IEA wünscht sich Comeback der Kernkraft
Die Internationale Energieagentur (IEA) erkennt ein großes Interesse an Kernkraft weltweit. Aber es gibt Probleme. Eine Einordnung.
Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris beobachtet kontinuierlich die globale Entwicklung der Energiemärkte. Jährlich im Herbst stellt sie den „World Energy Outlook“ vor, der seit Jahren einen weltweit steigenden Strombedarf prognostiziert, daher schauten viele Länder auf die Kernkraft, um ihr Wirtschaftswachstum abzusichern. In der neuen Studie „The Path to a New Era for Nuclear Energy“ (Der Weg in eine neue Ära der Kernenergie) schaut sie noch einmal genauer hin. Ergebnis: Laut IEA steht die Kernkraft – immer weltweit gesehen – vor einer Renaissance. Das Interesse sei so groß wie seit der Ölkrise nicht mehr. „Neue Impulse für die Kernenergie haben das Potenzial, eine neue Ära einzuleiten“, so die IEA. Zwingend ist das also nicht.
Die IEA unter ihrem langjährigen Generaldirektor Fatih Birol ist eine der Organisationen, die sich weltweit für die Kernkraft als eine kohlenstoffarme Ressource für die Stromerzeugung stark machen. Schon 2019 betonte die IEA eine „wachsende Rolle der Kernenergie in einem sauberen Energiesystem“ und plädierte in der Studie „Nuclear Power in a Clean Energy System“ für die Unterstützung der Kernkraft durch erhebliche Subventionen. 2022 spekulierte sie in der Studie „Nuclear Power and Secure Energy Transitions“ über eine mögliche „Morgendämmerung“ (im Original: „dawn“) für die Technologie. Neu sind die Schlagzeilen der heutigen IEA-Studie also nicht.
Faktenlage in Sachen Kernkraft weltweit
„Es ist heute klar, dass das starke Comeback der Kernenergie, das die IEA vor einigen Jahren vorausgesagt hat, in vollem Gange ist und die Kernenergie im Jahr 2025 ein Rekordniveau bei der Stromerzeugung erreichen wird“, sagte Birol. Mehr als 410 Reaktoren seien 2023 weltweit betrieben worden, mehr als 70 GW (63 Anlagen) an neuen Kernkraftkapazitäten seien im Bau, laut Birol „eine der höchsten Zahlen der letzten 30 Jahre“. Mehr als 40 Länder planten neue Anlagen. Japans Reaktorflotte komme wieder stärker ans Netz zurück, ebenso die Anlagen Frankreichs (Ausfallgrund: Wartungen), neue Reaktoren gingen in China, Indien, Südkorea und Europa in Betrieb. Kernkraft stand 2023 für rund 9 % der globalen Stromerzeugung.
Von den 52 Reaktoren, mit deren Bau seit 2017 weltweit begonnen wurde, sind 25 chinesischer und 23 russischer Bauart. Produktion und Anreicherung von Uran sind konzentriert auf wenige Lieferanten. „Heute werden mehr als 99 % der Anreicherungskapazitäten in vier Lieferländern betrieben, wobei Russland mit 40 % der weltweiten Kapazität den größten Anteil stellt“, so Birol.
Woran macht die IEA das wachsende Interesse fest?
„Das Interesse an der Kernenergie ist heute so groß wie seit den Ölkrisen der 1970er-Jahren, mit einer Unterstützung für den Ausbau der Nutzung der Kernenergie in mehr als 40 Ländern“, so die Studie. Dieses überragende Interesse definiert die IEA nirgends, sie macht es vielmehr an einer Vielzahl einzelner Fakten fest. Die Agentur stützt sich auf eine Kombination aus Daten wie den Stromerzeugungszahlen und Investitionssummen und Einschätzungen zu politischen Entwicklungen.
Wo es haken könnte beim Comeback der Kernkraft
Es gibt eine Reihe von Hindernissen, damit die globale Renaissance wirklich kommt: Finanzierung, Regulierung und ein sicherer Betrieb und eine gesicherte Entsorgung.
„Eine neue Ära der Kernenergie erfordert hohe Investitionen. Bei einem schnellen Wachstumsszenario für die Kernenergie müssten sich die jährlichen Investitionen bereits bis 2030 auf rund 120 Mrd. $ verdoppeln“, heißt es in der Studie. Heute werden 65 Mrd. $ investiert, schreibt man die heutigen politischen Rahmenbedingungen fort, würden es 2030 70 Mrd. $ sein, so die IEA. Ambitioniertere Ausbaupfade aber erforderten mehr Geld. Dabei fließt vor allem Staatsgeld in den Ausbau.
Mit dem Aufkommen der SMR-Technologie ist erkennbar mehr privates Geld im System, aber, so die IEA, damit das mehr wird, müssten Regierungen bereit sein, den Investoren stabile rechtliche Rahmenbedingungen und eine strategische Vision zu bieten. Dennoch heißt es bei der IEA: „Mit der richtigen Unterstützung …“ – sprich, hier müssen die Staaten Steuergelder flott machen, damit die SMR-Technologie ihre Versprechen einhalten könnte. Dann, so die IEA, könnten SMR-Installationen „bis 2040 eine Leistung von 80 GW erreichen, was 10 % der gesamten Kernkraftkapazität weltweit entspricht“.
Anmerkung: Wohin es führen kann, wenn staatliche Rahmenbedingungen sich relativ kurzfristig ändern, zeigt der beständige gesellschaftliche Streit um den Ausbau erneuerbarer Energien und das Hickhack um die Zeitskala für den Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Die betroffenen Industrien wandern ab, Investitionen werden verschoben, Wertschöpfungsketten beschädigt. Für die Kerntechnik wären Langfristinvestments mit großen Investitionssummen verknüpft, die diese Unsicherheit überhaupt nicht vertragen würden.
Wie stabil sind Lieferketten und Entsorgungspfade?
Der bestehende Ausbau der Kernkraft stützt sich derzeit auf chinesische und russische Technik, weil in diesen Ländern auch die meisten Neubauprojekte sind. Uran ist eine kritische Ressource, weil langfristig der Kernbrennstoff benötigt wird. Die IEA verweist hier auf das Risiko künftiger Abhängigkeiten. Das ist längst erkannt: Bereits im Frühjahr 2023 verabredeten die USA und die EU ein gemeinsames Vorgehen. Die Technologieentwicklung im SMR-Bereich, die vor allem in westlichen Ländern stattfindet, stellt eine Alternative im Anlagenbereich dar, reicht aber nicht für ein schnelles Ramp-up mit Gigawattanlage.
Die IEA betont zudem in ihrer Studie die große Bedeutung der Anlagensicherheit und gesicherter Entsorgungspfade (Rückbau, Endlagerung) und Kernbrennstoffkreisläufe. Entsprechende Konzepte seien „essenziell“, um gesellschaftliche Akzeptanz zu bekommen und die entsprechenden Programme aufzusetzen. Andernfalls dürfte auch die für die privaten Investoren notwendige Sicherheit nicht darstellbar sein. Das macht es vor allem für Staaten, die mit Kerntechnik erst beginnen, zu einem langfristigen Unterfangen. Wie schnell eine große Anlage braucht, um am Netz zu sein, hängt damit weniger von der reinen Bauzeit ab, als davon, gesellschaftlich und institutionell die für einen sicheren Betrieb notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen – von der Ausbildung des benötigten Personals ganz abgesehen.
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