Deutsche Tiefengeothermie in der Lernkurve
Erdwärmekraftwerke erzeugen inzwischen nicht nur Wärme, sondern speisen auch Strom ins deutsche Netz ein. Auf die Aufbruchstimmung folgte der Lernprozess im Praxisbetrieb. Das war auf der 3. Euroforum-Konferenz Geothermie letzte Woche in München ein zentrales Thema. So erfordere zum Beispiel die Pumpentechnologie innovative Lösungen, hieß es auf der Tagung. VDI nachrichten, München, 5. 2. 10, swe
Rüdiger Schulz war anfänglich davon überzeugt, Geothermie in Deutschland eigne sich nur für den Wärmemarkt. Doch inzwischen hat sich Schulz, Professor und Leiter des Bereiches Geothermik und Informationssysteme am Leipniz-Institut für Angewandte Geophysik in Hannover, eines Besseren belehren lassen: „In Deutschland gehören wir jetzt zum ersten Mal zum Kreis derer, die elektrische Leistung ins Netz einspeisen.“
„Wir lernen unheimlich viel in den laufenden Projekten, und es gibt noch viel zu lernen“, sagte Pascal Schlagermann vom Energieversorger EnBW dazu auf der Geothermiekonferenz des Euroforums letzte Woche in München.
Laut Rüdiger Schulz gebe es zurzeit insgesamt fünf Anlagen in Deutschland, die zusammen über eine Kapazität von rund 7 MW elektrischer Leistung verfügen. Zur Stromerzeugung nutzen sie entsprechend den geologischen Bedingungen in Deutschland „hydrogeothermische Systeme“, sprich Aquifere (grundwasserleitende Schichten) und „Thermalwasser ab 100 °C“ in einer Tiefe zwischen 2000 m bis 4000 m.
Das Erdwärmekraftwerk Neustadt-Glewe im Norddeutschen Becken ist mit 0,23 MW elektrischer Leistung seit November 2003 am Netz und hat nach Prof. Schulz¿ Worten weltweit erstmalig gezeigt, dass Strom auch mit Thermalwasser unter 100 °C erzeugt werden kann. Möglich macht dies eine Organic-Ranking-Cycle(ORC)-Turbine (s. Kasten). Diese arbeitet mit anderen Arbeitsmitteln als Wasser und ist für niedrige Temperaturen besonders geeignet.
In Neustadt-Glewe ist die ORC-Turbine hinter der Förderbohrung in den Thermalwasserkreislauf integriert. Hier wird das 97 °C heiße Thermalwasser nach oben gepumpt, im Filterhaus gereinigt und anschließend in zwei Strömen zum Heizhaus und Kraftwerk geleitet.
Im Kraftwerk gibt das Thermalwasser dann über einen Wärmetauscher seine Wärme an das organische Arbeitsmedium ab, das eine niedrigere Verdampfungstemperatur als Wasser hat und die Dampfturbine zur Stromerzeugung antreibt. Danach gelangt das ausgekühlte Thermalwasser zurück in den Thermalhauptwasserstrom und wird im Heizhaus mit Wärmetauschern zu Heizzwecken ausgekühlt. Dann wird das Wasser in die über 2 km tiefe Injektionsbohrung verpresst.
Neben den ORC-Anlagen arbeiten in Deutschland geothermische Kraftwerke mit dem Kalina-Prozess, um Strom zu erzeugen. Anlagen nach dem Kalina-Prinzip arbeiten zum Antrieb der Dampfturbine mit einem Ammoniak-Wasser-Gemisch als Arbeitsmedium. Die thermodynamischen Verluste seien hier bei der Übertragung des Thermalwassers auf den Kraftwerksprozess geringer als bei ORC-Anlagen, erläuterte EnBW-Experte Pascal Schlagermann. Die Wärmeverluste von ORC-Anlagen könnten jedoch durch zwei Verdampferstufen reduziert werden, weiß er.
