Japan produziert Strom in uralten Öl- und Gaskraftwerken
Japan hat am Sonntag sein letztes noch stromlieferndes Atomkraftwerk abgeschaltet. Die Sicherheitsüberprüfung aller Atomkraftwerke im Land macht das Inselreich mindestens bis zum Jahresende zum atomstromfreien Land. Dennoch ist Strom nicht knapp: Das Land produziert seinen Strom in uralten Öl- und Gaskraftwerken.
Seit dem gestrigen Sonntag produziert Japan seinen gesamten Strom ohne Atomkraft: Der Kraftwerksbetreiber Kansai Electric (KEPCO) fuhr den letzten stromerzeugenden Reaktor Nummer 4 im Atomkraftwerk Oi in der westlichen Provinz Fukui zu Routineinspektionen herunter. Obwohl Japan vor der Atomkatastrophe am 11. März 2011 in Fukushima Daiichi rund ein Drittel seines Strom aus Atomkraft produzierte, konnte Japan das Abschalten von 50 Reaktoren ausgleichen.
Die Versorger haben teilweise uralte Gas- und Ölkraftwerke wieder in Betrieb genommen. Mit Wirkungsgraden von teilweise weniger als 30 Prozent verwandeln sie die wertvollen fossilen Rohstoffe vor allem in Wärme, die nutzlos an die Atmosphäre abgegeben wird. Damit wurde das Land zum weltgrößten Importeur beim Erdgas, das in Tankern angeliefert wird. Pipelines, die den Transport verbilligen würden, sind wegen der großen Entfernung zu den Lieferländern wie Quatar und Indonesien nicht möglich. Japan ist auch einer der größten Importeure von Erdöl.
Abgesehen davon, dass die Kohlendioxidemissionen in Japan drastisch ansteigen, trifft der Öl- und Gashunger der Japaner die gesamte Weltwirtschaft. Die Preise ziehen an, sodass etwa die deutschen Autofahrer immer tiefer in die Tasche greifen müssen. Wenn auch nicht so tief wie die Japaner. Durch den Ausfall der Kernenergie sind die Strompreise um 30 Prozent und mehr gestiegen.
Regierung will Atommeiler nach Sicherheitsprüfung wieder hochfahren
Derzeit lässt die Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe allerdings prüfen, welche der 50 Reaktoren im Land die im Sommer eingeführten Sicherheitsregeln erfüllen und wieder hochgefahren werden können. Einige Anlagen, die bereits viele Jahrzehnte auf dem Buckel haben, dürften den Check wohl nicht überstehen. Fukushima hätte dazugehört, unter anderem, weil die Notstromaggregate aller sechs Blöcke so angeordnet waren, dass sie gleichzeitig zerstört werden konnten – was ja auch geschehen ist.
Anfang nächsten Jahres könnten die ersten Anlagen, die die Prüfung bestanden haben, wieder Strom erzeugen. Allerdings wachsen die Widerstände der Bevölkerung, nicht zuletzt, weil es immer wieder Pannen in Fukushima gibt. Erst vor einem Monat erfuhr die Öffentlichkeit, dass in Fukushima seit zwei Jahren große Mengen radioaktiven Wassers ins Meer fließen. Im August sind täglich 300 Tonnen verseuchtes Wasser aus den Speichertanks ausgelaufen. Das Wasser hat laut Kraftwerksbetreiber Tepco sehr hohe Strahlungswerte von 100 Millisiervert pro Stunde. Das ist der Strahlungswert, den ein Mitarbeiter in einem japanischen Atomkraftwerk innerhalb von 5 Jahren abbekommen darf, hier bekommt man den jetzt allerdings in einer Stunde. Hält sich ein Mensch nur eine Stunde direkt neben diesem Wasser auf, so treten nach zehn Stunden erste Anzeichen der Strahlenkrankheut auf: Übelkeit und ein Rückgang der weißen Blutkörperchen.
Ruhe an der Atomfront vor der Abstimmung über die olympischen Sommerspiele
Die schlechten Nachrichten aus Fukushima und der wachsende Widerstand der Bevölkerung gegen die Atomkraft passten der Regierung allerdings angesichts der Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2020 gar nicht ins Konzept. „Die Strahlung in Tokio ist nicht höher als in London, Paris, New York oder anderen Weltstädten“, versicherte Tsunekazu Takeda, der Vorsitzende des japanischen olympischen Komitees, bei der Vorstellung der japanischen Bewerbung beim IOC. Bei der 45-minütigen finalen Präsentation warf Ministerpräsident Shinzo Abe schließlich sogar seine persönliche Würde in die Waagschale, um den Zuschlag vor den Konkurrenten Madrid und Istanbul zu erhalten: „Ich werde Verantwortung für Maßnahmen übernehmen, um die Situation absolut risikofrei zu halten.“
Olympischer Fackellauf geht auch durch Fukushima
Erstaunlich waren die japanischen Aussagen zu den Gefahren in Fukushima, das rund 250 Kilometer von Tokio entfernt liegt. Abe behauptete, alles sei unter Kontrolle, die radioaktive Verseuchung in Fukushima beschränke sich auf einen Umkreis von nur 300 Metern um den Hafen vor der Atomruine. Und diese Fläche sei eingegrenzt. Deshalb soll sogar der olympische Fackellauf durch Fukushima führen. Das hielt das IOC nicht davon ab, die Spiele an Tokio zu vergeben.
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