Kryogener Stromspeicher 28.10.2019, 14:44 Uhr

Erste Großanlage speichert Windstrom in flüssiger Luft

Nordengland bekommt die erste Großanlage, die Strom in flüssiger Luft speichern kann. Sie soll das Netz stabilisieren. Die Anlage wird „grüner“ sein als eine Batterie, sagen die Entwickler von Highview Power.

So sieht ein Kraftwerk mit Druckluftspeichern aus. Foto: Highview Power

So sieht ein Kraftwerk mit Druckluftspeichern aus.

Foto: Highview Power

In Englands Norden entsteht der erste Großspeicher für elektrische Energie, der auf flüssiger Luft basiert. Die Technik hat das Londoner Unternehmen Highview Power entwickelt. Es betreibt bereits eine Versuchsanlage in der Nähe von Manchester, die eine Leistung von 5 Megawatt und eine Kapazität von 15 Megawattstunden hat. Die neue Anlage wird die 10-fache Leistung haben.

Energiequelle ist überschüssiger Windstrom. Er wird genutzt, um Luft stark zu komprimieren. Dabei sinkt ihre Temperatur auf minus 196 Grad Celsius ab, sodass sie sich verflüssigt. Bei diesem Prozess verringert sich das Volumen auf ein Siebenhundertstel. Die kalte Flüssigkeit wird in gut isolierten Stahltanks gelagert. So lange die Temperatur nicht steigt, entwickelt sie keinen Druck. Die bei der Komprimierung entstehende Wärme wird ebenfalls gespeichert. Diese Techniken seien bei der Verflüssigung von Erdgas etabliert, sodass keine zusätzlichen Entwicklungskosten anfallen, sagen die Ingenieure.

Kräfte des wachsenden Luftvolumens genutzt

Wenn Strommangel droht, wird die Luft mit der gespeicherten Wärme zurück in Gas verwandelt. Dabei dehnt sie sich um das 700-Fache aus und entwickelt schier unbändige Kräfte, die in einem Turbogenerator in Strom umgewandelt werden. Der reicht, um 25.000 Haushalte einen ganzen Tag mit elektrischer Energie zu versorgen.

Dazu ist der Puffer jedoch nicht gedacht. Ähnlich wie Großbatterien und Pumpspeicherkraftwerke soll er die wetterbedingte, stark schwankende Einspeisung von erneuerbaren Energien glätten, in diesem Fall vor allem von Windstrom. Je mehr grüner Strom produziert wird, desto mehr Pufferspeicher sind nötig.

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Pluspunkte von Flüssigluftspeichern gegenüber Batterien

Aber warum muss es ein derart komplizierter Prozess sein, wenn Batterien das gleiche leisten? Die Entwickler sagen, dass ihr System weitaus sauberer ist. Anders als in Batterien sind keine giftigen, keine gefährlichen und keine raren Materialien nötig. Die Lebensdauer liegt bei mindestens 40 Jahren, wobei die Leistung konstant bleibt. Batterien haben dagegen schon nach wenigen Jahren deutliche Kapazitätsverluste. Meist müssen sie nach 10 oder 15 Jahren ersetzt werden. Flüssige Luft lässt sich zudem wochenlang speichern, während Batterien Strom durch Selbstentladung verlieren.

Für Colin Roy, den Vorsitzenden des Unternehmens, ist die kryogene Speicherung von Strom die kostengünstigste Technologie des Energiespeicherns neben Pumpspeicherkraftwerken. Damit widerspricht er einer Einschätzung des Linde-Konzerns, der ebenfalls einen Flüssigluftspeicher entwickelt hat. Dieser sei derzeit jedoch nicht wirtschaftlich, so das Gasversorgungsunternehmen.

Highview Power plant dagegen, Großbritannien mit gleich mehreren Anlagen zu überziehen. Außerdem sollen die Flüssigluftspeicher exportiert werden – etwa nach Spanien, das sehr viel Solarstrom produziert, nach Südafrika und in den mittleren Osten. Auch Deutschland ist ein potenzieller Abnehmer, weil im Zuge des Ausstiegs aus Kern- und Kohleenergie immer mehr Puffer benötigt werden. Eine aktuelle Studie warnt bereits vor steigenden Strompreisen und sinkender Versorgungssicherheit, wenn die Politik nicht langsam Vorbereitungen für die Zeit nach Kohle und Kernkraft trifft.

Prototyp eines kryogenen Speichers im Gotthardtunnel

Das Flüssigluftspeicher-Kraftwerk ähnelt dem Druckluftkonzept, das Alstom Power Switzerland von 2003 bis 2005 entwickelte, allerdings nicht realisierte. Auch hier sollte die Luft komprimiert werden, allerdings nicht so stark, dass sie sich verflüssigte. Gelagert werden sollte die Druckluft in unterirdischen Kavernen. Die beim Komprimieren anfallende Wärme wäre genutzt worden, um die beim Entspannen abkühlende Luft auf Normaltemperatur zu bringen. Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich nahmen 2016 am Gotthard-Basistunnel, dem längsten Eisenbahntunnel der Welt, einen Prototypen mit einer Kapazität von gerade mal 1 Megawattstunde in Betrieb, der mit dieser Technik ausgestattet ist. Die Wärme wird in Felsgestein gespeichert.

Druckluftspeicher-Kraftwerke mit Seltenheitswert

Derzeit gibt es 3 kommerzielle Kraftwerke, die nach diesem Prinzip arbeiten, allerdings ohne Speicherung der Wärme. Der Verzicht darauf führt zu sehr schlechten Wirkungsgraden, als Puffer sind sie jedoch unverzichtbar. In Deutschland ist es das Kraftwerk Huntorf in Niedersachsen mit einer Leistung von 321 Megawatt, in den USA das Kraftwerk McIntosh in Alabama und in Italien das Kraftwerk Sesta.

 

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Wie häufig das Prinzip des Druckluftspeicherns bereits probiert und wieder aufgegeben wurde, zeigt der Artikel „Strom aus gepresster Luft“ aus dem Jahr 2001

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Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Kempkens

    Wolfgang Kempkens studierte an der RWTH Aachen Elektrotechnik und schloss mit dem Diplom ab. Er arbeitete bei einer Tageszeitung und einem Magazin, ehe er sich als freier Journalist etablierte. Er beschäftigt sich vor allem mit Umwelt-, Energie- und Technikthemen.

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