Experten bewerten Biokraftstoffe neu
Heimische Biokraftstoffe könnten bis 2050 laut einer aktuellen Studie von Shell und zwei renommierten Umweltforschungsinstituten zwei Drittel des Kraftstoffbedarfs aller Verkehrsträger decken. Dabei steht die Biokraftstoffbranche in der Kritik und wird für Armut in der Welt und Raubbau an Regenwäldern verantwortlich gemacht.
Als die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Halle (Saale), im Sommer in einer Stellungnahme die Nachhaltigkeit von Biokraftstoffen anzweifelte, war das Medienecho enorm. Die Forscher bestätigten, was alle wussten: Biodiesel und Bioethanol tragen kaum zum Klimaschutz, aber dafür umso mehr zu Hunger und Umweltzerstörung bei.
Weniger Beachtung fand die vernichtende Stellungnahme zur Stellungnahme. In einem mehrseitigen Papier deckt das Deutsche Biomasseforschungszentrum, an dem über 130 Spezialisten verschiedener Fachrichtungen Systemzusammenhänge und Nachhaltigkeit von Bioenergie erforschen, gravierende Mängel der Leopoldina auf. Sie übersehe geltende Randbedingungen, erhebe Forderungen, die längst in EU-Richtlinien verankert und umgesetzt sind, operiere mit falschen Zahlen und lasse wichtige Zusammenhänge und Wechselwirkungen außer Acht.
In dieser Woche trat nun der Mineralölkonzern Shell mit einer Studie zur künftigen Rolle von Biokraftstoffen an die Öffentlichkeit. Erarbeitet hat sie ein Team um den Chefvolkswirt des Konzerns, Dr. Jörg Adolf, zusammen mit Experten des Heidelberger Instituts für Energie und Umweltforschung (ifeu) und des Internationalen Instituts für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien (IINAS).
Zunächst beschreibt die Studie umfassend den Status quo. Nach dem zwischenzeitlichen Höhepunkt von 7,4 % Anteil am Kraftstoffmarkt in 2007 sank der Anteil von Biokraftstoffen bis 2011 auf 5,6 % nur im Straßenverkehr wohlgemerkt. In Schiff-, Luftfahrt und auf der Schiene spielen Biokraftstoffe keine ernstzunehmende Rolle.
Bisher werden 99 % des Biokraftstoffs aus Feldfrüchten wie Raps, Weizen, Roggen oder Mais gewonnen. Beim Biodiesel ist Raps mit 80 % vor Altfetten (15 %) der wichtigste Rohstoff. Deutsche Hersteller von Bioethanol setzen vor allem auf Weizen (32 %), Mais (28 %) und Zuckerrüben (25 %). „Importe spielen eine untergeordnete Rolle“, schreiben die Autoren. Eingesetzt werde gemäß der EU Nachhaltigkeits-Richtlinie (RED 2009/28/EG) zertifizierte Biomasse.
Auch Nutzungskonkurrenzen unterschiedlicher Bioenergien sowie Nahrungs- und Futtermittelanbau geht die Studie auf den Grund. Aktuelle Zahlen: Von 5 Mrd. ha weltweit genutzter Flächen sind 3,5 Mrd. ha Weideland für Fleisch- und Milchproduktion und 1,5 Mrd. ha Ackerfläche. Letztere wird zu zwei Dritteln für Futtermittelanbau genutzt – gegenüber 0,1 Mrd. ha für Bioenergie und 0,05 Mrd. ha für Biokraftstoffe.
Wachsender Fleisch- und Milchkonsum sind demnach weit stärker für den Flächenfraß verantwortlich als Biokraftstoffe zumal letztere nach geltendem EU-Recht keine Rohstoffe von Flächen nutzen dürfen, die nach dem 1. Januar 2008 für den Anbau erschlossen wurden. Und anders als bei Nahrungs- und Futtermitteln unterliegt der Rohstoffanbau für Biokraftstoffe einem Zertifizierungszwang. Ohne den lückenlosen Nachhaltigkeitsnachweis dürfen Kraftstoffe in der EU nicht verkauft werden. Im Schnitt konnten die Hersteller dabei 2011 belegen, dass ihre Kraftstoffe den fossilen Referenzwert (83,8 g CO2 äq./MJ) über die Gesamtkette von Aussaat bis Auspuff hinweg um 50 % unterboten.
Allerdings bemängelt die Studie, dass nicht alle zugelassenen Zertifizierer transparent handeln und das Zertifizierungsregime beim Wasser- und Bodenschutz oder indirekter Landnutzungsänderung (iLUC) Lücken aufweist. Zudem drohe die Entwicklung, dass zertifizierte Biomasse in die EU wandere und nicht nachhaltig erzeugte Rohstoffe im Rest der Welt Abnehmer finde.
