Fisch mit Luftballon besiegt den Hurricane
Finale des Wettbewerbs Solarmobil Deutschland. Mitten auf dem Potsdamer Platz in Berlin ist eine Rennstrecke aufgebaut. Schülerteams aus sechs Bundesländern lassen ihre selbstgebauten Solarmobile gegeneinander antreten. Trotz strömenden Regens bleibt die Strecke während der Rennen von staunenden Touristen umlagert. Oft brandet Szenenapplaus auf – vor allem wenn die dem Boxfisch nachempfundene Karosse eines Elfjährigen über die Strecke flitzt.
„Boa, watt zieht der ab!“, ruft ein stämmiger Mittvierziger. Eine japanische Reisegruppe bricht in spontanen Jubel aus. „Solbox“ ist auf der Strecke. Till Opitz hat ihn gebaut. „Sol für Solar und Box wegen Boxfisch“, erklärt der elfjährige Konstrukteur aus der Ostseestadt Glücksburg. Er habe sich bei der Form an den Fischen orientiert, die fast quadratisch und trotzdem strömungsgünstig seien.
Die Natur stand also Pate für das dreirädrige Solarmobil, das nun in knapp 8 s die 10 m lange Rennstrecke zurücklegt – hin und zurück wohlgemerkt. Der Richtungswechsel funktioniert wie bei vielen Konkurrenten automatisch. Doch Opitz hatte die pfiffigste Idee. Vorn an sein Gefährt hat er einen kleinen, prall gefüllten Luftballon angebracht. Wenn der Wagen am Ende der Hinfahrt gegen die begrenzende Plexiglas-Bande prallt, wirkt das Ballönchen wie eine Feder. Zudem gibt es Aufprallenergie an ein Gestänge weiter, das den Richtungswechselschalter umlegt.
Ein Ausscheidungsrennen nach dem anderen gewinnt Opitz. Er bleibt dabei ganz cool. Und das, obwohl sein „Solbox“ gegen die besten Teams aus sechs Bundesländern antritt. Sie alle haben sich in regionalen Wettbewerben für das Finale am Potsdamer Platz qualifiziert. Solar Mobil Deutschland nennt sich der Wettbewerb, der Schüler für Erneuerbare Energien und Elektromobilität begeistern soll.
Die Begeisterung ist tatsächlich greifbar. Allerdings weniger bei den coolen Youngstern, die ihren Auftritt auf der urbanen Bühne routiniert abwickeln, als bei den Umstehenden. „Papa, können wir auch so ein Auto bauen“, fragt ein kleiner Zuschauer, der sich an den Rennen gar nicht satt sehen kann. „Mal schauen“, antwortet der Gefragte – wohl ein klassisches Nein durch Aufschieben. Er gibt aber zu, woran es hapert: „Ich weiß gar nicht, ob ich das kann.“ Immer wieder bleiben Trauben von Touristen stehen, drängen sich trotz Regens um die Rennstrecke und staunen nicht schlecht über das Tempo der Solarflitzer. Strom erzeugen jeweils zwei von den Initiatoren gestellte 16 cm mal 16 cm große Module. Batterien oder andere Energiespeicher sind Tabu. Der Solarstrom muss direkt in Bewegungsenergie gewandelt werden. Weil statt Sonne dunkle Wolken am Himmel hängen, sorgt ausnahmsweise ein Dutzend dicker Scheinwerfer für das nötige Licht über der Piste.
In den Ausscheidungsrennen kristallisieren sich schnell Favoriten heraus. Neben Till Opitz hat etwa auch der 17-jährige Otto Fischer aus Chemnitz ein extrem schnelles Modell am Start. Dagegen ist das Rennen für Shawn Belzer (12) und Oliver Georg (14) nach dem Vorlauf vorbei. Bis zuletzt haben sie an ihrem liebevoll aus Holz gebauten „Timer“ gewerkelt. Doch er will heute nicht.
