Keime in der Grauzone der Hausinstallation
Trinkwasser gilt als das am besten überwachte Lebensmittel. Mikrobiologen aus Duisburg und Bonn haben daran jedoch Zweifel. Sie fanden bei einer Auswertung von Messungen der Gesundheitsämter in Hausinstallationen mehr gesundheitsschädliche Keime als gut ist. Die Verteilernetze hinter der Wasseruhr, so ihre Forderung, müssen gezielter kontrolliert und vor allem richtig betrieben werden.
Trinkwasser muss nicht keimfrei sein. Allerdings sollte Wasser für den menschlichen Gebrauch so beschaffen sein, „dass durch seinen Genuss oder Gebrauch eine Schädigung der menschlichen Gesundheit nicht zu besorgen ist.“ Wer wollte dieser Prämisse im Infektionsschutzgesetz widersprechen? Allerdings gilt auch beim Trinkwasser: Die Gesetze sind immer nur so gut wie ihre Überwachung. Die Gesundheitsämter der Länder sind per Trinkwasserverordnung verpflichtet, die Keimbelastung in Installationen öffentlicher Gebäude regelmäßig – in der Regel alle ein bis zwei Jahre – zu messen. Dabei machen die Ämter allerdings meist nur Stichproben. Allein in Köln gibt es 8000 öffentliche Gebäude mit Zapfstellen, die zur Entnahme von Trinkwasser dienen. „Die Ämter haben häufig weder die Zeit noch das Personal, die alle regelmäßig zu beproben“, sagt Prof. Thomas Kistemann, stellvertretender Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Uni Bonn.
Kistemann und seine Kollegen haben erstmals die Messdaten deutscher Gesundheitsbehörden in über 4400 öffentlichen Gebäuden mit rund 30 000 Wasserproben aus den Jahren 2003 bis 2009 ausgewertet. Und festgestellt: Die Qualität des Trinkwassers in Deutschland ist vorbildlich – bis zur Wasseruhr. „Dann aber beginnt eine Grauzone: Die Hausinstallation, also das Trinkwassernetz von der Wasseruhr bis zum Hahn“, sagt Projektleiter Prof. Hans-Curt Flemming, Direktor des Instituts für Grenzflächen-Biotechnologie an der Uni Duisburg-Essen und Koordinator des Gesamtprojekts.
Die Hausinstallation ist ein biologisch aktives System, über dessen Vorgänge man wenig weiß. Bekannt ist, dass Keime an Wandungen von Leitungen, aber auch an Dichtungen und Armaturen sogenannte Biofilme ausbilden – und zwar auf Kupfer genauso wie auf Kunststoff oder synthetischem Gummi. In Biofilmen überleben Mikroorganismen besonders gut, da sie in eine Schicht aus extrazellulären polymeren Substanzen eingebettet sind. Ziel des Forschungsprojektes von Wissenschaftlern mehrerer Universitäten und 17 Industriepartnern war, die Bedeutung von Biofilmen in der Trinkwasserinstallation als Kontaminationsquellen zu charakterisieren.
Bei der Auswertung der Daten fanden die Wissenschaftler, dass in 12 % der Warmwasserproben die Belastung mit Legionellen über 100 keimbildenden Einheiten (KBE) pro 100 ml lag. Dieser Wert gilt als „technischer Maßnahmewert“ und bedeutet noch keine konkrete Gesundheitsgefahr. Der „Gefahrenwert“ für Legionellen liegt bei 10 000 KBE pro 100 ml. 3 % der Kaltwasserproben enthielten Bakterien der Gattung Pseudomonas. Sowohl Legionellen als auch Pseudomonaden sind für gesunde Menschen in niedriger Dosis in der Regel unbedenklich. Bei Kranken und Alten können Pseudomonaden in Einzelfällen Schleimhaut- und Wundinfektionen, Lungenentzündung sowie Sepsis verursachen. „Daher erscheint uns wichtig, dass die Installationen vor allem von Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen gezielter überwacht werden“, sagt Kistemann.
