Europas Gashandel trennt sich von Ölpreisbindung
Die großen westlichen Öl- und Gasproduzenten haben sich damit abgefunden, dass die früher so einträgliche feste Bindung der Gaspreise an jene für Rohöl nicht mehr zu halten ist. Die Internationale Energieagentur (IAE) spricht nun vom „goldenen Zeitalter für Erdgas“.
Der Siegeszug des Flüssigerdgases, branchenüblich als LNG (Liquefied Natural Gas) bezeichnet, hat das früher als leitungsgebundene Energie geltende Erdgas in verflüssigter Form weltweit handelbar gemacht. Der Schiefergasboom in Nordamerika ließ dort die Gaspreise in den Keller rutschen und könnte auch für sinkende Preise am Weltmarkt sorgen – vorausgesetzt die Amerikaner lockern ihre Exportrestriktionen.
Bisher gibt nämlich der aus der Furcht vor weiteren Ölkrisen geborene Export Administration Act von 1979 dem jeweiligen US-Präsidenten das Recht, die Ausfuhr von als knapp geltenden Rohstoffen – namentlich Rohöl – stark einzuschränken oder sogar ganz zu verbieten.
Zwar kann von Knappheit bei Öl und Gas dank der reichlichen Vorräte in unkonventionellen Lagerstätten in den USA keine Rede mehr sein, aber noch herrscht dort die politische Meinung vor, das billige Gas und Öl besser im eigenen Lande zu lassen.
IEA: USA sollten Exportbeschränkungen für Gas und Öl lockern
Maria van der Hoeven, die Vorstandschefin der Internationalen Energieagentur (IEA) mit Sitz in Paris, mahnt die Vereinigten Staaten dringend, ihre restriktive Exportpolitik bei Öl und Gas zu lockern oder am besten ganz aufzugeben. Denn die hohen Hürden für die Ausfuhr von Öl und Gas – Ausnahmen gibt es für Kanada und Mexiko – richten ihrer Meinung nach auch für die USA selbst Schaden an.
Bei zu niedrigen Gaspreisen schränken die in den USA Shalegas fördernden Unternehmen nämlich ihre Förderung ein. Sie fackeln dann bisher die Gasüberschüsse einfach ab und konzentrieren sich auf die Förderung flüssiger Kohlenwasserstoffe. Davon gibt es in den USA aber inzwischen so hohe Überschüsse, dass die Raffinerien selbst bei erweiterter Kapazität mit der Verarbeitung nicht mehr nachkommen. Bei Ölprodukten haben sich die USA durch den Ölschieferboom bereits heute vom Nettoimporteur zum größten Nettoexporteur auf dem Weltmarkt hinter Russland gewandelt.
Statt für den erlaubten Export von Produkten aus Rohöl und Erdgas Umwege suchen zu müssen, sollten die USA den direkten Export erlauben, fordert IEA-Chefin van Hoeven. Denn das würde zu für die Produzenten auskömmlichen und für die Verbraucher noch akzeptablen Preisen führen und damit auch für eine nachhaltige Entwicklung in den USA sorgen.
Grundvoraussetzung für einen funktionierenden und kontrollierbaren internationalen Gasmarkt sind verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu zählen auf Marktpreisen, sprich physischem Geschäft basierende Richt- oder Benchmark-Preise.
Gas wird nur „normalen“ Handelsware
Gas beginnt sich zu einer Commodity, einer ganz normalen Handelsware, zu wandeln. Von den Manipulationen der Zinssätze im internationalen Bankgeschäft geschockt, versuchen große Commodity-Händler im Gashandel für saubere Westen zu sorgen. Denn die Financial Services Authority, die britische Finanzmarktaufsicht, und der Energieregulator Ofgem untersuchten bereits einen Fall, in dem ein Händler irreführende Gaspreisangaben gemacht haben soll.
Die US-amerikanische Finanzmarktaufsicht prüft sogar Vorwürfe der Manipulation von Gaspreisen und selbst der französische Ölkonzern Total, einer der größten internationalen Gashändler, klagt über „wenig akkurate“ Angaben bei den Gaspreisen. ICAP, Marex Spectron und Tullet Prebon, die drei größten europäischen Commodity Broker, haben sich deshalb auf neue Benchmark-Preise geeinigt.
Agenturen dokumentieren die Gaspreise am Markt
Die Daten für diese neuen Gasrichtpreise sammeln künftig die drei größten Agenturen in Europa: Platts, die zu der an der New Yorker Aktienbörse notierten McGraw-Hill-Gruppe gehört, Argus aus London und ICIS Heren, die zur britisch-niederländischen Gruppe Reed Business Information zählt. Sie erheben künftig die Gaspreise an den vier wichtigsten Gashandelsplätzen in Europa: dem britischen National Balancing Point (NBP), der niederländischen Titel Transfer Facility (TTF) und den beiden deutschen Zentren Netconnect Germany (NCG) sowie Gaspool.
Damit liegt dem neuen Benchmark-Preis jeweils physisches Gasgeschäft zugrunde. Wie schnell sich diese europäischen Benchmark-Preise international auf breiter Front durchsetzen, ist noch offen. Klar ist aber, dass damit in Europa die Bindung an den Ölpreis gekappt ist.
Der russische Gasriese Gazprom, dessen größte Kunden in Europa sitzen, wird sich damit abfinden müssen. Nur: Gazprom, früher größter Gasförderer der Welt, mag das noch nicht einsehen – zumindest nicht der Ukraine gegenüber. Dem einstigen Vasallenstaat Moskaus hat die Gazprom eine Rechnung über 7 Mrd. $ geschickt – für Gas, das die Ukraine – anders als angeblich früher einmal vereinbart – im Jahr 2012 nicht bezogen hat.
Während die Ukraine argumentiert, Gazprom über ihren künftig geringeren Bedarf rechtzeitig unterrichtet zu haben, besteht Moskau auf der Einhaltung des angeblich bindenden Take-or-pay-Vertrags. Danach muss der Kunde zahlen, ob er die vereinbarte Menge Gas abnimmt oder nicht.
Ukraine will Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren
Die Rechnung hat Gazprom ihrem größten Auslandskunden ausgerechnet zu dem Zeitpunkt präsentiert, als die Ukraine gerade mit dem Ölkonzern Royal Dutch Shell einen Vertrag zur Erschließung der Schiefergasreserven im Lande geschlossen hatte. Mit diesem Vertrag hofft die Ukraine, die Abhängigkeit vom russischen Gas zu senken.
Inzwischen nehmen die Wettbewerbshüter der Europäischen Union (EU) in Brüssel die Gazprom unter die Lupe. Aber diese Untersuchung kann dauern und es ist noch unklar, ob und welche Druckmittel die EU überhaupt gegenüber Gazprom hat.
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