Bundestagswahlkampf 27.12.2024, 17:30 Uhr

Das wäre nötig, um Deutschlands Kernkraftwerke zu reaktivieren

Lassen sich die abgeschalteten deutschen AKW reaktivieren? Technisch wäre es prinzipiell möglich, praktisch hat das noch nie jemand gemacht.

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Das AKW Isar 2 bei Landshut, das als eines der letzten drei AKW in Deutschland 2023 abgeschaltet wurde. Die CDU möchte im Fall eines Sieges bei der Bundestagswahl im Februar prüfen, ob es wieder reaktivierbar ist. Technisch wäre es prinzipiell wohl möglich, die alten Anlagen wieder ans Netz zu bringen. Praktisch hat so etwas aber noch nie jemand gemacht.

Foto: IMAGO/blickwinkel/W. Willner

Für die CDU war der endgültige Atomausstieg 2023 eine „ideologisch motivierte Fehlentscheidung“, wie die Partei zuletzt in einem Strategiepapier zur Energiepolitik schrieb. Darin kündigte sie auch an, im Falle eines Sieges bei der kommenden Bundestagswahl prüfen zu lassen, ob sich Kernkraftwerke in Deutschland wieder in Betrieb nehmen ließen.

Praktisch dürfte es dabei nur um die Anlagen Isar/Ohu 2, Emsland und Neckarwestheim 2 gehen, die als letzte im April 2023 abgeschaltet wurden. Auch Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C, die 2021 vom Netz gingen, kommen hinzu. Einfach wieder anschalten ließe sich keines dieser Kraftwerke, denn bei allen hat der Rückbau bereits begonnen. Soll eines der Alt-AKW also wieder in Betrieb genommen werden, müssten zunächst einige Hürden überwunden werden – technische, genehmigungsrechtliche und logistische. Das müsste im Einzelnen gemacht werden.

Technische Hürden, im Rückbau befindliche Kernkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen

Keines der sechs zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke steht heute noch so da wie am letzten Betriebstag. Für alle wurden mittlerweile Rückbaugenehmigungen erteilt und mit den Arbeiten begonnen. Als erstes werden dabei die Brennelemente entfernt und der primäre Kühlkreislauf im Reaktor dekontaminiert. Erst dann kann mit dem Ausbau der Kühlleitungen und schließlich des Reaktordruckbehälters begonnen werden.

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Der Stand des Rückbaus ist bei jedem Kernkraftwerk unterschiedlich. In Brokdorf, obwohl schon 2021 abgeschaltet, begannen die Arbeiten zum Beispiel erst in diesem Oktober. In Gundremmingen wurde seitdem schon der innere Teil des Kühlturms demontiert, die Generatoren sind ebenfalls bereits abgebaut. Um ein Kraftwerk wieder in Betrieb zu nehmen, müsste also der jeweilige individuelle Rückbaustand wieder umgekehrt werden.

Technisch ist bei Alt-AKW manches möglich, fragt sich, ob es sich rechnet

Auch das Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 war eines der letzten, das Mitte März 2023 vom Netz ging. Es gehört zu den sogenannten Konvoi-Anlagen, einer Bauform von deutschen AKW mit Leistungen zwischen 1300 MW und 1400 MW. Technische Besonderheit von Neckarwestheim 2 war der aus Landschaftsschutzgründen gebaute Hybridkühlturm mit 51,22 m Höhe (linke Bildmitte).

Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich

„Rein technisch ist da vieles möglich, allerdings unter Umständen mit ganz erheblichem Aufwand“, sagt Sara Beck, Leiterin der Abteilung Containment bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Aus Anlagen im Ausland ist bekannt, dass sich Leitungen und ganze Dampferzeuger austauschen und wieder in Betrieb nehmen lassen. „Ab irgendeinem Punkt wäre es aber vom Aufwand her vermutlich nicht mehr wirtschaftlich“, sagt Beck. Wo dieser Punkt liegt, lässt sich aber nur raten. Bisher hat kein Land je den Rückbau einer Anlage gestoppt und umgekehrt.

Ein weiteres Problem beim Rück-Rückbau ist die Strahlenbelastung. Auch nach einer Dekontamination sind viele Bauteile noch radioaktiv. Sollen an diesen Bestand also neue Bauteile angefügt werden, ginge das vielerorts wohl nur mit ferngesteuerten Robotern. Das kostet wiederum mehr Geld, vielleicht also auch mehr Geld als ein Neubau.

Zu guter Letzt müssen die passenden Bauteile auch erst beschafft werden. Komponenten von Atomkraftwerken sind selten von der Stange, sondern in der Regel Maßanfertigungen. Die wiederum müssen auch aktuellen Zertifizierungen genügend und kompatibel zu den noch vorhandenen alten Bauteilen sein, die noch nicht zurückgebaut wurden. „Da müsste man erst einmal Hersteller finden, die die passenden Komponenten zeitnah herstellen können“, sagt Beck. Sie hält das zwar für vorstellbar, es ist aber eben eine weitere Hürde.

