Effizient und umweltfreundlich 22.07.2020, 07:01 Uhr

Die Kraft des Wassers nutzen – mit einem Schacht im Flussbett

Forscher der Technischen Universität München (TUM) haben mit dem neuen Schachtwasserkraftwerk eine Alternative zu herkömmlichen Wasserkraftwerken entwickelt. Mit dem Schacht im Flussbett wird umweltfreundlich Energie erzeugt und zugleich die Natur geschont.

Wasserschachtkraftwerk an der Loisach

Die Besonderheit der Wasserschachtkraftanlage: Die Turbinen und Generatoren befinden sich in zwei Schächten, die vor der Rampe in das Flussbett gebaut wurden.

Foto: Frank Becht / TUM

Die Loisach entspringt in Tirol, Österreich, und mündet nach gut 113 Kilometern nahe Wolfratshausen in die Isar. In der Nähe des Ortes Großweil im Landkreis Garmisch-Partenkirchen haben Forscher der TUM in der Loisach das erste Schachtwasserkraftwerk in Betrieb genommen. Da konventionelle Wasserkraftwerke zwar einerseits Strom aus einer erneuerbaren Quelle erzeugen, sie aber andererseits auch ökologische Probleme mit sich bringen, haben die Wissenschaftler an einer Alternative getüftelt. Das Ergebnis: Ein Schacht wird direkt in das Flussbett gebaut. Darin sind Turbine und Generator untergebracht. Das Flusswasser fließt wie bisher weiter, gelangt zusätzlich in den Schacht und treibt dort die Turbine an. Allerdings mit möglichst geringem Sog im Schacht. Unterhalb des Wehrs wird das Wasser in den Fluss zurückgeleitet. Mit dieser Konstruktion könne man den Großteil des Wassers nutzen, nur ein kleinerer Teil fließt über den Schacht und das Wehr hinweg. Der Vorteil: Der Flusslauf muss nicht verändert oder umgeleitet werden, auch die Fische nehmen keinen Schaden. Vielmehr können sie entweder oberhalb des Schachtes ihren Weg finden oder durch zwei Öffnungen im Wehr problemlos weiter flussabwärts wandern. Für den Weg flussaufwärts gibt es eine Fischtreppe.

Durch die Öffnungen können nicht nur die Fische schwimmen, sondern auch Treibholz und Geröll gelangt hindurch. Beides ist wichtig, weil Fische solche Ansammlungen und Ablagerungen als Laichplätze nutzen. Damit die Turbine vor diesen Gegenständen geschützt wird, ist eine Art Rechen, ein kleines Gitter so angebracht, dass es auf dem Schacht liegt und nicht die Bewegungen der Fische stört. Das Gitter kann zusätzlich von der Anlage flussabwärts geschoben werden. Das funktioniert über einen Verschluss im Wehr, das sich öffnen lässt. Somit ist es auch möglich, Hochwasser entgegenzuwirken, das darüber abgelassen werden kann.

Strom für rund 800 Haushalte

Die Forscher haben nicht nur den ökologischen Aspekt bei der Entwicklung betrachtet, sondern auch darauf geachtet, die Strömung so zu steuern, damit das Kraftwerk möglichst effizient Strom produziert. Es erzeugt Strom für rund 800 Haushalte und leistet einen Beitrag zur dezentralen Energieversorgung. Ihren ersten Stresstest hat die Anlage im Frühjahr bereits bestanden und auch dem ersten Hochwasser getrotzt. „Wenn wir sowohl das Klima als auch die Natur schützen wollen, müssen wir Technologien entwickeln, mit denen wir beide Ziele so gut wie möglich in Einklang bringen“, sagt Peter Rutschmann, Projektleiter des Schachtwasserkraftwerks und Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der TUM. „Dabei ist klar, dass es eine hundertprozentige Erhaltung des Naturzustands mit keinem Wasserkraftwerk geben kann.“ Schließlich können die Forscher nicht ausschließen, dass sehr kleine Fische in das Schachtkraftwerk gesogen werden. Allerdings sei es möglich, dass ein Großteil von ihnen das Kraftwerk unverletzt passieren könne.

Herkömmliche Wasserkraftwerke verursachten deutlich mehr ökologische Probleme, so die Forscher. Sie würden das Wasser in der Regel durch ein Maschinenhaus umgeleitet, um die Turbine anzutreiben. Die Strömung treibe häufig Fische zum Kraftwerk, die sich an Turbine und Gittern tödlich verletzten. Neben den natürlichen Lebensräumen würden auch Fischwanderwege und Uferlandschaften geschädigt. Das alles habe dazu geführt, dass ökologische Vorgaben in jüngster Vergangenheit gestiegen seien, die es nahezu unmöglich machten, neue Anlagen dieser Art in Deutschland zu realisieren. Auch deshalb entwickelte das Team am Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft den neuen Typ eines Wasserkraftwerks.

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Zwölf weitere Anlagen in Planung

Mit ihrem neuen Schachtkraftwerk erfüllen die Forscher strenge ökologische Kriterien. Nur so war es möglich, eine Genehmigung für die Anlage zu erhalten, die in einem Natura-2000-Gebiet betrieben wird. Natura 2000 wurde 1992 von der Europäischen Union als ein länderübergreifendes Netz an Schutzgebieten beschlossen. Es dient dem Erhalt wild lebender Pflanzen und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume. In solchen Gebieten gelten strenge Auflagen. In diesem Fall verbessert die neue Anlage die Fischwanderwege sogar. Denn das Kraftwerk wurde an eine bereits vorhandene Rampe gebaut, die für Fische bislang kaum zu überwinden war. Deshalb musste kein neues Wehr gebaut werden.

Nach Angaben der Forscher eigne sich das Schachtkraftwerk für unterschiedlich große Flüsse sowie für unterschiedliche Fallhöhen. Es sei auch möglich – je nach Gewässergröße und Bedarf – mehrere Schächte anzulegen, in denen nebeneinander Strom erzeugt wird. In der Loisach kommen zwei Schächte zum Einsatz, die Fallhöhe liegt bei 2,5 Metern. Während die TUM mehrere Patente auf diese Erfindung hält, hat die Hydroshaft GmbH, eine Ausgründung der TUM, die Nutzungsrechte erworben, die sie in Form von Lizenzen an Kraftwerksbetreiber weitergibt. Zwölf weitere Anlagen in der Iller, Saalach, Würm und im Neckar sind bereits in Planung. „Das Schachtkraftwerk kann helfen, die ökologisch wertvollen Lebensräume in Flüssen zu bewahren“, sagt Rutschmann.

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Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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