Energie-Planspiel EU 2030: 1 Billion € für neue Kraftwerke
Die EU wird voraussichtlich in 20 Jahren knapp die Hälfte ihres Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen. Dennoch werden Gas, Kohle, Öl und Kernkraft nicht verschwinden. Das ergab eine Umfrage des VDMA unter Experten. Doch 2050 könnte die EU den Strom zu 100 % mit erneuerbaren Energien erzeugen. Den Weg dahin zeigt PricewaterhouseCoopers auf. VDI nachrichten, Berlin, 9. 4. 10, swe
„Es wird mittelfristig keine Ablösung einer bestimmten Energieart geben. Wer glaubt, auf einzelne Energieträger verzichten zu können, irrt gewaltig und setzt die Stromversorgungssicherheit in Europa aufs Spiel.“ Die beiden Sätze von Thorsten Herdan, Geschäftsführer des Bereiches Power Systems beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), sind eine Landmarke. Herdan setzte sie in Berlin, als er einen „Expertenausblick“ zum Stromerzeugungsmix im Jahr 2030 für die 27 EU-Staaten vorstellte.
2030 wird in der EU fast die Hälfte des erzeugten Stroms (48 %) aus erneuerbaren Energien kommen, so das VDMA-Szenario. Der Stromanteil von Kohle und Gas soll bei 33 % liegen, die Kernenergie hält einen Anteil von 19 % (s. Grafik). Diese Zahlen bedeuten einen EU-weiten Neubau von 800 GW Stromerzeugungskapazität bei einem Investitionsbedarf von deutlich mehr als 1000 Mrd. €. Das wäre eine positive Entwicklung für die deutschen Anlagenbauer.
Der Vorstandsvorsitzende von VDMA Power Systems, Christof von Branconi, schätzt, dass künftig eine „hohe Nachfrage“ im Anlagenbau die Folge sein wird und attestierte der Branche „hervorragende Wachs-tumschancen“.Der erwartete Kapazitätszuwachs von 800 GW in der EU könnte überwiegend nur durch Anlagenneubauten erreicht werden, so die befragten Experten. Der Rest entfalle auf den Ersatz von Altanlagen, die in den kommenden 20 Jahren ersetzt werden müssten.
Benötigt werden vor allem Anlagen für erneuerbare Energien. Zwei Drittel werden laut von Branconi auf diesen Bereich entfallen. Zunehmen werden vor allem Offshore-Windanlagen. Etwa 30 % der Neuanlagen werden Kraftwerke für Kohle und Gas ausmachen. Bei den fossilen Energien werden es vor allem Gaskraftwerke sein. Ab 2020 würden zudem Braunkohlekraftwerke mit CCS-Technik gebaut. CCS – Carbon Capture Storage – steht für die Abscheidung des Verbrennungsabgases CO2 aus dem Rauchgas und die anschließende Speicherung des CO2.
Bei der Kernkraft rechnet der VDMA-Verband Power Systems mit einem Anteil von 3 % an Neubauten, so in Finnland, Frankreich oder Großbritannien. Den Zahlen liegt bei der Kernenergienutzung die jeweilige Landesvorgabe zugrunde. Für Deutschland wurde das derzeitige, gesetzlich geltende Ausstiegsszenario angenommen.
Die Hochrechnung auf die europäische Energiezukunft hält VDMA-Mann Herdan für realistisch. „Wir glauben, dass das so kommt“, erklärte er bei der Vorstellung der Expertise in Berlin. Denn Europa könne auf keinen einzelnen Energieträger verzichten, wenn die umweltpolitischen Ziele erfüllt werden sollen und zudem Versorgungssicherheit zu gewährleisten sei, heißt es in der VDMA-Expertise.
Ein Selbstläufer ist das VDMA-Szenario nicht: „Die drohende Überalterung des Kraftwerksparks für fossile Energieträger stellt eine reale Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit Europas und für die Erreichung der ambitionierten Klimaschutzziele dar“, sorgt sich von Branconi.
Herdan und von Branconi mahnen entsprechende politische Rahmenbedingungen an. Angefangen bei der fehlenden Nachfolgeregelung für das internationale Klimarahmenabkommen, das Kyoto-Protokoll, bis hin zu mangelnder Akzeptanz der Bürger bei Neubauprojekten. Dies gelte für fossile Kraftwerke wie für Windräder.
Der Vorteil des VDMA-Szenarios für 2030: Die EU würde gegenüber 2005 eine Verringerung der Treibhausgasemissionen von rund 45 % erreichen. Noch besser ginge dies, würde die EU ihren Strom komplett aus erneuerbaren Energien erzeugen. Für 2030 geht das nicht, zeigt das VDMA-Szenario. Für 2050 ginge es schon. Wie, das beschreibt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) in einer Studie in Zusammenarbeit mit europäischen Forschungsinstituten.
Die Forscher beziehen dabei auch Nordafrika mit in ihr Szenario ein und entwickeln eine Art Blaupause für Politik und Wirtschaft. Die wichtigsten Schritte seien die Entwicklung europaweiter Pläne für erneuerbaren Strom bis 2015, Netzinfrastrukturprojekte auf europäischer Ebene und der Abbau von Subventionen für fossile Brennstoffe bis 2020.
„Die Entkarbonisierung des Energiesektors benötigt wahrscheinlich einen starken Zuwachs bei erneuerbarer und Kernenergie wie auch den Einsatz von CCS-Technik im kommerziellen Maßstab“, resümiert Richard Gledhill, Energiewirtschafts- und Klimaschutzexperte bei PwC. BIRGIT BÖHRET
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