Kernkraft-Studenten: Sicherheit ist keine technische, sondern eine politische Frage
Der Nachwuchs bleibt unverzichtbar – beim Ein- wie beim Abschalten von Kernkraftwerken. Angehende Reaktortechnik-Ingenieure der RWTH Aachen sehen hinter dem Drama in Fukushima eher politische als technische Fragestellungen.
Vom Super-Gau im unterfränkischen Kernkraftwerk Grafenrheinfeld hat Björn Krupa, Maschinenbau-Student an der Technischen Hochschule Aachen (RWTH), noch nichts gehört. Die Geschichte um eine 14-jährige Schülerin und andere Strahlenopfer ist nicht wirklich passiert, sondern steht in einem Jugendroman aus dem Jahre 1987, ein Jahr nach der Tschernobyl-Katastrophe.
„Die Wolke“ ist seither ein gängiger Lektüretipp für den Deutschunterricht in der zehnten und elften Klasse. Krupa las jedoch schon immer lieber im sachlichen Physikbuch. „Im Leistungskurs berechneten wir, wie viel Energie aus 1 t Steinkohle und 1 g Uran gewonnen werden kann. Da hat´s bei mir gezündet.“
Wir treffen Krupa in einem Kreis von Diplomanden am Aachener Lehrstuhl für Reaktorsicherheit und Reaktortechnik. Wie denken die Nachwuchskräfte über zivile Nutzung der Atomkraft nach dem schweren Unfall in Fukushima? Dass die Anlage vor der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe nicht sicher genug war, steht außer Zweifel. Die angehenden Kernkraftingenieure wollen die Verantwortung aber nicht im Nebel lassen: Wie hoch oder tief die Sicherheitsschwellen gelegt werden müssen, ist für sie letztlich keine technische, sondern eine politische Frage.
Und damit stehen sie fest auf dem Boden eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1978 zum Schnellen Brüter in Kalkar. Auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) betont immer wieder: Wie viel „Restrisiko“ Gesellschaft und Staat wegen des wirtschaftlichen, ökologischen oder sonstigen Nutzens von Atomstrom tolerieren wollen, hat der Gesetzgeber festzulegen.
Vor dem Hintergrund gewinnt die Diskussion rasch pragmatische Aspekte. Ganz gleich, ob nun ein- oder abschalten – das eine wie das andere geht nicht ohne Kraftwerksingenieure. Ein einziges AKW abzubauen, kann länger als zehn Jahre dauern. „Ich bin mir sicher, meine Ausbildung reicht für ein ganzes Berufsleben“, sagt Diplomand Alexander Aures. Wie zum Beweis erklärte der chinesische Regierungsberater Zhao Yamin jüngst, sein Land brauche die weltbeste Sicherheitstechnik und genug Techniker: „Daran fehlt es uns noch.“ In diesem Sinne befindet sich der Aachener Lehrstuhlinhaber Hans-Josef Allelein derzeit auf einer Chinareise.
Trotzdem ist es ein politisches Wunder, dass es die Aachener Reaktortechnik noch gibt. Lehrende und Lernende haben ihre Studienplätze Andreas Pinkwart (FDP) zu verdanken, dem ehemaligen nordrhein-westfälischen Innovationsminister. Anders als von der rot-grünen Vorgängerregierung geplant, konnte die Technische Hochschule zusammen mit dem Forschungszentrum Jülich neben dem Lehrstuhl für Reaktorsicherheit drei weitere Professuren von der Computersimulation in der Kerntechnik bis zur Abfallbehandlung weiterführen oder neu gründen.
Als Sponsoren aus der Wirtschaft waren RWE Power und ThyssenKrupp Steel dabei. Heute steht die TH Aachen in der ersten Reihe der Kernforschung in Deutschland, neben den Universitäten in Dresden, Karlsruhe, München und Stuttgart. Außerdem unterbreiten einige Fachhochschulen von Aachen im Westen bis Zittau/Görlitz im Osten ähnliche Studienangebote.
In der Regel sind Lehre und Forschung im Fachbereich Maschinenbau angesiedelt, als eine zusätzliche Spezialisierung in der Vertiefungsrichtung Energietechnik.
Neuerdings gibt es auch internationale Masterstudiengänge „Nuclear Safety Engineering“, in Aachen mit derzeit 17 Teilnehmern. Oft sind die Lerngruppen noch kleiner, die Lehrenden können jeden Einzelnen intensiv betreuen. „Das war für mich bei der Wahl der Vertiefungsrichtung ausschlaggebend“, sagt Maschinenbauer Aures.
Insgesamt kommen im Jahr bundesweit annähernd 100 Kernenergie-Ingenieure auf den Arbeitsmarkt. Für sie gibt es hierzulande mindestens doppelt so viele freie Stellen. Die richtige finden Aachener Studenten oft schon im 16-wöchigen Pflichtpraktikum. „Wer nicht in die Wirtschaft will, der kann etwa zu den Aufsichtsbehörden gehen“, bemerkt der Doktorand Stefan Herber.
Wenn aber trotz aller professionellen Vorkehrungen doch ein Unglück passiert, dann muss sich der Profi plötzlich mit denselben zerstörten Hoffnungen zurechtfinden wie der Laie. Dabei schaut er womöglich sogar einmal intensiv in das Buch „Die Wolke“, vielleicht mit mehr Sachverstand als andere.
HERMANN HORSTKOTTE
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