Innovationskraft: Wie 24/7-Ökostrom Unternehmen zu Vorreitern der Energietechnologie macht
Eine neue Studie zeigt: Wenn Unternehmen sich verpflichten, rund um die Uhr ausschließlich Ökostrom zu beziehen, kann das zu großen Fortschritten bei der Entwicklung neuer Technologien für saubere Energie führen. Schon ein kleiner Kreis von Firmen könnte so einen regelrechten Schub auslösen und die Markteinführung fortschrittlicher Lösungen beschleunigen.
![Ein grüner Stecker in einer Gruppe von weißen Steckdosen.](https://www.ingenieur.de/wp-content/uploads/2025/02/panthermedia_B11288967_6669x5000-scaled-e1739455053987-1200x600.jpg)
Wenn Sie ausschließlich Ökostrom beziehen, können Unternehmen die Entwicklung sauberer Energie unterstützen.
Foto: PantherMedia / numismarty
Firmen, die beschließen, ihren Energiebedarf rund um die Uhr ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen zu beziehen, haben die Möglichkeit, nicht nur ihre eigenen CO2-Emissionen zu beseitigen, sondern auch Vorreiter für technologische Fortschritte im Energiebereich zu sein. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität Berlin, der Princeton University und des Unternehmens Google durchgeführt wurde. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal Joule veröffentlicht.
Um einen kontinuierlichen Bezug von 24/7-Ökostrom rund um die Uhr sicherzustellen, muss der Energieverbrauch eines Unternehmens in jeder Stunde durch zuverlässig sauberen Strom gedeckt werden können. Das unterscheidet sich von herkömmlichen Ökostromtarifen, bei denen normalerweise nur eine festgelegte Menge an erneuerbarer Energie pro Jahr eingekauft wird.
Um die Firmen lückenlos mit grünem Strom versorgen zu können, müssen die erzeugten Mengen an Ökostrom genau erfasst werden und nachverfolgbar sein. Zudem spielen Stromspeicher und neue Verfahren zur emissionsfreien Stromerzeugung eine entscheidende Rolle. Mithilfe der Open-Source-Software PyPSA der TU Berlin simulierten die Forschenden verschiedene Szenarien. So wollten sie herausfinden, wie sich eine Selbstverpflichtung von Unternehmen zum 24/7-Ökostrom-Bezug auswirkt, wenn es darum geht, saubere Energietechnologien weiterzuentwickeln.
Ökostrom-Ansatz fördert Langzeitspeicher und steuerbare Stromquellen
Iegor Riepin, Erstautor der Studie und Mitarbeiter am Fachgebiet „Digitaler Wandel in Energiesystemen“ der TU Berlin, erklärt: „Zu den neuen Technologien, die von einem 24/7-Ökostrom-Ansatz profitieren würden, zählen beispielsweise Langzeitspeicher, um längere windstille Phasen zu überbrücken, sowie steuerbare Stromquellen wie fortschrittliche Geothermie oder moderne Gaskraftwerke mit Allam-Cycle-Turbinen.“ Die steigende Nachfrage könne dieser Technik helfen, die kritische Zeit zwischen früher Innovationsphase und breiter Markteinführung – das sogenannte „Tal des Todes“ – zu überwinden.
„Wenn erste Projekte realisiert werden, führt das durch Skaleneffekte zu Kostensenkungen. Dadurch wird 24/7-Ökostrom für mehr Unternehmen und Organisationen bezahlbar“, sagt Riepin. Eine zunehmende Verbreitung bewirke dann einen „positiven Kreislauf“, der die Wettbewerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Strommarkt beschleunige. Dabei zeigen sich auch indirekte Effekte: Möglich sei es, Treibhausgas in einer Menge einzusparen, die weit über das hinaus geht, was die anfänglichen Investitionen mit den direkten Emissionsreduzierungen erreichen.
Katalysatoreffekt bereits bei wenigen teilnehmenden Unternehmen
Laut den Modellen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genügt es schon, wenn sich Unternehmen in Höhe von lediglich drei Prozent des deutschen Unternehmens- und Industriestrombedarfs zum 24/7-Ökostrom verpflichten, um Lernprozesse anzustoßen und Kosten bei fortschrittlichen Technologien zu senken. Tom Brown, Leiter der Abteilung „Digitale Transformation in Energiesystemen“, sieht darin einen enormen Katalysatoreffekt: „Unsere Berechnungen zeigen beispielsweise, dass ein solches Unternehmens-Engagement ausreichen würde, um den erwarteten Ausbau von Langzeit-Batterien auf Eisen-Luft-Basis zu vervierfachen und ihre Kosten bis 2030 um ein Viertel zu senken.“ Die erste Speicheranlage dieser Art in Europa ist im irischen Donegal geplant. Sie soll eine Gigawattstunde Strom für 100 Stunden speichern können und eine geschätzte Lebensdauer von 30 Jahren haben. Ihr Funktionsprinzip basiert quasi auf „reversiblem Rosten“: Bei der Entladung nimmt die Batterie Sauerstoff aus der Luft auf und verwandelt Eisen in Rost; beim Aufladen kehrt sich der Prozess um.
Vergleichbar könnte sich eine 24/7-Ökostrom-Verpflichtung von Unternehmen auch auf andere innovative Technologien zur emissionsfreien Stromerzeugung auswirken, etwa auf die Allam-Cycle-Turbine. Diese wird bereits in einem Kraftwerk in Texas eingesetzt und verbrennt den Energieträger ausschließlich mit reinem Sauerstoff. Dadurch bestehen die Abgase nur aus Wasser und CO2, das leicht abgeschieden und gespeichert oder mithilfe erneuerbarer Energien wieder in Brennstoffe umgewandelt werden kann. Besonders interessant ist, dass die Allam-Turbine den Sauerstoff nutzen könnte, der bei der Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse mit Ökostrom entsteht. Die Forschenden schätzen, dass bereits ein Prozent des deutschen Industrie- und Gewerbestroms aus garantiert CO2-freien Quellen die Kosten für die Allam-Technologie um zwölf Prozent senken könnte; bei einem Anteil von zehn Prozent wären es sogar 38 Prozent.
Unternehmen schließen sich zu „24/7 Carbon-free Coalition“ zusammen
Mit zunehmendem technologischem Reifegrad und sinkenden Kosten werde der 24/7-Ökostrom-Ansatz über freiwillige Unternehmensinitiativen hinaus zu einer breiteren, systemweiten Dekarbonisierung führen, ist Tom Brown überzeugt: „Der durch privatwirtschaftliches Engagement angestoßene Innovationszyklus kann eine Welle des Wandels auslösen, die den Energiemarkt revolutioniert, Emissionen reduziert und den Weg für eine saubere Zukunft ebnet.“ Tatsächlich haben sich bereits Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Regionen in der „24/7 Carbon-free Coalition“ zusammengeschlossen, um dieses Ziel konsequent zu verfolgen. Zu den Mitgliedern gehören unter anderem Google, Vodafone, der Zementhersteller Shree und das Pharmaunternehmen AstraZeneca.
Die Studie kombinierte die von Tom Browns Team entwickelte Simulationssoftware PyPSA, die globale Wetter- und Infrastrukturdaten zur Nutzung und Speicherung erneuerbarer Energien erfasst, mit einem „Lernmodell“. Letzteres schätzt anhand bereits existierender und geplanter Projekte sowie historischer Lernkurven etablierter Technologien ab, wie sich die Kosten verringern könnten und wie sich technische Herausforderungen bei der Entwicklung innovativer Ansätze lösen ließen.
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