Flutung eines Tagebaus rettet Leipzig und Halle vor der Katastrophe
Nach der Flut beginnt die Zeit des Aufräumens: Sandsäcke, von zehntausenden Helfern eilig zu Hilfsdämmen geschichtet, müssen entsorgt werden. Vor den zum Teil tagelang überfluteten Häusern stapeln sich verlorener Hausrat, Möbel und Schutt. Begonnen hat aber auch, wie schon nach der „Jahrhundertflut 2002“, die Diskussion um Prävention.
Die Kleinstadt Grimma, 25 km südöstlich von Leipzig, hat es erneut schlimm erwischt. Schon 2002 stand hier die Mulde haushoch in der Innenstadt. Diesmal blieb zwar das erste Obergeschoss im Rathaus trocken, doch Bürgermeister Matthias Berger platzt dennoch bei jedem Gedanken an das Hochwasser schnell der Kragen. „Es hätte nicht sein müssen, nicht sein dürfen“, sagt der Mann, der vor elf Jahren fast durchweg als der Retter an der Spitze des Katastrophenschutzes gesehen wurde.
Der Grund für Bergers Ärger liegt im Untergrund: Dort wurde in den vergangenen Jahren eine tief in den Flussschotter reichende Spundwand gebaut, mehrere Kilometer lang. Oberirdisch ist die Grimmaer Schutzwand jedoch erst in Fragmenten fertig. Schuld daran ist weniger die Technologie oder gar fehlendes Geld, sondern der Kampf zweier Bürgerinitiativen, die den Bau erheblich verzögerten. Grimma, das schmucke Städtchen, hinter einer Mauer verstecken? Mit Mauern habe man hierzulande schlechte Erfahrungen, sagen die Gegner und verweisen darauf, dass man Flüsse nicht eindämmen dürfe, sondern ihnen den notwendigen Raum geben muss.
Zwenkauer See rettete Leipzig und Halle vor der Flut
Im Großraum Leipzig etwa haben im letzten Jahrhundert rund 60 Braunkohletagebaue die Landschaft verändert. Mäandernde Flussläufe von Pleiße und Elster mit ihren ausgeprägten Auenlandschaften wurden, ebenso wie viele Ortschaften, Straßen und Bahnstrecken verlegt. Die Neubauten wirken bis heute künstlich, eben am Reißbrett entworfen, ganz gleich, ob es sich um einen modernen Dorfanger handelt oder das schnurgerade verlaufende, zum Teil betonierte Flussbett. Am Oberlauf der sächsischen Flüsse sind dafür 43 Talsperren gebaut worden, die rund 60 Mio. Kubikmeter fassen können. Ein Konzept, das schon 2002 seine Grenzen demonstrierte, als die Staumauern nach einem Tag Starkregen die Wassermassen nicht halten konnten.
Auch im Juni 2013 liefen in den betroffenen Gebieten die Rückhaltebecken an Mulde, Pleiße und Saale über. Wohl auch, weil die Stauseen nicht allein dem Hochwasserschutz dienen, sondern als Reservebehälter für die Trinkwasserbereitstellung in extrem trockenen Sommern. Doch gerade die Kunstlandschaft nach dem bis auf zwei Tagebaue aufgegebenen Kohlebergbau im Süden Leipzigs hat jetzt vermutlich eine Katastrophe in den beiden Großstädten Leipzig und Halle verhindert.
Zum einen entstanden an der Pleiße zwischen Altenburg und Böhlen im Gefolge des Bergbaus zahlreiche Landschaftsbecken, die bei Hochwasser geflutet werden können. Und an der Elster, normalerweise ein weniger als ein Meter tiefes Flüsschen, wurde erst im März dieses Jahres ein neues Wehr in der Ortslage Zitzschen, kurz vor der Leipziger Stadtgrenze, in Betrieb genommen. Wird es geöffnet, kann Flusswasser in das noch nicht ganz gefüllte Restloch des Zwenkauer Sees abgeleitet werden. „Wir haben damit verhindert, dass die Elster mehr als 300 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch Leipzig in Richtung Halle an der Saale schickt“, so Axel Bobbe, zuständiger Chef der Flussmeisterei.
Pegel stiegen auf das Doppelte
Dabei war die Elster an ihrem Hochwasserscheitel fast aufs Doppelte angeschwollen, entsprechend groß sind die Verwüstungen bis hinauf nach Thüringen: Die Städte Greiz, Gera, Zeitz, Groitzsch oder Pegau wurden schwer getroffen, als der Pegel auf 4 m, 5 m stieg und vermutlich Milliardenschäden anrichtete.
Zwar gab es auch in Leipzig und Halle Katastrophenalarm, den Einsatz Tausender Helfer und vorsorgliche Evakuierungen, doch hier blieben die Schäden eng begrenzt. Nur ein Reiterhof und ein Ausflugslokal in einem flussnahen Waldgebiet standen in Leipzig unter Wasser, in Halle traf es Häuser in Ufernähe. Dabei hatten die Flusspegel seit der Nacht zum 4. Juni fast die Deichkronen erreicht. Ein paar Hundert Kubikmeter Wasser mehr pro Sekunde, räumt auch Axel Bobbe ein, wären wohl zu viel gewesen.
Der rund 1000 ha große Zwenkauer See hat binnen 36 h rund 20 Mio. Kubikmeter Flusswasser aufgenommen und ist um gut 2 m angestiegen. Das Erreichen des geplanten Endpegels bei 113 m Seehöhe war eigentlich Ende 2014 vorgesehen – wahrscheinlich wird das nun früher der Fall sein. Doch auch dann, wenn endlich im neuen Hafenbecken der „Kohlestadt“ Zwenkau eine richtige Marina entstanden ist und die Blicke von den ufernahen Neubauvillen auf das Blau des ruhigen Wassers fallen, soll der See ein ähnliches Notvolumen bereithalten. Denn am anderen Ende haben gerade die Baumaßnahmen für ein Auslaufbauwerk begonnen, die ebenfalls, wie das Wehr in Zitzschen, aus dem sächsischen Hochwasserfonds finanziert wird.
Doch werden die ostdeutschen Bergbauseen nicht automatisch zum Retter in der Flut – wie sich erneut in Bitterfeld zeigte. Nach einem Dammbruch war bereits 2002 unkontrolliert Muldewasser in den großen Goitzschesee gelaufen, der See – noch ein Stück größer als jener in Zwenkau – hatte daraufhin die Stadt unter Wasser gesetzt.
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