Der Feinstaub aus Kohlekraftwerken fordert tausende Todesopfer
Deutsche Kohlekraftwerke forderten durch ausgestoßene Feinstäube 3100 Todesfälle allein im Jahr im Jahr 2010: Mit dieser spektakulären Aussage hat die Umweltorganisation Greenpeace einen großen Wirbel ausgelöst.
Greenpeace stützt sich bei seiner Kritik an den deutschen Kohlekraftwerken auf eine Studie der Universität Stuttgart. Demnach kostetdie Kohleverstromung jeden Deutschen im Schnitt 1,8 Stunden Lebenszeit. Das ist nicht viel, steht doch hierzulande jeder Autofahrer geschätzte 50 Stunden im Jahr im Stau. Und produziert dabei deutlich mehr Feinstaub, als aus den Kohlekraftwerken entweicht.
Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung kommen die Stuttgarter und Greenpeace aber auf beeindruckende Zahlen: Der Betrieb der 67 größten Kohlekraftwerke führt pro Jahr zu 33.000 verlorenen Lebensjahren in Europa, etwa die Hälfte davon in Deutschland. Oder: Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg soll statistisch für 373 Tote im Jahr 2010 verantwortlich sein. Dahinter folgt das Braunkohlekraftwerk Niederaußem in NRW mit 269 Toten. Soweit die Zahlen der Studie, die das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart im Auftrag von Greenpeace erstellt hat.
3100 Tote durch Emissionen aus Kohlekraftwerke im Jahr 2010
„Die Ergebnisse der Universität Stuttgart sind erschütternd“, schreibt Greenpeace in seinem auf der Studie beruhenden Bericht und fasst die Zahlen zusammen: „Insgesamt führten die Emissionen der größten deutschen Kohlekraftwerke im Jahre 2010 zum Tod von ungefähr 3.100 Menschen.“
Nun ist das alles Statistik und es ist nicht möglich, einen einzigen der Todesfälle einem Kraftwerk zuzuordnen. Dennoch kritisiert die Greenpeace-Studie der Universität Stuttgart unter der Leitung von Professor Rainer Friedrich, dass jeder dieser statistischen Todesfälle überflüssig ist. „Die Verkürzung der Lebenserwartung durch Kohlekraftwerke ist ganz und gar vermeidbar“, so Greenpeace, „da wir mit Erneuerbaren Energien und den aktuellsten Lösungen zur Energieeffizienz in der Lage wären, die Lichter ohne ein einziges neues Kohlekraftwerk weiter brennen zu lassen.“
Kritik von den Energie-Konzernen
„Die Greenpeace-Studie blendet wichtige Fakten und Erkenntnisse aus“, kritisiert dagegen Vattenfall-Vorstand Hubertus Altmann. Für ihn ist die Absicht klar: Greenpeace wolle den Energieträger Kohle diskreditieren und den Menschen im Lande Angst machen. RWE-Sprecher Lothar Lambertz betont, dass der Energieträger Kohle gerade einmal mit fünf Prozent zur Feinstaubbelastung beitrage. Beide Firmen berufen sich auf eine Untersuchung des Branchenverbandes VGB PowerTech, der als europäischer technischer Fachverband die großen Strom- und Wärmeerzeuger vertritt. Laut Vattenfall wird die Luftqualität im Umfeld der eigenen Kraftwerke in der Gesamtschau „praktisch nicht oder nur unwesentlich“ durch deren Emissionen beeinträchtigt und beruft sich auf die Überwachungsmessungen der Behörden.
Schäden in 100 bis 200 Kilometer Entfernung am größten
Eine besondere Brisanz erhalten die Studienergebnisse allerdings auch dadurch, dass die Emissionen aus den Kohlekraftwerken sehr weit in der Umgebung verteilt werden. Der Grund sind die hohen Schlote. Studienleiter Prof. Rainer Friedrich sagt, dass die sekundären Schadstoffe die schädlichsten seien. Und diese müssten sich in der Luft erst bilden. „Und während dessen sind die dann schon 100 bis 200 Kilometer weit weg geweht“, erläutert Friedrich. Die Belastung mit den lungengängigen Stäuben und anderen Schadstoffen ist in einer Entfernung von 100 bis 200 Kilometer um die Kraftwerksblöcke damit am höchsten. Es sind – laut Studie – vor allem die Emissionen von Gasen wie Schwefeldioxid und Stickoxide, die in der Luft zusammen mit Ammoniak aus der Landwirtschaft umgewandelt werden.
Besonders betroffen: Köln, Leipzig, Dresden und Berlin
Von der Verteilung der Schadstoffe sind vor allem Ballungsgebiete wie das Ruhrgebiet und Großstädte wie Köln, Leipzig, Dresden und Berlin betroffen. „In großen Städten oder Ballungszentren, wo besonders viele Menschen auf engstem Raum zusammenleben, treten durch die hohe Populationsdichte auch besonders hohe gesundheitliche Schäden auf“, so Greenpeace.