Das gleiche Schicksal ereilt eine fahrende Müllskulptur, mit der Sarah Hartmann, Max Bork und Julian Strojny aus Wismar angetreten sind. Durchlöcherte CDs als Räder, eine leere Kakaodose als Karosserie in der ein wildes Kabelgewirr von den Solarzellen zur Antriebsachse führt. Die Konstruktion hat zwar kaum Gewicht, doch zwischen den flachen Leichtbauflitzern der Konkurrenz kommt das Gefährt daher, wie eine Postkutsche. „Dabei sein ist alles“, trösten sich die Drei. Ihr Hauptinteresse liege ohnehin eher bei Solarbooten.
Zum Bootfahren reicht der inzwischen auf die Rennstrecke plätschernde Regen allerdings noch nicht. Deshalb haben sich die 12-Jährigen Chemnitzer Robert Warta und Philipp Neuhaus mit ihrem Schiff lieber in eins der aufgebauten Zelte verkrochen. Sie nehmen nicht an den Rennen der Ultraleichtklasse teil, sondern starten in der Kreativklasse. Und hier gehört ihr Wikingerschiff auch hin. Mit Wikingerhelm auf dem Kopf führt Warta es vor. Er kippt den Hauptmast mit dem rotweiß gestreiften Segel, auf dessen Rückseite die Solarmodule angebracht sind. „Darüber hätten sich die Wikinger bei Flaute sicher gefreut“, sagt er.
Auch für Flaute bei Regenwetter haben die Baumeister vorgesorgt. Aus hölzernen Kaffeerührstäben und Eisstielen haben sie Ruder gebastelt. Mit Planken aus den Rührstäben ist auch der Rumpf verkleidet, in dessen Innern eine leere PET-Flasche für Auftrieb sorgt. „Das Schiff schwimmt. Und auf den drei Rädern kann es mit dem Solarantrieb auch fahren“, erklären die Freunde stolz.
Am Ende erreichen die Chemnitzer Wikinger den dritten Platz. Erster der Kreativen werden Gilda Salimi-Monfared (14) und Miriam Zimmer (15). Sie haben eine Brückenkonstruktion gebaut, die sich komplett auf acht Rädern fortbewegt. Den Strom dafür liefern in Streifen gesägte, seriell geschaltete Solarmodule, die das Duo selbst verlötet hat. Diese dienen zugleich als photovoltaische Fahrbahnen einer vierspurigen Autobahn auf der Brücke. Darauf pendeln kleine Autos wie von Geisterhand hin und her auch sie mit kleinen Solarmodulen auf den Dächern.
Für den Pendelbetrieb haben die Schülerinnen eine elektronische Flip-Flop-Schaltung zwischen Solardach und Elektromotor der Fahrzeuge untergebracht. Sie gibt jeweils die Drehrichtung des Motors vor und merkt sich diese, bis ein magnetisch angeregter Reedkontakt den Impuls zum Umpolen gibt. Dafür sitzen jeweils am Fahrbahnende querliegende Permanentmagnetstreifen unter der „Straße“. In ihrem Magnetfeld schließen sich die ferromagnetischen Zünglein der Kontakte und geben so das Signal zur Umkehr.
Mit ihrem Modell wollen die Freundinnen auf das oft sinnlose, hektische Hin- und Her und den zerstörerischen Umgang mit der Natur aufmerksam machen.
Deutlich rationaler kommt Platz zwei der Kreativklasse daher. Ein langer Aluminiumvierkant mit Rädern, der es in sich hat. Maximilian Groß, Oskar Weber und Sven Gottwalt – junge Männer zwischen 18 und 20 Jahren – haben ihr mit Sensoren und Mikrocontrollern gespicktes Modell gründlich durchdacht.