Wie sich die Wiederinbetriebnahme der Alt-AKW genehmigen ließe

Weil die Folgen von nuklearen Unfällen so massiv sein können, müssen Atomkraftwerke sehr hohen Sicherheitsstandards genügen. Die notwendigen Anforderungen und Zertifizierungen füllen dabei schon bei Neubauten mehrere Aktenordner.

Bei einer Reaktivierung kämen weitere Probleme hinzu. So wurden die deutschen Atomkraftwerke, die dafür infrage kämen, zwischen 1976 und 1982 in Betrieb genommen. Zwar gab es zwischendurch Modernisierungen, der Großteil der verbauten Technik beruht aber noch auf dem Stand der damaligen Zeit. Das betrifft zum Beispiel auch analoge statt digitale Steuerungstechnik. Entsprechend können vielfach nicht einfach moderne Bauteile verwendet werden. „Manche alte Komponenten werden heute aber gar nicht mehr hergestellt“, sagt GRS-Sprecher Sven Dokter. Die Betreiber müssten also Hersteller finden, die noch kompatible Komponenten mit entsprechenden Zertifizierungen bauen können.

Die reine Inbetriebnahme wäre bürokratisch aber wohl ein geringerer Aufwand als bei einem Neubau. Viele Komponenten werden schon beim Einbau getestet und die alten, noch vorhandenen Bauteile haben nötige Tests bereits durchlaufen.

Logistik und Personal sollten die Wiederinbetriebnahme der Alt-AKW nicht behindern

Kernkraftwerk Emsland in Lingen, im Vordergrund fließt der Fluss Ems. Das Kernkraftwerk wurde im April 2023 stillgelegt und befindet sich in der Rückbauphase.

Foto: IMAGO/Krauthöfer

Das wohl kleinste Hindernis bei einer Reaktivierung wären logistische Fragen. Das betrifft zum einen die Brennstäbe, die neu besorgt werden müssten. Das könnte zwar einige Zeit dauern, aber eben nicht länger als die baulichen Maßnahmen.

Gleiches gilt für die Suche nach neuem Personal. Viele der ehemaligen Kraftwerksangestellten sind immer noch in ihrem Job aktiv und helfen beim Rückbau mit. Dass die alten Fachleute heute beim Rückbau helfen, dafür haben sich die Betreiber immer engagiert, denn ohne sie ist der Rückbau schwieriger. Sie kennen die Anlagen schließlich aus teils jahrzehntelanger Erfahrung und bestimmte Kraftwerksbereiche müssen auch während der Rückbauphase noch in Betrieb bleiben. Auch wenn noch viele Mitarbeiter in den Anlagen tätig sind, hätten die Betreiber für den Rückbau geplant, sodass es vermutlich an Personal fehlte, glaubt Beck. Je nachdem, wie lange die Anlagen still stünden, sei es vielleicht denkbar, noch neues Personal auszubilden.

Warum die Betreiber die abgeschalteten Kernkraftwerke nicht wieder in Betrieb nehmen wollen

Während sich theoretisch wunderbar darüber diskutieren lässt, ob und wie die alten Kernkraftwerke wieder in Betrieb genommen werden können, stellt sich diese Frage für die drei Betreiber EnBW, RWE und Preussenelektra nach Recherchen von VDI nachrichten überhaupt nicht. „Der Rückbaustatus unserer fünf Kernkraftwerke ist praktisch gesehen irreversibel“, sagt EnBW-Sprecher Lutz Schildmann auf Anfrage. „Eine Diskussion über die weitere Nutzung der Kernkraft hat sich für uns vor diesem Hintergrund erledigt.“

Ähnlich reagieren die anderen beiden Betreiber. „Ein Weiterbetrieb unserer Kernkraftwerke ist für uns kein Thema“, sagt Preussenelektra-Sprecherin Almut Zyweck. An hypothetischen Diskussionen darüber wolle man sich nicht beteiligen. RWE verweist auf Anfrage auf den geltenden Ausstiegsbeschluss und möchte zu politischen Diskussionen darüber ebenfalls nichts beitragen. RWE-Chef Markus Krebber muss sich dennoch dazu ständig äußern. „Wir sind hierzulande über den Punkt hinaus, an dem wir abgeschaltete Atomkraftwerke wieder zurück ans Netz bringen sollten“, sagte er laut Handelsblatt vor Monatsfrist in einem Investorengespräch.

So bleibt als Fazit, dass eine Reaktivierung deutscher Kernkraftwerke rein technisch und logistisch machbar wäre – sofern eine Bundesregierung den Aufwand dafür in Kauf nehmen und den Betreibern so schmackhaft machen könnte, dass diese ihre Rückbaupläne wieder ändern.

Ein Beitrag von:

  • Christoph Sackmann

    Christoph Sackmann, geboren 1983 in Dortmund, studierte Geschichte und Soziologie und absolvierte von 2010 bis 2012 ein Volontariat bei Hubert Burda Media an der Journalistenschule in München.
    Davor, währenddessen und danach schrieb er unter anderem für die „WAZ“, die „Neue Westfälische“, „Chip“, den „FOCUS“ und „FOCUS Online“. Zudem entwickelte er das Lifestyle-Magazin „treat“ und leitete ein Jahr lang das Portal „Finanzen100.de“.

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