Geothermie: Heizenergie aus der Tiefe
Der starke Frost im Februar hat deutlich gemacht, wie wichtig eine zuverlässige und bezahlbare Wärmeversorgung ist. Die Geothermie als unerschöpfliche Energiequelle bietet hier mit ihren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten zahlreiche Vorteile.
Das Land Nordrhein-Westfalen versteht sich weiterhin als Energieland Nummer eins, so Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Auch nach dem Ende der Steinkohlengewinnung wird der Energieinhalt im Boden unter dem Ruhrgebiet wesentlich zur Sicherstellung der Energieversorgung beitragen: In Bochum erforscht das nämlich das internationale Geothermiezentrum (GZB) unter seinem Leiter Rolf Bracke das Potenzial der Erdwärme.
Im Jahr 2009 belief sich der Wärmeverbrauch privater Haushalte in Deutschland auf 609 TWh. Mehr als drei Viertel deckten ihren Energiebedarf durch Öl oder Gas. Um die formulierten Klimaschutzziele erreichen zu können, muss der Anteil erneuerbarer Wärmeenergiequellen weiter gesteigert werden. „Für die Metropole Ruhr sind durch vermehrte Anwendung geothermischer Lösungen einerseits eine verbesserte Klima- und Energiebilanz, andererseits auch positive regionalwirtschaftliche Effekte zu erwarten“, ist Lars Jäger von der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr sicher.
2020 kann Geothermie 20 % des Wärmemarkts versorgen
Aus Brackes Sicht hat die Geothermie gute Perspektiven: „Bis 2020 können wir schon gut ein Fünftel des gesamten Wärmemarktes in Deutschland mit Geothermie versorgen“, erwartet er. Langfristig hält er sogar einen Anteil von 40 % für möglich. Analysten der Deutsche Bank Research gehen davon aus, dass allein die Bauwirtschaft in Deutschland mit der Geothermie bis zum Jahr 2030 rund 25 Mrd. € umsetzen könnte.
Obwohl eine Erdwärmeheizung aufgrund der Bohrungen in der Anschaffung teurer ist als konventionelle Systeme, sind ihre anschließenden Betriebskosten deutlich niedriger. Die Nutzer machen sich weitgehend unabhängig von Brennstoffpreissteigerungen. So liegen die Betriebskosten im Vergleich zu einer Öl- bzw. Gasbrennwertheizung im schnitt bei lediglich 30 % bis 40 %.
Deutschlandweit werden bereits rund 265 000 Erdwärmeheizungen mit einer installierten Leistung von über 2500 MW betrieben. Zu den Nutzern gehören nicht nur Bewohner privater Wohnhäuser. „Auch zahlreiche Bürogebäude wie die neue Zentrale der Spiegel-Gruppe in Hamburg, Bildungseinrichtungen wie das Zentrum für berufliche Bildung und Weiterbildung in Duisburg sowie Verkehrsinfrastrukturen wie das neue Terminal des Berliner Großflughafens gewinnen Heizwärme aus der Erde“, erläutert Stefan Schiessl, Vorsitzender der Fachsektion Oberflächennahe Geothermie des Bundesverbandes Geothermie.
Geothermie befreit Straßen von Frost und Eis
Auch die Sicherheit im winterlichen Straßenverkehr kann mithilfe der Geothermie verbessert werden: Im Oktober 2011 ging in Berkenthin, Schleswig-Holstein, Deutschlands erste Brücke mit beheizter Fahrbahn in Betrieb. Auch im Dauerfrost zu Anfang dieses Jahres war die 59 m lange Brücke frei von Glatteis.
Um Erdwärme zu gewinnen, bieten sich Sole/Wasser-Wärmepumpen mit Erdsonden oder mit Erdkollektoren sowie Wasser/Wasser-Wärmepumpen mit Brunnen an. Welche Nutzungsart jeweils die beste ist, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab.
„Die Vorteile der Erdwärmesonde sind der geringe Flächenbedarf, die potenzielle Nutzbarkeit unabhängig vom Standort, die kombinierte Nutzung von Heizen im Winter und Kühlen im Sommer sowie die Langlebigkeit“, listet Thomas Perrefort auf, Projektleiter bei Geowell Erdwärme.
Die Erdwärmeliga erstellt jährlich eine Rangliste der Bundesländer bezüglich der Nutzung der Geothermie. Dies soll motivieren, die Installation geothermischer Heizsysteme weiter zu unterstützen. Grundlage für das Ranking sind die Zahlen der vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geförderten Erdwärmepumpen für das jeweils vergangene Jahr. Das BAFA vergibt im Rahmen des Marktanreizprogramms Fördergelder, um den Einsatz von Ökoenergien im Wärmemarkt voranzubringen. Spitzenreiter ist das Land Brandenburg, aber Nordrhein-Westfalen macht beim Zubau geothermischer Anlagen die größten Fortschritte.
Eine besondere Form der Wärmenutzung bietet sich im Ruhrgebiet an: die Ausbeute des hohen Energiepotenzials von Schwelbränden in alten Bergehalden des Steinkohlenbergbaus. Eine Forschergruppe um Martin Feinendegen vom Lehrstuhl für Geotechnik im Bauwesen an der RWTH Aachen untersucht die stillgelegte Halde Wehofen-West von ThyssenKrupp Steel auf der Grenze zwischen Dinslaken und Duisburg. Seit dem Jahr 1943 ist in dieser Halde ein Schwelbrand dokumentiert. Die Versuchsanlage ergab, dass rund 9 kW thermische Leistung zur Verfügung stehen. Derzeit untersucht Feinendegen, ob die gewonnene Wärme aus dem Haldenschwelbrand zur Beheizung eines Betriebsgebäudes genutzt werden kann.
Geothermie kann in den nächsten 20 Jahren einen beachtlichen Beitrag zur Stromerzeugung leisten
Ein anderes Pilotprojekt in Bochum befasst sich mit der tiefen Geothermie und will Temperaturen über 100 °C nutzen. Damit lässt sich über Dampfturbinen Strom erzeugen. „Wir glauben, dass Geothermie in den nächsten 20 Jahren in Deutschland rund 3 GW zur Stromerzeugung beitragen wird“, erwartet Gunar Hering von der Boston Consulting Group. Heute sind bundesweit bereits fünf Kraftwerke und 18 tiefengeothermische Heizwerke im Betrieb. Das Marktvolumen für Geothermieanlagen schätzt Jörg Linsenmaier, Geschäftsführer der Linde Engineering in Dresden, allein in Deutschland auf mehrere 100 Mio. €.
Ein Beitrag von: