„Indirekte Landnutzungsänderungen sind seriös nicht messbar“
Das Konstrukt indirekter Landnutzungsänderung (iLUC) prägt die politische Debatte über Biokraftstoffe. Danach sorgt hiesiger Rapsanbau dafür, dass Regenwälder in Asien und Südamerika gerodet werden. Die EU-Kommission plant, auf Treibhausgasbilanzen von Biokraftstoffen einen iLUC-Faktor aufzuschlagen. Matthias Finkbeiner, Professor an der TU Berlin und Vorsitzender des ISO-Komitees Umweltmanagement/Ökobilanzen und Projektleiter des „Carbon Footprint Project“ der UN, kritisiert die Pläne.
Finkbeiner: Eine seriöse Ökobilanz soll faktenbasierte Entscheidungshilfen liefern. Indirekte Landnutzungsänderungen lassen sich aber weder beobachten noch messen. Alle untersuchten Methoden zur iLUC-Quantifizierung stützen sich auf theoretische Modelle, die ihrerseits auf hypothetischen Annahmen und Marktprognosen basieren. Das klingt wenig vertrauenerweckend.
Spätestens, wenn man sich die Streubreite von iLUC-Faktoren ein und derselben Biokraftstoffe in den verschiedenen Veröffentlichungen anschaut, wird klar, dass mit hochgradig unsicheren Schätzwerten operiert wird. Die Wissenschaft ist sich einig, dass die Unsicherheiten weit über dem Niveau liegen, das quantitative Wissenschaft üblicherweise anstrebt.
Um es kurz zu fassen: nahe der Grenze zur Willkürlichkeit. Bei Biodiesel variieren die in Studien vorgeschlagenen iLUC-Werte zwischen 0 g und 60 kg CO2-Äquivalent/kg. Das ist eine größere Differenz als zwischen dem seriös bilanzierten Carbon Footprint von Linsen und Lammfleisch oder von Naturkautschuk und Nickel. Gestützt auf solche Werte liegt allein der iLUC-Faktor von Biokraftstoffen – ungeachtet der THG-Werte für die Agrarproduktion, Biokraftstofferzeugung etc. – um etwa 200 % unter oder 1700 % über dem Wert für fossile Brennstoffe.
Das ist ein eindeutiges Zeichen für die mangelnde wissenschaftliche Belastbarkeit der Werte. Die Angabe eines einzelnen, konkreten Wertes für iLUC-Faktoren ist aus heutiger Sicht schlicht unseriös. Jeder exakt ausgewiesene iLUC-Wert spiegelt bisher eher die Herangehensweise und das Rechenmodell des jeweiligen Autors wider, als eine verlässliche Aussage über die untersuchte landwirtschaftliche Kultur oder den Biokraftstoff zu treffen. Die Zuverlässigkeit und die Integrität genauer iLUC-Faktoren erfüllen nicht den Qualitätsanspruch an wissenschaftliche Erkenntnisse.
Ich habe da Zweifel – erst recht, wenn nur Biokraftstoffe betrachtet werden. Eines ist klar: Landnutzungsänderungen sind ein reales, sehr ernst zu nehmendes Problem. Aber wie ist sauber zwischen direkter und indirekter Landnutzungsänderung (dLUC) zu differenzieren? ILUC ohne dLUC gibt es nicht.
Würden alle Produkte untersucht – nicht nur Biokraftstoffe – würde für jedes Produkt ein dLUC-Wert vorliegen. Erst dann könnte man darüber nachdenken, ob und wie sich die Treibhausgasemissionen durch Landnutzungsänderungen einer bestimmten Fläche sinnvoll auf die „vertriebene“ und die „auslösende“ Kultur verteilen lassen. Sonst sind Doppelzählung und ungewollte Trittbrettfahrer-Anreize vorprogrammiert.
… ist aber die Voraussetzung einer stimmigen Bilanzierung. Entweder gibt es „iLUC für alle oder iLUC für keinen“. Wenn in Europa Flächen stillgelegt werden, wenn ökologischer Landbau Flächen extensiver nutzt, wenn Flächen zum CO2-Ausgleich bewaldet werden, dann erhöht auch das laut iLUC-Theorie den Druck auf ökologisch sensible Flächen. Wo ziehen Sie die Systemgrenze der Bilanzierung? Und letztlich müssten auch indirekte Effekte fossiler Kraftstoffe betrachtet werden. Eine US-Studie hat errechnet, dass sich allein durch den militärischen Schutz der Erdölvorkommen im Nahen Osten die Treibhausgasintensität mineralölbasierter Kraftstoffe aus dieser Region um etwa das Doppelte erhöht.
Als Wissenschaftler geht es mir um methodische Konsistenz. Entweder müssen in die Bilanzierung alle indirekten Effekte von Produktsystemen einfließen – oder keine. Im Fall von Biokraftstoffen willkürlich iLUC-Faktoren heranzuziehen und sie ansonsten außen vor zu lassen, ist methodisch inkonsistent.
Doch überall alle indirekten Effekte einzubeziehen, ist schlicht unmöglich. Ein energieeffizienter Kühlschrank senkt die Stromrechnung. Was macht der Besitzer mit der Ersparnis? Fliegt er in den Urlaub, statt eine Radtour zu machen? Und muss dann ein Verhaltensänderungsfaktor auf die Ökobilanz des Kühlschranks aufgeschlagen werden? Dann müssten wir künftig vom Kauf energieeffizienter Geräte abraten.
Die europäische Umweltpolitik ist leider noch weit von der Implementierung einer lebenszyklusbasierten Entscheidungsfindung entfernt, obwohl bei prozessbasierten Ökobilanzen eine hohe Stringenz und ein hoher Standardisierungsgrad erreicht sind.
Verglichen mit seriösen Ökobilanzen, sind die Unsicherheit und Willkürlichkeit von iLUC-Faktoren um ein Vielfaches größer. Es mutet schon merkwürdig an, dass die EU-Politik iLUC-Faktoren implementieren will, ökobilanzbasierte Regelungen in anderen Politikfeldern aber als zu „gefährlich“ ablehnt. Dies ist weder konsequent noch verantwortungsvoll, sondern schlichtweg leichtsinnig.
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