„Im Antrieb sorgen Planeten- und Kegelradgetriebe für die richtige Untersetzung. Wir haben ihn auf Drehmoment statt hohe Endgeschwindigkeit ausgelegt“, dozieren sie. Und wie es gute Ingenieure so tun, haben die Tüftler alle Eventualitäten eingeplant. „Weil hohe Kräfte wirken, ist unsere Antriebswelle aus Edelstahl statt Alu“, erklären sie fachmännisch. Und um alle Teile zügig auswechseln zu können, sei ihr Flitzer modular aufgebaut. Am Rennen darf ihr spartanisches Gefährt zwar nicht teilnehmen, doch mit 200 € Prämie für den zweiten Platz können sie auch gut leben.
Derweil geht das regengekühlte Rennen in die heiße Phase: Halbfinale! „Nutella“, ein flacher Holzkasten, schlägt sich besonders wacker. Namensgebend waren die vier Nutelladeckel-Räder. Entworfen wurde das Fahrzeug von Felix Hädicke (13) und David Albert (14). Beim Bau haben sie Erfahrungen genutzt, die sie mit ihrem letzten Modells sammeln konnten. Es hatte dünne Speichenräder vom Durchmesser einer Zweieuromünze. „Miese Traktion“, erklärt Hädicke wie ein Profi. „Die Nutelladeckel haben mehr Grip.“ Der Umbau war einfach. Heißkleber fixiert die neuen Räder auf den alten. Denn eigentlich hatte der alte Antrieb gepasst.
Ein besonderes Schmankerl sind die Achsaufhängungen: Die jungen Konstrukteure nutzten dafür Lüsterklemmen. Pragmatisch ist auch das Umschalten gelöst. Ein Stück dünne Gewindestange kracht bei jedem Rennen an die Plexiglasbande und legt den Schalter an der Unterseite des Holzkastens um. Allerdings hat das rabiate Verfahren Nachteile. Fast jedes Mal rutschen die auf den Holzrahmen aufgesteckten Solarmodule aus ihrer Verankerung. Nutella schafft es jeweils nur mit Ach und Krach ins Ziel. Doch immerhin reicht es bis zum Stechen für die Finalteilnahme.
Dann ist für Hädicke und Albert Schluss. Auch ihr Freund Christian Oesterreich, der mit seinem „Hurricane“ die Konkurrenz lange aufmischen konnte, schafft es nicht bis ganz nach oben auf das Siegertreppchen. Alle drei sind darüber nicht amüsiert. „Das ist voll die Materialschlacht hier“, schimpft Oesterreich, der immer wieder an seinen Fahrzeug gebastelt hatte. „Manche haben Elektromotoren für 80 €. Unsere haben nur 5 € gekostet“. Neben Solarmodulen solle der Veranstalter nächstes Mal auch die Motoren stellen, schlagen sie vor. Es gehe doch um Erfindergeist und nicht um die Höhe des Taschengelds, ärgern sie sich.
Doch allein am teuren Material ist es nicht festzumachen, dass am Ende Till Opitz den Sieg einfährt. Denn der 11-jährige Glücksburger hat das pfiffigste Konzept an den Start gebracht. Unter dem Jubel der Zuschauer gleitet sein „Solbox“ auch im letzten Rennen mühelos an der Konkurrenz vorbei. Mit 140 g Gewicht ist die Konstruktion aus Balsaholz und weitgehend durchlöchertem Styropor das leichteste Modell im Feld. Das liegt auch daran, dass der junge Techniker als einziger in der Spitzengruppe das vierte Rad weggelassen hat. Während die Anderen ihre Fahrzeuge mit Dornen in den Führungsschienen auf der Rennstrecke halten, läuft das eine Hinterrad des rasenden Boxfischs gleich ganz in der Schiene. Und um mehr Spannung aus den ausgehändigten Solarmodulen zu ziehen, hat er sie in Streifen gesägt und seriell verschaltet. „So habe ich statt einem Volt drei – bei 1,5 Ampere“, erklärt er. Ob er das Alles allein gemacht hat? – „Nein“, räumt der 11-Jährig ein, „beim Löten hat Papa geholfen. Das kann ich noch nicht“.
PETER TRECHOW
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