Endlagerung: Frankreich setzt auf Tonschieferformation
Das seit Jahren auf seine Sicherheit getestete Endlager für hochradioaktive Abfälle im lothringischen Bure soll Frankreichs nukleares Entsorgungszentrum werden. Damit hätte Paris wohl weltweit eine der ersten kompletten Lagerstätten für hoch- und mittelradioaktiven Abfall errichtet, wenn die Anlage 2025 wie geplant ihren Betrieb aufnimmt. Für mindestens 100 000 Jahre, so Experten, soll das Depot abgebrannter Kernbrennstäbe keine Gefahr darstellen.
Ein gigantisches und beispielhaft sicheres Projekt, urteilt Geochemikerin Agnes Vinsot, die Besucher aus aller Welt durch die etwa 500 m tief liegenden Stollen unterhalb des Dörfchens Bure führt. Die bisher angelegten Tunnel hätten eine Länge von insgesamt 1,5 km. Die 120 m dicken Lehmschichttunnelwände hielten jede Flüssigkeit fern, so die Vertreterin der französischen Entsorgungsagentur Andra (L’Agence nationale pour la gestion des déchets radioactifs).
Das Herzstück, ein weitläufiges Forschungslabor, liegt unter der Erde. Hier arbeitet seit acht Jahren eine Gruppe von Geologen, Chemikern, Physikern und Atomwissenschaftlern, auch Experten aus der Bundesrepublik. Ihre Hauptaufgaben: die Erdbeschaffenheit, ihre Härte, Haltbarkeit, Luft- und Wasserdurchlässigkeit sowie Feuchtigkeit zu testen. So schreibt es das am 28. Juni 2006 in der französischen Nationalversammlung verabschiedete Gesetz vor.
Bis 2025 sollen alle abgebrannten Kernbrennstäbe aus den 56 französischen Reaktoren in Bure verarbeitet und gelagert werden. Ein Drittel des bisher angefallenen Nuklearmülls lagert Frankreich derzeit in der Wiederaufbereitungsanlage La Hague am Ärmelkanal.
Die Forscher in Bure lassen gern durchblicken, die Anlage sei ein Musterendlager, das alle sicherheitspolitischen Auflagen erfülle. Sie sind überzeugt, dass Frankreich das „ehrgeizigste Projekt“ der internationalen Nuklearindustrie realisiert. Sie verfolgen aufmerksam die Kontroverse um Gorleben in Deutschland. Die Frage einer möglichen deutsch-französischen Kooperation auf dem Entsorgungsgebiet wird so beantwortet: „Den Deutschen eine Zusammenarbeit in der Unterbringung ihres Atommülls im lothringischen Bure anzubieten, ist nicht unsere Aufgabe.“
Ein Interesse an den Arbeitsergebnissen in Frankreich besteht zweifellos: Die Bundesanstalt für Geowissenschaften unterstützt die Forschungen in Bure: Deutsche Fachleute vor Ort wurden bis jetzt mit rund 2,4 Mio. € gefördert. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei der Linken im Bundestag hervor.
Für die Sicherheit der französischen Anlage war bisher die Gesellschaft Andra zuständig. Sie wird in Kürze von einer neuen Behörde, dem Verwaltungsunternehmen Cigéo, übernommen, dem Industriezentrum für geologische Lagerung des radioaktiven Abfalls, dem „Centre industriel de stockage géolo-gique des dechets radioactifs“.
Unter der Leitung der neu gegründeten Einrichtung sollen in den nächsten zwölf Jahren hochradioaktive nukleare Brennstäbe in Glaskokillen eingehüllt und in 40 m langen Metallröhren verpackt werden. Sie erhalten zur weiteren Sicherheit einen Stahlmantel.
Die wie Riesenbatterien aussehenden Kokillen werden in 100 m langen Tunneln (Breite 70 cm) gelagert. 10 000 m2 sind für den Platz von 60 000 hochradioaktiven Kokillen vorgesehen. Mittelradioaktiver Abfall wird in 150 000 Kokillen gepresst und auf einer Gesamtfläche von 70 000 m2 untergebracht. Das Netz von Lagerräumen wird unterirdisch eine Strecke von 200 km umfassen.
Der definitive Ausbau von Bure zum zentralen französischen Entsorgungslager soll 2017/2018 beginnen. In der ersten Phase „versenkt“ Cigéo fünf bis zehn Kokillen pro Tag. Je nach Fertigstellung der Tunnel, Nischen und Schächte wird die Einlagerung erweitert.
Diese Operation – Bau und Inbetriebnahme – soll bis 2025 über 15 Mrd. € kosten. Mitte dieses Jahres werde es eine neue Kostenberechnung geben, weil die Prüfungsgrundlagen etliche Jahre alt seien, heißt es bei Cigéo.
Im Mittelpunkt der Arbeiten steht noch immer die Frage nach der Erdbeschaffenheit. Das in Bure anzufindende Tonschiefergestein soll sich besonders gut eignen; die 120 m dicke Lehmschicht in den Schächten von Bure wirke wie ein „zusätzlicher Betonpanzer“, der den Atommüll gebündelt absichert.
Zum Standort Bure, einer Ortschaft von 94 Einwohnern rund 150 km von der deutschen Grenze entfernt, gibt es keine Alternative. Andere Entsorgungsplätze hat die Regierung in Paris erst gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.
Für die Ausbauarbeiten in Bure – Bohrungen wurden erstmals 1994 durchgeführt – sollen über 2000 Mitarbeiter eingestellt werden. Da bereits Hunderte von Fachingenieuren in den 19 französischen KKW beschäftigt sind, drängen Andra-Experten, die Stellen europaweit auszuschreiben. An mehrsprachigen Wissenschaftlern ist Andra sehr interessiert, da das Management des Kerntechnikgeschäfts immer stärker international tätig sein muss. LUTZ HERMANN
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