„Energiedrachen“ ernten Windenergie
Drachen haben das Zeug zum Multitalent. Sorgten die bunten Fluggeräte früher bei Kindern für leuchtende Augen, brettern heute Extremsportler damit über Wellen oder sie stürzen sich von Bergen hinunter in tiefe Täler. Geht es nach den Vorstellungen einiger Wissenschaftler, dann sollen bald Drachen die Energie des Windes ernten – und das weltweit.
An dem Projekt „Energiedrachen“ tüfteln Wissenschaftler und Ingenieure rund um den Globus. Ihr Ziel ist immer das gleiche: Da, wo die Flügelspitzen der größten Windenergieanlagen aufhören, sollen die Drachen erst anfangen, die Energie in sehr konstanten Windschichten zu ernten.
Angestrebt werden Flughöhen von bis zu 600 m, und die Macher gehen durchaus euphorisch an die Sache heran. Ausgehend von ersten Prototypen bis 30 kW, hören die technischen Träume zurzeit bei einer Leistung von 5 MW auf. Dabei argumentieren die Drachenpioniere mit Blick auf die verwandte Windenergie damit, dass sich Rotoren, Fundamente und Türme durch ein Seil und eine Steuerung ersetzen lassen und gleichzeitig die Energieausbeute bei sinkenden Kosten steigt.
„Energiedrachen“ aus Europa: Windenergie aus der Luft, Stromerzeugung am Boden
Diese Idee setzen die Akteure auf dem Weg in luftige Höhen unterschiedlich um. Während in Europa die Fluggeräte tatsächlich meist wie Drachen aussehen und der Strom am Boden erzeugt wird, bauen Entwickler in den USA fliegende Windturbinen aus Karbon und Glasfasern und verlagern die Stromgewinnung in die Luft. Prominentester Vertreter dieser Richtung ist das 2006 in Kalifornien gegründete Unternehmen Makani Power mit seiner Airborne Wind Turbine (AWT).
Aufs Geld müssen die Erfinder nicht so genau schauen, da sich unter anderem der Internetgigant Google mit 25 Mio. $ an dem Drachenprojekt beteiligt. Makani setzt auf eine futuristisch anmutende AWT, welche an ein Flugzeug ohne Rumpf erinnert. Der Prototyp mit 30 kW besteht aus einer Tragfläche mit einer Spannweite von 8 m, vier Rotoren und einem Leitwerkträger.
In Höhen zwischen 300 m und 600 m fliegt die AWT in Form eines Kreises mit hohen Geschwindigkeiten quer zum Wind und dadurch schneller als die Windgeschwindigkeit, und wird von einem Hauptseil gehalten. Über ein zusätzliches Seil, das nicht dynamisch beansprucht wird, soll die in der Luft von Rotoren produzierte Energie in Zukunft auf den Boden gelangen.
Dahinter steht die Idee, ein autonomes System mit aktivem Antrieb zu konstruieren. Dafür hat Makani einen speziellen Hybridrotor (Repeller) konstruiert. Mit jeweils vier dieser Rotoren können die Fluggeräte automatisch starten und landen. Erreicht ein AWT die angepeilte Flughöhe, dann schaltet das System vom Schwebeflug in den Cross Flight quer zum Wind um und die Rotoren erzeugen Energie.
Autonome „Energiedrachen“ für die Windenergie-Produktion als Ziel
Anfang 2012 war es Makani zum ersten Mal gelungen, einen vollautomatischen Flug hinzulegen. Dabei wechselte das System selbstständig vom Schwebeflug in eine Flugbahn quer zum Wind und wieder zurück. Den Prototypen will Makani zunächst auf 600 kW skalieren und am Ende eine AWT mit einer Leistung von 5 MW für den Einsatz auf See bauen. Dann könnten Drachen in Parks auf dem Meer automatisch von Plattformen abheben und Strom in den Höhen produzieren, die für die klassische Windenergie unerreichbar sind.
