Energieverbrauch 27.12.2024, 07:00 Uhr

Geothermie revolutioniert die Kälteversorgung der Industrie

Das Fraunhofer IEG entwickelt gemeinsam mit Voltavision einen dynamischen Erdsonden-Kältespeicher. Dieser neue Ansatz soll den Strombedarf für Kühlung in Industriebetrieben drastisch senken und die Nutzung nachhaltiger Kälte aus dem Untergrund ermöglichen. Das BMKW fördert das Projekt mit rund 2,8 Millionen Euro.

Kühlanlage auf einem Dach.

In der Produktion entfällt ein großer Teil des Energieverbrauchs auf die Anlagenkühlung.

Foto: PantherMedia / sssss1gmel

Kühlanlagen sind in vielen Bereichen unverzichtbar, sei es zur Klimatisierung von Wohnungen und Büros oder zum Schutz von Produktionsanlagen vor Überhitzung. Doch der Betrieb dieser Anlagen verschlingt enorme Mengen an Strom – fast 15 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland entfallen auf die Kühlung. Dabei wäre vor allem im Winter und nachts genügend natürliche Kälte kostenlos verfügbar. Das Fraunhofer-Institut für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) arbeitet nun gemeinsam mit dem Praxispartner Voltavision an einer Lösung, um diese Kälte im Untergrund zu speichern und bei Bedarf auch an heißen Sommertagen zu nutzen. Das Projekt „MissEllyDEMO“ wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMKW) mit rund 2,8 Millionen Euro gefördert.

Roman Ignacy, Projektleiter am Fraunhofer IEG, erläutert den neuen Ansatz: „Unser Ziel ist es, einen Erdsonden-Kältespeicher zu konzipieren und ihn so dynamisch zu betreiben, dass er Wärmeenergie in einem breiten Leistungsbereich und bedarfsgerecht aufnehmen kann. Die intelligente Steuerung und das flexible Anlagendesign sind dabei weltweit einmalig.“ Der Industriepartner Voltavision betreibt Prüflabore und testet unter anderem Batteriezellen und -module für die Automobilindustrie. Als Vorreiter der Elektromobilität strebt das Unternehmen danach, schnellstmöglich klimaneutral zu arbeiten und den CO2-Ausstoß auf allen Ebenen deutlich zu reduzieren. Lore Mall, verantwortliche Projektleiterin bei Voltavision, erläutert: „Neben der Nutzung von Photovoltaik und dem Betrieb des ersten klimaneutralen Batterie-Prüflabors mit natürlichen Kältemitteln setzen wir bereits Abwärme zur Gebäudeheizung ein. Mit der geplanten Geothermie-Anlage und dem damit verbundenen Innovationssprung machen wir einen weiteren großen Schritt hin zu nachhaltigen Energiesystemen.“

Geothermie als Schlüssel zur Freikühlung

Bisher nutzt Voltavision an kühleren Tagen die Umgebungskälte der Luft, um das Kühlwasser der Anlagen zu kühlen. Diese sogenannte Freikühlung ist jedoch an sehr warmen Tagen nicht ausreichend, sodass dann stromintensive Kompressionskälte zum Einsatz kommen muss. Um den Anteil der Freikühlung auf bis zu 100 Prozent zu erhöhen, entstand die Idee, im Winter im Boden gespeicherte Kälte im Sommer zu nutzen. Eine Machbarkeitsstudie bestärkte das Unternehmen darin, das Projekt gemeinsam mit dem Fraunhofer IEG am Standort im Bochumer Technologie-Quartier umzusetzen.

Die Prüfanlagen von Voltavision erzeugen kurzzeitig hohe Wärmelasten, deren Kühlung auf rund 20 Grad Celsius einen Großteil des Energieaufwands ausmacht. Bisher gelangt diese Prozesswärme über einen Kühlwasserkreis, Kältemaschinen und Rückkühler auf dem Dach an die Umgebungsluft. Neben den hohen Investitionskosten für die Anlage selbst ist auch der laufende Betrieb durch den hohen Strombedarf der Kompressionskühlung kostspielig.

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Intelligente Verschaltung der Erdsonden maximiert Geothermie-Effizienz

Die Analyse des Kühlbedarfs von Voltavision zeigte, dass nicht der gesamte Jahreskühlbedarf, sondern vor allem die Spitzenlastzeiten im Sommer die Kosten in die Höhe treiben. Genau für diese Zeiten soll ein flexibles Kältereservoir im Untergrund geschaffen werden, das Erzeugung und Verbrauch von Kälte räumlich und zeitlich entkoppelt. So lassen sich Kühlanlagen stets im optimalen Wirkungsgrad betreiben, kleiner dimensionieren und gegebenenfalls sogar negative Strompreise nutzen.