Dass die Zertifizierung von Biokraftstoffen allein in der EU zu kurz greift, kritisiert auch der Biokraftstoffverband VDB: „Strenge Nachhaltigkeitskriterien müssen auch für den Nahrungs- und Futtermittelanbau gelten“, fordert dessen Geschäftsführer Elmar Baumann, doch dafür fehlten der EU-Kommission Einsicht und Mut. Auch die Mineralölindustrie habe keinerlei Nachhaltigkeitsvorgaben und betreibe ungehindert Ölbohrungen in Schutzgebieten, Tiefsee und Antarktis oder die zerstörerische Förderung von Ölsanden.
In der Shell-Studie bleibt diese Kritik zwar außen vor. Doch das Autorenteam entwickelt auf Basis des Status-quo-Berichts Szenarien, in denen fossile Kraftstoffe – aktuell das Kerngeschäft des Konzerns – zur Mitte dieses Jahrhunderts ihre Bedeutung verlieren. Vorausgesetzt, der Systemwechsel von Biokraftstoffen auf Basis von Feldfrüchten hin zu synthetischen Kraftstoffen der 2. und 3. Generation gelingt. Letztere basieren auf Hölzern, Stroh, Algen und der energetischen Nutzung zuvor stofflich genutzter Biomasse. Noch lassen großtechnische Produktionsverfahren jedoch auf sich warten.
Aktuelle politische Beschlusslage ist dazu das in RED- und Kraftstoffqualitäts-Richtlinie (FQD, 2009/30/EG) gegossene EU-Ziel von 10 % erneuerbarer Energie im Straßenverkehr bis 2020. Während hier mangels Alternativen Biokraftstoffe der 1. Generation in der Pflicht sind, wandelt sich das Szenario bis 2030.
Effizientere Antriebe und Kraftstoffe der 2. Generation könnten dann für bis zu 35 % Marktanteil von Biokraftstoffen sorgen 2050 halten die Autoren gar 70 % Anteil über alle Verkehrsträger hinweg für realisierbar. Selbst die globale Vollversorgung mit synthetischem Biokraftstoff sei vom Bioenergiepotenzial her machbar.
All das setzt voraus, dass die globale Staatengemeinschaft ihr Ziel von maximal 2 °C Klimaerwärmung mit Nachdruck verfolgt. Zudem gelte es, die Energiewende im Verkehr strategisch anzugehen. Dafür gibt die Shell-Studie vier Empfehlungen: vollständige Entkopplung der Rohstoffproduktion von Nahrungs- und Futtermitteln, Bilanzierung der Netto-CO2-Reduktion inklusive indirekter Landnutzungsänderung, Konzentration auf Flächen- und Ressourceneffizienz und nicht zuletzt Kostensenkung.
Einen Schritt in Richtung der Systemumstellung zur 2. Generation kündigt die EU bereits an. Zum Ziel für 2020 sollen Kraftstoffe der 1. Generation maximal 5 % beitragen. Danach sollen sie ganz aus der Förderung fallen, sofern sie nicht mindestens 60 % Treibhausgasreduktion gegenüber dem fossilen Referenzwert erzielen.
Das allein wäre machbar. Doch der EU-Vorschlag bürdet Biokraftstoffen der 1. Generation pauschale Aufschläge für „indirekte Landnutzungsänderungen“ (iLUC) auf. Für Biodiesel sind 55 g CO2äq/MJ vorgesehen, für Ethanol 12 bis 13 g CO2äq/MJ.
Die mittelständische Biodieselbranche sieht das kritisch. Das vorgeschlagene iLUC-System stelle sie aufgrund seiner Konstruktion ins Abseits. Rapsanbau, der in der Fruchtfolge notwendig ist und neben Biodiesel eiweißreichen Rapskuchen als Futtermittel erzeugt, verursache demnach indirekte Landnutzungsänderungen im Rest der Welt. Für Hersteller ergibt sich daraus ein Abschlag, der die Emissionen ihres Produkts beinahe verdoppelt. Stellen sie ihre Produktion ein, könnten Viehzüchter statt Rapskuchen nicht zertifiziertes Soja verfüttern, das dann auch von gerodeten Regenwaldflächen kommen darf.
Eine neue Studie der Schweizer Forschungsinstitution Empa mahnt dagegen, dass bei einigen Biokraftstoffen lediglich Umweltbelastungen vom Treibhauseffekt auf die Belastung der Böden verlagert würden. Gelobt wurde dabei allerdings die Bilanz von Biogas aus Rest- und Abfallstoffen. PETER TRECHOW
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