Fukushima-Betreiber plant eher optimistisch
Am 11. März 2011 erschütterte ein heftiges Beben ganz Japan, ein Tsunami überflutete große Teile des Nordostens des Landes. Im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi fiel die Stromversorgung komplett aus, die Kühlung der Reaktoren kollabierte, Wasserstoffexplosionen zerstörten Reaktorgebäude, die Umgebung wurde radioaktiv verseucht. Derzeit arbeiten Experten vor allem daran, die zerstörten Reaktorgebäude einzuhausen.
Schon heute wird schnell vergessen, was am 11. März 2011 in Japan mit Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe geschah, wenn man nicht direkt damit zu tun hat. Razin Ashraf, Berater beim Personaldienstleister Hays, lebt schon seit einigen Jahren in Tokio. Er kennt einige ältere Mitbürger, die inzwischen bewusst ihr Essen aus der radioaktiv verseuchten Region um Fukushima kaufen, früher einer der wichtigsten Anbau- und Viehzuchtregionen Japans.
„Sie sehen das etwas lockerer, denn der Krebs, der dadurch entstehen könnte, tritt erst nach zehn bis 15 Jahren auf, dann sind sie schon am Ende ihres Lebens“, sagt Ashraf. Also würden sie sagen: „Warum nicht unseren Mitbürgern dort helfen, wo diese doch schon genug ertragen haben?“
Die Aufräumarbeiten in der Region rund um das havarierte Kernkraftwerk Fukushima Daiichi lägen weit hinter dem Zeitplan zurück, so die japanische Zeitung Asahi Shinbun zum zweiten Jahrestag der Katastrophe.
Das Gelände des Kraftwerks selbst ist heute eine gigantische Baustelle. Schutthaufen, Baugerüste, Kräne überall hinter den zerstörten Kraftwerksblöcken eins bis vier ist der Wald verschwunden, er hat Platz gemacht für viele Dutzende riesiger Tanks und Lagerflächen. Eine Baustelle bis ins Jahr 2051, so die Pläne des Anlagenbetreibers Tokyo Electric Power Company (Tepco).
Um größere Freisetzungen von radioaktivem Material und ihre Folgeschäden zu vermindern, wurden bereits unmittelbar nach dem Unfall Stabilisierungsmaßnahmen festgelegt. Nachdem im Oktober 2011 eine sogenannte Einhausung am Reaktorblock 1 fertiggestellt wurde, begannen die Arbeiten dafür an Block 4 im Mai 2012. Block 4 war beim Erdbeben in Revision, neben 204 neuen Brennelementen waren 1331 abgebrannte aus dem Kern in ein Becken oberhalb des eigentlichen Reaktorkerns ausgelagert. Eine Wasserstoffexplosion zerriss Dach und Seitenwände des Gebäudes, seitdem lagern die hochradioaktiven Elemente quasi inmitten eines Trümmerfelds.
Es gibt Befürchtungen, dass ein neues heftiges Beben diese Konstruktion wieder einstürzen lassen könnte. Auch könnte das Becken Leck schlagen.
Bis Ende letzten Jahres wurden an Block 4 zunächst Trümmer und Gebäudeteile entfernt und anschließend ein Fundament um den Block erbaut. Seit Anfang 2013 werden auf diesem Fundament die Träger eines Gerüsts errichtet. Daran werden vorgefertigte Teile montiert, die mit einer Membran aus PVC-beschichteten Polyesterfasern bespannt sind.
Dadurch sollen radioaktive Stoffe zurückgehalten werden, indem sie durch eine Filteranlage abgesaugt und gefiltert werden. An dem Gerüst sollen später Arbeitsmaschinen wie ein Kran und eine Einrichtung zur Bergung der Brennelemente befestigt werden.
Die Einhausung von Block 3 befindet sich derzeit in Vorbereitung. Dieser Block stellt eine besonders hohe Herausforderung an die Tepco-Arbeiter. Dort zerstörte eine Wasserstoffexplosion das Gebäude, auch dort liegt das Brennelementelagerbecken frei und die Strahlung in Block 3 ist besonders hoch, so dass Arbeiten in unmittelbarer Nähe nicht möglich sind. Die Einhausung erhält zusätzlich einen Aufsatz, in dem die Einrichtungen zum Bergen der Brennelemente untergebracht werden.