Allerdings wären die AWT von Makani bei Spannweiten von 70 m ziemlich schwer und sie müssten aufgrund der aerodynamischen Kräfte zudem enorme Flügelbelastungen aushalten. „Ein Vorteil bei Makani liegt darin, dass die Turbinen für Start und Landung einen aktiven Antrieb besitzen. Es ist alles andere als trivial, einen großen Lenkdrachen zu konstruieren, der sich automatisch starten und landen lässt“, weiß Roland Schmehl von der Technischen Universität Delft in den Niederlanden aus Erfahrung.
Die Forschungsgruppe hat seit Anfang 2010 die vierte Generation ihres Kite-
Power-Systems im Test. Abgesehen davon, dass es sich bei dem Prototypen mit 20 kW Generatorleistung tatsächlich um einen auf 25 m2 Flügeloberfläche vergrößerten und verstärkten Lenkdrachen handelt, ist auch das übrige Konzept völlig anders.
Zur Grundausstattung gehören bei der TU Delft neben dem Lenkdrachen eine mobile Bodenstation sowie eine Seiltrommel, die mit einem Generator gekoppelt ist, der auch als Motor betrieben werden kann. Ein Autopilot übernimmt dabei nicht nur die Flugsteuerung, sondern auch die Regelung des Generators.
Für die Stromproduktion betreiben die Wissenschaftler den Lenkdrachen in einem Pumpzyklus. Dabei wird periodisch zwischen einer Ab- und Aufrollphase der Drachenleine gewechselt. Beim Abrollen der Leine fliegt der Autopilot den Lenkdrachen quer zum Wind, in Form einer liegenden Acht, wobei sich aufgrund der hohen Relativgeschwindigkeit auch eine hohe Zugkraft entwickelt. Beim Erreichen der Maximalhöhe nimmt der Autopilot dem Lenkdrachen quasi den Wind aus dem Segel und zieht ihn bei minimaler Zugkraft auf seine Ausgangsposition zurück. Dann beginnt das Spiel von vorne.
Bei diesem Pumpsystem zieht der Drachen die Leine mit einer Geschwindigkeit von 4 m/s und 320 kg Zugkraft von der Trommel. Die dabei entstehende mechanische Energie verwandelt sich über mehrere Übersetzungsstufen und einen Generator in Strom. Beim anschließenden Einholen des Drachens wird die Leine mit 8 m/s und 60 kg Zugkraft auf die Trommel aufgerollt.
„Energiedrachen“ ernten Windenergie mittels Pumpsystem
In der Praxis erzeugt dieses Pumpsystem deutlich mehr Energie, als für das Einholen des Drachens notwendig ist. Dort sehen die Akteure auch den großen Vorteil gegenüber herkömmlichen Windkraftanlagen: „Wir erzeugen aktuell eine über den Pumpzyklus gemittelte mechanische Leistung von 6,5 kW und wollen diese auf 10 kW steigern. Dabei steigt der Drachen langsam mit maximaler Zugkraft auf und kehrt unter minimaler Zugkraft schnell auf die Ausgangsposition zurück“, erklärt Schmehl. Im Moment fliegen sie den niederländischen Lenkdrachen mit Geschwindigkeiten zwischen 70 km/h und 90 km/h und in Höhen von 150 m bis 400 m.
Der Autopilot ist eine der jüngsten Errungenschaften der Forschungsgruppe. Dafür messen Sensoren die Beschleunigungen und Strömungsgeschwindigkeiten am Kite und ein GPS-System dessen Position. Anhand dieser Daten und eines speziell entwickelten Algorithmus berechnet die Steuerung eine optimale Flugbahn und die entsprechend notwendigen Steuerkommandos für den Tragflügel.