In Unterhaching entpuppt sich Fernwärme aus dem Untergrund als Verkaufsschlager
Sowohl die Anlage Bruchsal von EnBW im Oberrheingraben als auch das größte deutsche geothermische Kraftwerk Unterhaching bei München erzeugen Strom mittels des Kalina-Verfahrens. Während Unterhaching mit 3,4 MW elektrischer Leistung im Februar 2009 seinen regulären Betrieb aufgenommen hat, befindet sich Bruchsal mit 0,55 MW derzeit in der Inbetriebnahme.
In Unterhaching werde in erster Linie Fernwärme erzeugt und vom Rest Strom, weil dies wirtschaftlicher sei, erklärte Gerlinde Kittl, Geschäftsführerin des Anlagenbetreibers Geothermie Unterhaching GmbH & Co KG. Zum einen sei der Wirkungsgrad in der Stromerzeugung schlechter und zum anderen könne in Unterhaching mit Fernwärme mehr Umsatz gemacht werden.
„Fernwärme aus Geothermie ist in Unterhaching ein Verkaufsschlager“, sagte Kittl in München. Binnen drei Jahren decke sie mit 37 MW thermischer Leistung rund 30 % des gesamten Wärmebedarfs der Gemeinde mit 22 000 Einwohnern ab. Ziel ist eine thermische Anschlussleistung von 80 MW bis 2020.
„Die Stromerzeugung nach dem Kalina-Prinzip funktioniert jetzt weitgehend fehlerfrei“, erklärte Geothermie-Betreiberin Gerlinde Kittl. Wie bei allen Pilotprojekten hätten Anfangsschwierigkeiten bestanden, was Auslegung und Materialwahl betrifft. So traten im August 2009 erneut Undichtigkeiten an den Plattenwärmetauschern auf, so dass das Dichtungsmaterial ausgetauscht werden musste. Zudem war im Dezember ein Pumpenwechsel fällig, nachdem im Juni 2009 eine leistungsstärkere Förderpumpe eingebaut worden war.
Die Pumpentechnologie erfordere im Betrieb geothermischer Anlagen aufgrund der hohen Temperaturen innovative Lösungen, hieß es von mehreren Seiten auf der Geothermiekonferenz in München. Auch Gasbildung oder Korrosionen und Ablagerungen an Leitungen, Bohrgestänge und Pumpen sind ein Thema vor allem dann, wenn der Salzgehalt des Thermalwassers wie im Oberrheingraben und im Norddeutschen Becken hoch ist.
Das Kraftwerk Landau im nördlichen Oberrheingraben laufe nach den Beben im August und September 2009 bis Ende März 2010 im vorsichtigen Probebetrieb, das heißt mit einer elektrischen Leistung von 2,2 MW und einem Kopfdruck von 45 bar, informierte Peter Hauffe, Geschäftsführer der Pfalzwerke geofuture GmbH, auf dem Euroforum Geothermie in München. Bis dahin prüfe eine Expertengruppe, ob es ein Zusammenhang zwischen den Beben und dem Kraftwerksbetrieb gibt.
Intensives Krisenmanagement und die Information der Bürger ständen ganz oben auf der Agenda, erklärte Peter Hauffe. Ungeachtet dessen ist der Geschäftsführer von der Geothermie weiterhin begeistert und hofft, dass aus dem Traum, der Realität wurde, kein Albtraum wird.
Eine elektrische Leistung von 280 MW bis 2020 laut Leitstudie des Bundesumweltministeriums 2008 in der tiefen geothermischen Stromerzeugung zu installieren, ist mit Blick auf den aktuellen Stand ein sportliches Ziel.
Von der Planung bis zur Realisierung geothermischer Projekte vergingen in der Regel fünf Jahre, machte der Hannoveraner Geothermieprofessor Rüdiger Schulz deutlich. Um Bohr- und Fündigkeitsrisiken zu minimieren sowie die Gefahr von Erdstößen einzuschätzen, sei die Bedeutung einer gründlichen Machbarkeitsstudie inklusive Seismik nach neuestem Stand der Technik nicht hoch genug zu bewerten.
JOSEPHINE BOLLINGER-KANNE
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