom erzeugt. Nun geht mit der Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke eine Ära zu Ende. Mit einer ernüchternden Bilanz.
Wirtschaftsminister Robert Habeck ist der Meinung, dass die Kernenergie in Deutschland am kommenden Samstag (15. April) endgültig beendet werden sollte, und zwar für immer. Es gibt aber weiterhin Kritik an der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke.
Die CDU bemängelt das Fehlen von Maßnahmen zum Klimaschutz, während die Industrie- und Handelskammer (DIHK) vor möglichen Versorgungsengpässen und steigenden Energiepreisen warnt. „Dieser grüne Klimaminister lässt lieber Kohlekraftwerke laufen – den Klimakiller schlechthin, CO2-Drecksschleudern – als klimaneutrale“, kommentierte der Vize-Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion, Jens Spahn (CDU) und forderte eine Laufzeitverlängerung der letzten drei AKW bis mindestens Ende 2024. „Kohlekraftwerke sollten vom Netz, Kernkraftwerke sollten laufen – denn die sind sicher und klimaneutral“, so Spahn weiter.
Heftige Diskussionen zum Ausstieg aus der Atomenergie
Über die Entscheidung, aus der Atomenergie auszusteigen, hat man Deutschland schon lange heftig diskutiert. Vor allem nach dem Reaktorunglück in Fukushima im Jahr 2011 wurden die Diskussionen intensiver, und die Bundesregierung entschied sich für einen schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie. In den darauffolgenden Jahren wurden nach und nach Atomkraftwerke abgeschaltet, bis jetzt schließlich die letzten verbliebenen stillgelegt werden. Nun werden auch die letzten drei deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland abgeschaltet.
Befürworter des Ausstiegs sehen darin eine Chance für eine nachhaltige Energieversorgung und den Ausbau erneuerbarer Energien. Gegner des Atomausstiegs hingegen argumentieren, dass damit die Energieversorgung in Deutschland gefährdet sei und es zu steigenden Energiepreisen kommen werde.
Wie viele Atomkraftwerke gab es jemals in Deutschland?
Laut dem Bundesministerium für Wirtschaft wurden seit 1962 insgesamt 37 Kernkraftwerke in Deutschland in Betrieb genommen, ohne die Forschungsreaktoren zu berücksichtigen. Die erste Einspeisung von Atomstrom in der Bundesrepublik fand im Jahr 1961 im Versuchsatomkraftwerk Kahl in Bayern statt. In der ehemaligen DDR wurde 1966 das Kernkraftwerk in Rheinsberg (heute im Land Brandenburg) in Betrieb genommen.
Einige Atomkraftwerke in Deutschland waren sehr lange in Betrieb, wie zum Beispiel Grohnde (Niedersachsen), Gundremmingen (Bayern) und Obrigheim (Baden-Württemberg), die alle über 37 Jahre Strom produzierten. Andere Anlagen liefen ebenfalls über 30 Jahre. Im Gegensatz dazu war das Atomkraftwerk in Mülheim-Kärlich nahe Koblenz, das rund sieben Milliarden Mark (3,6 Milliarden Euro) kostete, nur für kurze Zeit in Betrieb. Es lief nach dem Probebetrieb aufgrund fehlender Baugenehmigung lediglich 100 Tage. In den DDR-Anlagen Rheinsberg und Greifswald endete das Atomzeitalter kurz nach der Wende aufgrund von Sicherheitsbedenken. Eine riesige Anlage nahe Stendal blieb eine unvollendete Baustelle.
Zudem gingen nicht alle Atomkraftwerke ans Netz. Ein Beispiel für ein Atomkraftwerk, das aufgrund von Bürgerprotesten und Sicherheitsbedenken nie in Betrieb genommen wurde, ist der „Schnelle Brüter“ in Kalkar, Nordrhein-Westfalen. Das Kraftwerk wurde 1985 fertiggestellt, blieb aber ungenutzt. Die Investition in das Kraftwerk belief sich auf rund sieben Milliarden Mark (3,6 Milliarden Euro) und heute dient die Anlage als Freizeitpark.
Wie sah der deutsche Strommix aus?
Wie die dpa in Bezug auf die Angaben des Vereins Kerntechnik Deutschland berichtet, erzeugten deutsche Atomkraftwerke zwischen 1961 und Ende 2021 rund 5560 Milliarden Kilowattstunden Strom brutto.
Über viele Jahre hinweg betrug der Anteil der Kernenergie am deutschen Strommix ungefähr ein Drittel. Allerdings führte der schrittweise Atomausstieg Deutschlands dazu, dass der Anteil im Jahr 2022 auf nur noch 6,4 Prozent sank. Im Vergleich dazu belief sich der Anteil erneuerbarer Energien im vergangenen Jahr auf 46,3 Prozent, während Kohle 33,3 Prozent und Erdgas 11,4 Prozent ausmachten.
Radioaktive Erbe für 33.000 Generationen
Kontrovers ist zudem auch die Frage der Entsorgung des Atommülls. Der hochradioaktive Müll, der bei der Produktion von Atomenergie entsteht, bleibt für Tausende von Jahren gefährlich und muss sicher gelagert werden. Die Suche nach einem geeigneten Endlager gestaltet sich schwierig und ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
In Deutschland befinden sich derzeit über 120.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfälle in Zwischenlagern. Während ein Großteil dieser Abfälle bereits endlagergerecht verarbeitet und verpackt ist, haben nur wenige die erforderlichen Prüfverfahren für die Endlagerung durchlaufen. Darüber hinaus gibt es in den Zwischenlagern mehrere hundert Behälter (Castoren) mit hochradioaktiven Abfällen.
Laut einer Kommission beliefen sich im Jahr 2016 die Kosten für die nukleare Entsorgung in Deutschland auf etwa 48,8 Milliarden Euro (basierend auf 2014-Preisen). Trotz dieser hohen Kosten hat Deutschland noch kein Endlager für radioaktive Abfälle. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung betont in einer Broschüre, dass die Atomenergie in Deutschland von einer bis zwei Generationen genutzt wurde, während die Folgen der Endlagerung mehr als 33.000 zukünftige Generationen betreffen werden. Eine durchaus ernüchternde Bilanz…
Mit dpa
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