Im Projekt „MissEllyDEMO“ wird erstmals ein Feld von 30 bis 40 Erdwärmesonden als Speicher für eine Industrieanwendung mit permanentem Prozesskältebedarf genutzt. Die bis zu 100 Meter tiefen Sonden werden in einem Abstand von fünf bis zehn Metern verlegt. Eine Sole dient als Betriebsmittel und gibt die abzuführende Prozesswärme an den Untergrund ab. Die intelligente und vorausschauende Betriebssteuerung regelt dabei, wie die Sonden tagesaktuell verschaltet werden –  parallel, seriell oder in bestimmten Zonen –, um eine optimale Wärmeübertragung beim Auf- und Entladen zu gewährleisten. Roman Ignacy erläutert: „Unser Verschaltungsprinzip sieht eine flexible Anordnung und eine gezielte Temperierung der Sonden vor, um die nutzbare Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rücklauf des Systems und damit die Kälteleistung zu maximieren.“

Geothermie-Anlage nutzt kostenlose Umweltkälte

Um das Kältereservoir zu regenerieren, kommt die kostenfreie und sonst ungenutzte Kühlleistung der Rückkühler zum Einsatz. Diese laufen daher nicht nur zu Spitzenlastzeiten an wenigen Stunden am Tag, sondern kontinuierlich, sobald die Außenlufttemperaturen tief genug sind. Zudem lässt sich das vom Fraunhofer IEG konzipierte Sondenfeld mit Kälte aus der Nacht und dem Winter „aufladen“, indem die Untergrundtemperaturen, die normalerweise zwischen 11 °C und 13 °C liegen, auf Werte bis knapp über dem Gefrierpunkt abgesenkt werden. So steht den Prüfanlagen von Voltavision jederzeit ausreichend nachhaltige Kälte zur Verfügung.

Eine vorherige Machbarkeitsanalyse des Fraunhofer IEG hat bereits gezeigt, dass ein dynamisch betriebenes Erdsondenfeld als saisonaler Speicher die nötige Flexibilität bietet, um die vom Kältenetz benötigte kurzfristige Spitzenleistung und die erforderlichen Temperaturniveaus abzudecken. In den nächsten vier Jahren wird nun im Projekt „MissEllyDEMO“ ein Demonstrator gebaut, in Betrieb genommen und weiter verbessert. Dieser Prototyp soll zeigen, wie die Dynamik von kostenfreier, regenerativer, aber schwankender Umweltkälte sinnvoll in einen realen ökonomischen Prozess integriert werden kann. Anja Hanßke, Leiterin des Competence Center Wärmenetze 4.0 am Fraunhofer IEG, ergänzt: „Mit unserem Erdsondenspeicher schaffen wir ein Kälteversorgungssystem für die Industrie, das hohe Anforderungen an Versorgungssicherheit und Flexibilität erfüllt. Dies gelingt durch den Einsatz eines saisonalen Kältespeichers, die Nutzung von Umweltkälte und die Betriebsoptimierung von Kälteanlagen im Gesamtsystem.“

Aus den Betriebserfahrungen sollen sich dann auch Möglichkeiten für die Erweiterung auf andere Prozesse und weitere Anwender ergeben. Dazu erstellt das Fraunhofer IEG einen Digitalen Zwilling der Anlage, der anhand der Realdaten validiert wird und anschließend als Planungstool zur Betriebs- und Auslegungsoptimierung dient. Die Grundlage dafür bilden neben theoretischen Vorbetrachtungen ein wissenschaftliches Monitoring, das alle notwendigen Betriebsdaten erfasst und verfügbar macht. Das Fraunhofer IEG bringt seine langjährige Erfahrung mit oberflächennaher Geothermie im Allgemeinen und Erdwärmesondenspeichern im Speziellen in das Projekt ein. Zudem entwickelt es maßgeschneiderte Betriebs- und Regelungsstrategien für Kälteversorgungssysteme mit vielen Senken und Quellen. So entstehen Systeme, die im Vergleich zu konventionellen Kältesystemen deutlich weniger elektrische Energie benötigen, da sie Lastspitzen vermeiden und dank eines stets optimalen, vorausschauenden Anlagenbetriebs mit der Nutzung von Wetter- und Lastprognosedaten minimal Energie verbrauchen.

Ein Beitrag von:

  • Julia Klinkusch

    Julia Klinkusch ist seit 2008 selbstständige Journalistin und hat sich auf Wissenschafts- und Gesundheitsthemen spezialisiert. Seit 2010 gehört sie zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Klima, KI, Technik, Umwelt, Medizin/Medizintechnik.

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