„Der tatsächliche Zustand der Kerne ist nach wie vor unklar. Alles, was man insoweit sagen kann, beruht auf Simulationsrechnungen“, erläutert Sven Dokter, Pressesprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Das macht die Arbeiten auf und um das Gelände extrem riskant, innerhalb der Reaktorgebäude für Personen wohl noch für lange Zeit unmöglich.
„Bildaufnahmen oder die Entnahme von Proben werden wegen der hohen Strahlenbelastung erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt möglich sein“, meint Dokter. „Möglicherweise wird man die Kerne tatsächlich erst dann zum ersten Mal sehen können, wenn deren Bergung in Angriff genommen wird. Das soll nach der – eher optimistischen – Planung von Tepco in etwa zehn Jahren der Fall sein.“
Das nächste Problem ist die Menge des kontaminierten Wassers, schon 260 000 t waren es Mitte Februar. Um die Reaktoren zu kühlen, müssen sie ständig mit Wasser bespeist werden. Dazu wird Meerwasser in die Kühlkreisläufe der Reaktoren gepumpt und so mit den radioaktiven Stoffen kontaminiert. Die Wiederaufarbeitung dieses kontaminierten Wassers soll in einem mehrstufigen Verfahren erfolgen (s. Kasten).
Hinzu kommt, dass während der Arbeiten immer wieder neue, unvorhergesehene Schwierigkeiten auftreten. Wegen der Erdbebenschäden tritt zum Beispiel Grundwasser in die Gebäude. Also wurde ein Brunnen gebohrt, durch den das Wasser abgepumpt wird und der Grundwasserpegel sinkt. Ob diese Vorkehrung ausreichen wird, ist noch unklar.
Ab November soll die bislang größte Herausforderung in Angriff genommen werden. Die ungefähr 1500 Brennelemente sollen aus dem Lagerbecken von Block 4, das mit Stahlstützen und Betonmauern provisorisch stabilisiert wurde, entfernt werden. Doch bei der Explosion vor zwei Jahren sind Trümmerteile in das Becken gefallen und könnten die Brennelemente beschädigt haben. Diese müssen zunächst akribisch entsprechend der Vorsichtsmaßnahmen entfernt werden.
Im Juli 2012 haben die Arbeiter bereits einen Probelauf durchgeführt. Zwei Brennelemente wurden mithilfe eines Krans aus den Abklingbecken geborgen.
Die Arbeiter probten die Entnahme mit unbenutzten Brennelementen, da diese im Gegensatz zu abgebrannten Kernbrennstäben erheblich weniger Strahlung aussenden. Die Arbeiter können hier also in nächster Nähe daran arbeiten. Allerdings auch nur in Schutzanzügen für jeweils kurze Zeit.
Für die bereits benutzten Brennelemente ist das Unterfangen wesentlich schwieriger: Sie enthalten energiereichere radioaktive Spaltprodukte. Ohne zusätzliche Abschirmung ist der dichte Aufenthalt nicht möglich. Die Bergung muss also ferngesteuert ablaufen.
„Generell muss man sich klarmachen, dass die Schutzausrüstungen nur eine Kontamination der jeweiligen Person und das Einatmen von radioaktiven Stäuben verhindern können“, erklärt Sven Dokter die Funktion der Ausrüstung. Gegen die von kontaminierten Flächen oder Gegenständen ausgehende Direktstrahlung schirmen sie nicht ab. Insoweit könne eine Belastung von zu hohen Strahlendosen grundsätzlich nur dadurch verhindert werden, dass die betroffenen Personen mit Messgeräten ausgerüstet würden und damit je nach Höhe der Strahlung die Aufenthaltszeit begrenzt werde.
Alle Maßnahmen bis 2050 stehen unter einem Vorbehalt: Dass keine weitere Natur- oder andere Katastrophe die bisherigen Arbeiten zunichte macht. Ob und wann wieder ein wenig Normalität in dieser Region eintreten wird, kann niemand absehen. SELINA DOULAH
GRS: Fukushima Daiichi 11. März 2011 – Unfallablauf, radiologische Folgen, 2. aktualisierte Auflage, 2013.
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