Gefährlich: Abbau von AKWs liegt auf Schultern nächster Generationen
Wie kann man verhindern, dass beim Abbau von Kernkraftwerken Strahlung freigesetzt wird oder strahlendes Material in falsche Hände gerät? Atomexperten aus der ganzen Welt haben vergangene Woche in Aachen über den sicheren Abbau von Reaktoren gesprochen. Der Atomforscher Alexander Pavlyuk fürchtet als Gefahr auch den Informationsverlust, der über Generationen eintreten kann.
Acht Reaktoren sind in Deutschland noch in Betrieb und werden bis Ende 2022 vom Netz genommen. Schon heute werden bereits stillgelegte Altreaktoren abgebaut, demnächst wird die Energiewirtschaft über 30 Reaktoren allein in Deutschland demontieren müssen.
Etwa zehn Jahre braucht der Abbau eines Kernkraftwerkes, es sei denn, es handelt sich um die Atomruine in Fukushima. Für deren Rückbau rechnen Ingenieure mit einem Zeitraum von 40 Jahren. Etwa zwei Prozent des Abfalls eines Kernkraftwerkes müssen streng abgeschirmt endgelagert werden. Die meisten anderen Abbruchmaterialien können wiederverwendet werden.
Einer der Referenten der Tagung, an der mehr als 300 Atomexperten aus Industrie, von Aufsichts- und Genehmigungsbehörden, Anlagenbetreibern und aus der Forschung teilnahmen, war der Atomphysiker Alexander Pavlyuk des russischen Atomkonzerns Rosatom. Russland setzt weiter auf Kernkraft und hat gerade erst den größten Schnellen Brüter der Welt hochgefahren. Ingenieur.de hat mit dem russischen Atomwissenschaftler gesprochen.
Ingenieur.de: Herr Pavlyuk, Sie sind Atomphysiker, haben in Tomsk studiert und für den russischen Atomkonzern Rosatom auf dem internationalen ICOND-Kongress in Aachen über die Probleme beim Rückbau von Kernkraftwerken gesprochen. Kann Deutschland von Erfahrungen in Russland lernen?
Pavlyuk: Der Informationsaustausch mit deutschen Kollegen wird nützlich bei der Lösung der Fragen zur Stilllegung der Graphitreaktoren Deutschlands sein.
In dem von uns vorgelegten Bericht werden alle Erfahrungen Russlands über die Stilllegung der Graphit-Uran-Reaktoren und zur Handhabung des bestrahlten Graphits beleuchtet. Ich glaube, dass man die Erfahrungen von Russland in gewissem Maße für Deutschland anpassen kann.
Derzeit haben wir zusammen mit unseren deutschen Kollegen einige perspektivische Lösungen für die Probleme der Graphitentsorgung ausgearbeitet. Und wir hoffen, dass nach dem Abschluss der Forschungsarbeiten die erworbenen Erfahrungen und Ergebnisse sowohl in Russland, als auch in Deutschland verwendet werden können.
Ingenieur.de: Was sind die Hauptprobleme und Gefahren beim Rückbau von Atomkraftwerken?
Pavlyuk: Zu den Hauptproblemen der Kernenergetik zählen ungelöste Fragen der Aufarbeitung und Endlagerung des Graphits und der anderen radioaktiven Abfälle. Während des Abbaus der Graphitkonstruktion und des Umgangs mit dem verstrahlten Graphit soll man alle Anstrengungen auf technische Lösungen bei der Stilllegung von Reaktoren, Entsorgung von radioaktiven Abfällen und Gestaltung eines Systems der Behandlung mit den radioaktiven Atomabfällen richten, um Arbeitskosten und Dosisbelastung des Personals zu verringern.
Die potenzielle Hauptgefahr für die Atomenergie ist nicht mit der Stilllegung von AKW verbunden, sondern damit, dass nächste Generationen die Verantwortung für die Lösung dieser Probleme übernehmen müssen. Das kann zu Informationsverlust führen und zu umweltschädigenden Folgen wegen der natürlichen Zerstörung der Atomobjekte.
Ingenieur.de: Sie haben sich besonders mit Graphit beschäftigt, das in russischen Reaktoren als Moderationsmaterial eingesetzt wird. Welche speziellen Probleme gibt es bei der Entsorgung von Graphit?
Pavlyuk: Das Hauptproblem beim Umgang mit Graphit sowohl in Russland als auch in anderen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien ist der Gehalt von langlebigen Radionukliden wie Kohlenstoff-14 und Chlor-36. Diese können in die Umwelt gelangen und sich in die biologische Ketten einbinden, was letztlich zur Erhöhung des Umweltrisikos für die Bevölkerung führt. Die Nutzung von Graphit ist mit dem Problem seiner Extraktion, Dekontamination, Aufarbeitung und Realisierung des Multi-Barrieren-Prinzips bei seiner Lagerung verbunden.
Ingenieur.de: Deutschland baut ab Ende 2022 über 30 Reaktoren ab. Der Abbau eines Reaktors dauert zehn Jahre und mehr. Ist der Abbau so vieler Reaktoren gleichzeitig machbar?
Pavlyuk: In der russischen Stadt Seversk befindet sich ein Versuchs- und Demonstrationszentrum, das Technologien zur Stilllegung von Graphit-Uran-Kernreaktoren entwickelt. Diese Technologien sollen dann flächendeckend angewendet werden, um die Zeit zum Abbau eines Reaktors zu verkürzen und die Kosten zu senken. Der Fokus auf diese Aufgaben hat ermöglicht, das erste Projekt der endgültigen Stilllegung des Uran-Graphit-Reaktors in der Welt zu verwirklichen. Der gleichzeitige Abbau vieler Reaktoren ist nur möglich unter der Bedingung einer gut durchdachten Arbeitsorganisierung und des Einsatzes von Spezialisten aus verschiedenen Ländern.
Ingenieur.de: Russland hat in Beloyarsk den größten Schnellen Brüter der Welt in Betrieb genommen. Er hat im August seine Spitzenleistung von 800 MW erreicht und nutzt dabei Plutonium aus alten Atomwaffen. Die westliche Öffentlichkeit sieht insbesondere die Nutzung von Plutonium mit Sorge. Können Sie diese Sorge nehmen?
Pavlyuk: Zurzeit wird in der Russischen Föderation für die Arbeit der Schnellen Brüter, darunter auch das Atomkraftwerk in Beloyarsk, Plutoniumbrennstoff nicht verwendet. Was die Sorge der Menschen angeht: Weltweit wird Plutonium in Form von MOX-Brennelementen schon seit langer Zeit in verschiedenen Reaktortypen beispielsweise in Frankreich und Belgien eingesetzt. Die dabei erworbenen Erfahrungen zeigen, dass auch ein Betrieb mit Plutonium über einen langen Zeitraum gefahrlos möglich ist, unabhängig davon, wo er früher verwendet wurde. Außerdem wird es im geschlossenen Uran-Plutonium-Kreislauf mit den schnellen Reaktoren möglich, radioaktive Atomabfälle zu minimieren und sie als Brennstoff zu verwenden.
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