Das Interesse der Wissenschaftler galt den Messmethoden, den biologischen Vorgängen innerhalb der Biofilme und der Frage, welche Einflussgrößen die Filmbildung begünstigen. Klar ist: Bakterien müssen sich ernähren – und dabei kommen ihnen Additive wie Weichmacher oder Antioxidationsmittel aus Kunststoffleitungen und Gummidichtungen, aber auch Trennmittel auf Kupferrohren gerade recht. Auch hohe Nitrat- und Phosphatgehalte im Trinkwasser und höhere Wassertemperaturen begünstigen mikrobielles Wachstum. „Eine Kombination aus schlechten und billigen Werkstoffen und nährstoffreichem Wasser führt zu starker Biofilmentwicklung“, so Flemming. Besonders stark und sogar mit bloßem Auge sichtbar waren Biofilme auf dem synthetischen Gummiwerkstoff Ethylen-Propylen-Dien-Monomer (EPDM). Anders gesagt: Nährstoffarmes und kaltes Wasser in relativ alten und additivarmen Installationen neigt am wenigsten zur Ausbildung von Biofilmen.
Nicht nur die Wahl der Werkstoffe, auch die Analysemethode beeinflusst das Ergebnis. In der Trinkwasserüberwachung werden ausschließlich die koloniebildenden Einheiten, also die Zahl der vermehrungsfähigen Organismen bestimmt. „Es ist aber bekannt, dass Mikroorganismen, die keine Kolonien bilden und nicht wachsen, deshalb nicht tot sein müssen“, so Flemming. Viele Bakterien in Trinkwasserpopulationen können über lange Zeit hinweg ihren Stoffwechsel „einfrieren“ und ihn bei guten Wachstumsbedingungen wieder aktivieren. Während des Tiefschlafs sind sie vom Radar der Standardüberwachung verschwunden.
Daher empfehlen Hygieniker und Mikrobiologen in bestimmten Fällen den Einsatz von molekularbiologischen Analysemethoden, mit denen die Gesamtzellzahl und die Zahl der tatsächlich lebenden Organismen bestimmt werden können. Das wäre beispielsweise in Krankenhäusern sinnvoll, wo Patienten mit geschwächtem Immunsystem versorgt werden. In den kommenden drei Jahren wollen die Forscher mit molekularbiologischen Methoden die pathogenen Keime und die Bedingungen für ihren Tiefschlaf näher untersuchen. Das BMBF stellt hierfür mehr als 2 Mio. € bereit.
Und im Privatbereich? Eine Überwachung privater Trinkwasserinstallationen findet nur in Ausnahmefällen statt. Die beteiligten Forscher sind sich sicher, dass der eine oder andere Privatmann über sein Trinkwasser mehr Keime zu sich nimmt, als er glaubt. Wer gesund ist, muss sich in der Regel keine Sorgen machen. „Aber immer mehr Menschen werden zuhause ambulant gepflegt“, betont Kistemann. Und damit werde das Problem hoher Keimbelastungen durchaus relevant.
Vor allem aber kritisieren die Wissenschaftler, dass beim Betrieb von Installationssystemen die allgemein anerkannten Regeln der Technik häufig nicht eingehalten werden. Kistemann: „Ein korrekter Betrieb ist für die Keimbelastung genauso wichtig wie die regelmäßige Analyse der Keimzahl.“
Was tun? Die Wissenschaftler empfehlen, bei der Auswahl der Materialien für Installationsnetz und Armaturen auf hohe Qualität und entsprechende Gütezeichen zu achten, außerdem darauf, dass länger still stehende Leitungen gründlich gespült werden und Trinkwasser im Zweifel abgekocht wird. Zu Panik jedenfalls ist kein Grund. Kistemann: „Ich trinke zu Hause weiter mein Trinkwasser aus der Leitung.“ CHRISTA FRIEDL
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