E-Fuels: Müssen alle zahlen, damit Reiche fliegen können?
Die Energiewende muss sozial gerechter werden: Warum E-Fuels die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern könnten – und was dagegen hilft.

E-Fuels gelten als eine Möglichkeit, den Luftverkehr klimaneutral zu gestalten. Laut einer neuen Studie, geht das hauptsächlich zu Lasten privater Haushalte.
Foto: PantherMedia / PhotoTime (YAYMicro)
Die Energiewende ist ein zentrales Projekt Europas. Sie soll die Staaten der EU bis 2050 klimaneutral machen. Technologisch ist das eine Herausforderung. Politisch ist sie gewollt. Gesellschaftlich gilt sie als notwendig. Doch ein Aspekt wird bisher zu wenig beachtet: die soziale Gerechtigkeit. Der französische Energieexperte Jean-Baptiste Jarin warnt davor, dass die aktuelle Energiepolitik die soziale Schieflage in Europa verschärfen könnte – anstatt sie zu verringern. E-Fuels hat er dabei besonders ins Visier genommen.
Inhaltsverzeichnis
Unfaire Lastenverteilung durch Steuerpolitik
Jarin forscht an der Universität Pau in Südfrankreich. In einem Beitrag für das Fachjournal Climate Policy zeigt er auf, wie die heutige Steuerpolitik bei Energieverbrauch für soziale Ungleichheit sorgt. Der zentrale Vorwurf: Während Haushalte in Europa für ihren Strom tief in die Tasche greifen müssen, profitieren bestimmte Industrien – vor allem die Luftfahrt – von Steuererleichterungen.
Ein Beispiel ist der Flugverkehr. Der Strom, der zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe für Flugzeuge (E-Fuels) genutzt wird, ist laut Jarin drei Mal günstiger als der Strom für Haushalte. Die Differenz liegt nicht in den Produktionskosten, sondern vor allem in steuerlichen Privilegien.
Energie für Grundbedürfnisse – teurer als für Luxusmobilität
Während jede und jeder Strom für Heizen, Licht oder Kochen benötigt, nutzen nur wenige Menschen den Luftverkehr regelmäßig. Laut Jarin entfällt rund zwei Drittel der Flugkilometer in der EU auf das wohlhabendste Prozent der Bevölkerung. Die ärmere Hälfte der Europäer:innen hingegen fliegt kaum.
Die Energiepreise sind dabei klar verteilt: Strom für Haushalte kostet im Schnitt 194 Euro pro Megawattstunde. Für die Produktion von E-Fuels fallen dagegen nur 65,5 Euro an – trotz des hohen Strombedarfs. Der Grund: E-Fuel-Anlagen gelten als energieintensive Industrie. Sie sind oft von Steuern, Netzentgelten und Abgaben befreit. Auch das Endprodukt – das synthetische Kerosin – bleibt im Luftverkehr weitgehend steuerfrei.
Flugreisen vs. Haushalt: Der Stromvergleich
Der Stromverbrauch macht die Dimension des Problems sichtbar. Für einen Hin- und Rückflug von Paris nach New York fallen bei Nutzung von E-Fuels rund 7.300 Kilowattstunden pro Person an. Das ist mehr als der gesamte jährliche Strombedarf eines Haushalts in Frankreich, inklusive E-Auto-Ladung – dieser liegt bei etwa 5.000 Kilowattstunden.
Diese Ungleichverteilung ist sozial problematisch. Sie führt nicht nur zu höheren Preisen für Haushaltsstrom, sondern gefährdet auch die Akzeptanz der Energiewende. Denn: Wer den Eindruck hat, dass wenige profitieren, während viele zahlen, verliert das Vertrauen in politische Entscheidungen.
Energiebedarf pro Jahr | kWh pro Person |
Heizen, Kochen, Licht | ca. 3500 |
E-Auto (10.000 km) | ca. 1500 |
E-Fuel Flug (1 Roundtrip) | 7300 |
Energie nach Bedürfnissen besteuern
Jarin schlägt deshalb eine grundlegende Reform der Strombesteuerung vor. Er orientiert sich dabei an der Bedürfnispyramide von Maslow. Primäre Bedürfnisse wie Heizen, Kochen oder Licht sollten steuerlich entlastet werden. Sekundäre (z. B. E-Auto-Ladung) und tertiäre Bedürfnisse (wie Fernreisen mit dem Flugzeug) sollten hingegen stärker zur Finanzierung der Energiewende beitragen.
Sein Vorschlag: Der Steuersatz soll sich nach dem Zweck des Energieverbrauchs richten. Je lebensnotwendiger die Anwendung, desto geringer die steuerliche Belastung. Je entbehrlicher, desto höher.
„Während die gesamte Bevölkerung auf Strom angewiesen ist, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, kommt die Nutzung der Flugmobilität vor allem den Wohlhabendsten zugute“, erklärt Jarin.
Technisch möglich, aber sozial fragwürdig
E-Fuels gelten als vielversprechend für den Luftverkehr. Sie lassen sich aus Wasserstoff und CO₂ herstellen. Dafür ist jedoch enorm viel Strom nötig. Pro Tonne E-Fuel werden rund 28 Megawattstunden benötigt. Eine vollständige Substitution des fossilen Flugbenzins weltweit würde über 120.000 Terawattstunden Strom pro Jahr verschlingen – etwa fünfmal so viel wie der heutige globale Stromverbrauch.
Die Politik setzt dennoch auf E-Fuels. In der EU sollen ab 2025 mindestens 2 % der Flugkraftstoffe nachhaltig sein, bis 2050 sogar 70 %. Doch dabei bleibt die soziale Komponente häufig außen vor. Wer bekommt den Zugang zu günstigem Strom? Und wer muss die steigenden Preise am Ende tragen?
Auswirkungen auf Netz, Preise und Gesellschaft
Die Herstellung von E-Fuels beeinflusst nicht nur die soziale Gerechtigkeit, sondern auch das Energiesystem. Neue Power-to-Liquid-Anlagen brauchen stabile Stromnetze, am besten an Standorten mit viel Wind- oder Sonnenenergie. Doch auch dort konkurrieren sie mit anderen Anwendungen: Haushalten, Wärmepumpen, Industrie, E-Mobilität.
Steigt die Stromnachfrage stark an, können die Preise steigen. Das trifft besonders Menschen mit niedrigem Einkommen. Jarin warnt deshalb vor „erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Folgen“: Höhere Energiepreise, mehr Inflation, geringeres Wirtschaftswachstum. Am härtesten träfe das die ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppen.
Jarins Analyse basiert zwar auf französischen Daten, lässt sich aber prinzipiell auf viele EU-Länder übertragen. Denn sie alle folgen der gleichen Energiesteuerrichtlinie. Unterschiede gibt es nur bei der konkreten Umsetzung. Daher gilt sein Appell an die Politik europaweit: Bei allen technologischen und wirtschaftlichen Entscheidungen darf die soziale Dimension nicht aus dem Blick geraten.
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