Im Supergrid arbeiten Gleichstrom und Wechselstrom friedlich nebeneinander
Spricht der Energietechniker von AC/DC, will er ganz sicher nicht an die australische Hardrock-Band erinnern, sondern die Zukunft der Stromübertragungsnetze beschwören. Wechsel- und Gleichstrom werden im „Supergrid“ nebeneinander existieren.
Wann, wo, in welchen Mengen, warum und in welche Richtung zukünftig elektrischer Strom in den Versorgungsnetzen fließen wird, wird oft vom Wetter, von regionalen Bedingungen und auch vom Strompreis an den weltweit arbeitenden und entstehenden Strombörsen abhängen. Für diese wechselhaften Übertragungszustände sind die bestehenden Netze allerdings nicht eingerichtet. Sie sind daher ständig in Gefahr, stellenweise überlastet zu werden – Ausfälle drohen.
Die nationalen und zunehmend auch die internationalen Verteilnetze müssen den neuen Anforderungen angepasst werden. Vor allem müssen neue „Stromautobahnen“ für die Übertragung großer Strommengen über große Entfernungen neu errichtet werden. Wenn zum Beispiel über der Nordsee der Wind kräftig bläst und Strom erzeugt, der in Süddeutschlands Industrie gebraucht wird, sollte der Strom möglichst effizient – verlustarm – übertragen werden können. Und es müssen diese neuen Netze gesichert werden gegen die wetterbedingten Ausschläge der alternativen Energielieferanten Wind und Sonne.
Gleichstrom-Übertragung kann Stromverluste stark senken
Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ, 1100 kV sind bereits im Gespräch) eignet sich für die Übertragung großer Strommengen besser als konventionelle Wechselstromleitungen, da die Übertragungsverluste um mehr als ein Drittel niedriger liegen. Allerdings sind die Kosten wegen diverser technischer Anpassungen höher als im Wechselstromnetz. Erst ab etwa 700 km Freileitungslänge, bei Seekabeln schon bei etwa 50 km, sei der Break-even für diese Technologie erreicht, sagt Patrick Plas, Senior Vice President der Grid Power Electronics and Automation von Alstom.
Das Unternehmen Alstom beschäftigt sich seit 50 Jahren mit der Gleichstromübertragung und nutzt jetzt seine Erfahrung im sich weltweit wandelnden Markt der Stromnetzwerke. Plas sieht die Zukunft der Stromversorgung mit beiden Technologien aufgestellt: Wechselstrom, wie er von Kraftwerken kommt, nach wie vor auf den kurzen Wegen und in der Unterverteilung, Gleichstrom für große Distanzen. In der Kombination AC/DC (alternating current/direct current) werde die Stromversorgung effizienter, weiß Plas.
Aber die Kombination der beiden Stromarten biete auch noch andere Vorteile gegenüber dem reinen Wechselstromnetz: Über Hochspannungs-Gleichstrom (HVDC) können beispielsweise Netze unterschiedlicher Spannung und Frequenz und asynchrone Netze miteinander verbunden werden. Bisher isoliert voneinander arbeitende Netze können damit erstmals im Verbund wirtschaften und somit Einspeisung, Speicherung und Verbrauch regenerativer Energien besser steuerbar machen.
Alstom schließt Windpark Borkum per Gleichstrom-Leitung ans Festland an
Im Werk Stafford bei Birmingham, Großbritannien, entwickelt und baut Alstom in seinem R&D-Zentrum die Technologie für das „Supergrid“ der Zukunft: Hier sind es vor allem mit Leistungsthyristoren und -transistoren bestückte AC/DC-Wandler, die im Netz die Knoten bilden sollen. Sei es, um aus Wechselstrom Gleichstrom zu machen und Hochspannung bis zurzeit 800 000 V für die Fernleitung zu erzeugen oder sei es, um in der „back to back“-Lösung Netze unterschiedlicher Spannungen und Frequenzen miteinander zu verbinden.
Hier sind in einer Station zwei Konverter untergebracht, die jeweils aus Wechselstrom Gleichstrom erzeugen und umgekehrt. Die Regelelektronik passt Frequenz und Spannung dem jeweiligen Netz an. Im Februar erhielt Alstom Grid den Auftrag, die Netzanbindung des Windpark-Clusters nördlich von Borkum in der Nordsee per Gleichstrom über eine 162 km lange Verbindung bis zur Übergabestation in Dörpen, Niedersachsen, zu errichten.
Auf der Plattform Dolwin gamma wird Alstom einen Voltage Source Converter installieren, der den vom Windpark ankommenden Wechselstrom (20 kV, 900 MW) aus der Windfarm in Gleichstrom wandelt und über ein 83 km langes Seekabel an Land leitet. Von dort geht es ebenfalls per Gleichstrom weiter bis in die Konverterstation Dörpen West in Niedersachsen, wo die Energie wieder in Wechselstrom gewandelt und ins allgemeine Übertragungsnetz eingespeist wird.
Der Markt für HGÜ ist riesig und steht erst am Anfang seiner Entwicklung. Patrick Plas: „Der größte Markt entsteht in Europa dort, wo regenerative Energien eingespeist werden müssen. Aber auch dort, wo die Distanz zwischen dem Ort der Energieerzeugung und den Verbrauchszentren groß ist – wie in Brasilien, Nordamerika und China.“
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