Dabei hat sich das Team dafür entschieden, den Steuercomputer und die Software noch auf dem Boden zu lassen und nur den ferngesteuerten Kabelroboter, der die Lenkseile bedient, direkt unter dem Kite zu platzieren. Und genau in der Steuerung liegt die Herausforderung, denn die Kombination aus Flugmanöver, Seilbelastung und Zugkraft ist ein komplexes Gebilde, das nicht ohne Intelligenz auskommt.
So müssen die Systeme weitgehend automatisch arbeiten. Zum Beispiel dann, wenn ein Kite bei Windstößen innerhalb von Sekunden nach mehr Seil verlangt oder die Konstruktion bei Unwettern schnell vom Himmel muss.
Doch davon lässt man sich nicht schrecken. Als Ziel ist 1 MW anvisiert. Dafür hat Schmehl den Kite von Sky Sails im Auge, der mit einer Fläche von 150 m2 und 8 t Zugkraft als Hilfsantrieb für Schiffe entwickelt wurde. „Ein Kite mit 1 MW Nennleistung wäre in Serienfertigung deutlich billiger und würde aufgrund der günstigeren Windverhältnisse in großer Höhe mehr Strom produzieren als eine bodenstehende Windkraftanlage der gleichen Nennleistung“, sagt er.
Die hohe Verfügbarkeit der Nennlast und minimierte Kosten treiben auch Alexander Bormann, Mitgründer des deutschen Start-up-Unternehmens Enerkite um. Er hat eine ganze Schar von Investoren, Sponsoren und Partnern für den Bau von Energiedrachen begeistert. Ein wichtiger Faktor sind die teuren Spezialleinen. „Längere Seile bedeuten zusätzliches Gewicht und Widerstand und sie müssen irgendwann ausgewechselt werden. Ab einer bestimmten Länge steigen deshalb die Stromgestehungskosten wieder an. Darum konzentrieren wir uns jetzt auf Flughöhen von maximal 300 m“, berichtet er.
Bormann und sein Team verfolgen ein ähnliches Konzept wie die TU Delft. Die wesentlichen Unterschiede bestehen darin, dass Enerkite nicht ein, sondern drei Seile zum Übertragen der Steuer- und der Zugkräfte verwendet und sowohl der Generator als auch die Steuereinheit am Boden sind.
Den Nachteil des höheren Gewichtes von drei Seilen nehmen die Ingenieure nicht nur für eine gewisse Redundanz in Kauf. Sie setzen auch darauf, für die aus Bodenstation und Drachen bestehende Einheit die optimale Seillänge gefunden zu haben. Diese ergibt sich aus dem Gewicht der Seile, das der Drachen tragen muss, den Seilkosten und dem Ertrag. So ist für eine Flughöhe von 300 m etwa die doppelte Seillänge notwendig. Und je länger die Seile, desto größer ihr Windwiderstand, der wiederum die Umlaufgeschwindigkeit des Drachens senkt.
Nach mehrwöchigen Testprogrammen am Boden wird der skalierte Demonstrator mit 30 kW in den nächsten Tagen zum ersten Mal starten. „Wir wollen mit bis zu 40 m/s quer zum Wind fliegen und planen im nächsten Schritt die Skalierung auf Anlagen mit einem Ertrag von ca. 2,5 GWh/a“, erklärt Bormann und bleibt optimistisch: „Aufgrund der anvisierten Flughöhen und der geringen Spitzengeschwindigkeit rechnen wir uns gute Chancen aus, dafür genehmigungsfähige Standorte und Akzeptanz vor Ort zu finden.“
„Energiedrachen“ mit mehr als 100 m Seillänge brauchen eine Sondergenehmigung
Genau hier liegt neben allen technischen Finessen bisher die Crux. Die Luftverkehrsordnung schreibt in Deutschland vor, dass Drachen mit mehr als 100 m Seillänge nur mit einer Sondergenehmigung der Luftfahrtbehörden und dem Okay der Deutschen Flugsicherung starten dürfen.
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