Es sind nicht nur Tote, um die es bei der Untersuchung aus Stuttgart geht. Die Forscher haben sich auch mit den Krankenständen beschäftigt. Statistisch sind 2010 in Deutschland schätzungsweise 700.000 Arbeitstage aufgrund von Atemwegserkrankungen, Herzinfarkten, Lungenkrebs oder Asthmaanfällen verlorengegangen.
Greenpeace attackiert mit dem Bericht vor allem RWE und Vattenfall: „Die RWE-Kohlekraftwerke verursachten im Jahr 2010 den Berechnungen zufolge über 900 Todesfälle, 10.000 verlorene Lebensjahre und 215.000 verlorene Arbeitstage.“ Den größten Teil machen dabei die Kraftwerke im Rheinischen Braunkohlerevier aus, das sind die Blöcke Neurath, Niederaußem, Weisweiler und Frimmersdorf. „Die gesundheitlichen Schäden von Vattenfalls Kohlekraftwerke sind kaum geringer“, schreibt Greenpeace. „Auch hier sind es mehr als 900 Todesfälle, fast 10.000 verlorene Lebensjahre und 210.000 verlorene Arbeitsjahre zu verzeichnen.“
Energieversorger setzen weiter auf die Kohleverstromung
Es geht aber vor allem auch um die Zukunft der Energieversorgung. Die großen Energieversorger planen weitere Kohlekraftwerke. 13 dieser Kraftwerkprojekte hat die Universität Stuttgart in ihrer Untersuchung berücksichtigt. Hinzu kommen die neuen Blöcke in den Braunkohlekraftwerken Neurath und Boxberg. Denn diese gingen im Jahre 2012 in Betrieb und sind im untersuchten Kraftwerksbestand aus dem untersuchten Zeitraum 2010 nicht enthalten. „Gingen alle diese Anlagen ans Netz, so würden deren Schadstoffemissionen jedes Jahr über 1.100 Todesfälle, 12.000 verlorene Lebensjahre und 250.000 verlorene Arbeitstage verursachen“, schreibt Greenpeace.
Der VGB PowerTech hält dem entgegen, dass aufwändige Modernisierungsmaßnahmen bestehender sowie entsprechend ausgelegter Neubaukraftwerke beachtliche Erfolge bei der Reduzierung von Emissionen erzielt haben. Die Gesamtemissionen von Schwefeldioxid sei in den vergangenen 20 Jahren EU-weit um mehr als 80 Prozent verringert worden und die Emission von Stickoxiden und Feinstaub um rund 50 Prozent. „Kohlekraftwerke bergen zwar zweifelsohne höhere Umwelt- und Gesundheitsrisiken als andere Stromerzeugungsformen, haben aber auch Pluspunkte wie zum Beispiel die geringen Stromerzeugungskosten und die hohe Versorgungssicherheit eines heimischen Energieträgers. Diese Vor- und Nachteile sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen“, so der Studienleiter Prof. Friedrich.
Greenpeace fordert Ausstieg aus der Kohle
Als Konsequenz fordert Greenpeace einen vollständigen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2040. Die besonders schädliche Braunkohle müsse bis spätestens 2030 auslaufen. „Um Todes- und Krankheitsfälle zu vermeiden, muss die Politik endlich den Ausstieg aus der Kohle beschließen“, sagt Gerald Neubauer, Energie-Experte von Greenpeace. Doch davon ist Deutschland weit entfernt. Ungefähr 140 Stein- und Braunkohlekraftwerke sind in Deutschland in Betrieb, die 45 Prozent des gesamten Strombedarfes erzeugen. 26 davon entfallen auf die Braunkohle, die sich als besonders dreckiger Energieträger erweist.
Es sind vor allem die Braunkohlekraftwerke, die für die gesundheitlichen Probleme verantwortlich sind. Unter den zehn gesundheitsschädlichsten Kraftwerken sin neun Braunkohlekraftwerke, die allein für statistisch 1.700 Todesfälle verantwortlich sind. Jahr für Jahr.
Grundlage der Berechnungen und statistischen Folgeabschätzungen ist ein vom IER entwickeltes EcoSense-Modell, das nach eigenen Angaben „höchstentwickelte verfügbare Instrument zur Bestimmung der gesundheitlichen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen von Kraftwerken in Europa.“ Das Modell verwendet Daten über Windstärke und -richtung, Luftfeuchtigkeit, Niederschlag sowie andere meteorologische Parameter. Damit werden die Ausbreitung und chemische Umwandlung der Schadstoffe aus unterschiedlichen Quellen berechnet. Die Schäden entstehen dadurch, dass der Feinstaub eingeatmet wird und im Lungengewebe und in den Arterien Entzündungen verursacht, die dann zu Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen führen. „Kohlekraftwerke sind lautlose Killer“, meint der Greenpeace-Bericht mit dem Titel „Tod aus dem Schlot“.
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