Knackpunkt war Ausfall der Notstromdiesel
Die erste Meldung kam am Freitag letzter Woche, dem 11. 3. 2011, um 10.24 Uhr via Reuters auf den Redaktionsticker: „Agentur Jiji meldet, dass im AKW Tepco Fukushima Daiichi das Kühlsystem ausgefallen ist.“ Seitdem hat sich die Entwicklung der Störfälle in vier der sechs Reaktorblöcke an der japanischen Pazifikküste dramatisch beschleunigt.
„Normalerweise geht man bei einem Erdbeben davon aus, dass die normale Stromversorgung ausfällt“, erklärt Simone Mohr, Diplom-Ingenieurin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Anlagensicherheit des Öko-Instituts in Darmstadt. „Dann übernehmen Notstromdiesel die Steuerung und Stromversorgung der Anlage.“ So schien es nach der ersten Meldung auch gewesen zu sein. Dann nahmen die Ereignisse innerhalb von zwei Stunden Fahrt auf:
10.32 Uhr: „Die Kühlsysteme der Atomkraftwerke in der Region Fuku-
shima sind nach Behördenangaben intakt, wie die Agentur Jiji meldet. Jiji zufolge ist keine Radioaktivität frei geworden.“ (Reuters)
10.47 Uhr: „Laut der UN-Atomenergiebehörde IAEA sind die vier Kernkraftwerke, die dem Epizentrum am nächsten liegen, sicher abgeschaltet.“ (Reuters)
11.46 Uhr: „Nach Angaben der japanischen Regierung gibt es kein Leck in den Atomreaktoren von Fukushima Daiichi.“ (Reuters)
12.34 Uhr: „Nach dem Versagen des Kühlsystems in einer Atomanlage in Japan ist am Freitag der Notstand ausgerufen worden. Zu einem Austritt von Radioaktivität kam es nicht, wie der japanische Kabinettssekretär Yukio Edano mitteilte.
Die Atomanlage in Fukushima war nach dem verheerenden Erdbeben am Freitag geschlossen worden. Die Ausrufung des Notstands sei eine Vorsichtsmaßnahme, sagte Edano. Die Anlage sei nicht in unmittelbarer Gefahr.“ (dapd)
Inzwischen (Stand: 16. 3. 2011, 16.00 Uhr) sind die Reaktorblöcke 1 bis 4 des Kernkraftwerks in Fukushima Daiichi mehr oder weniger schwer beschädigt. Die Behörden geben nicht an, dass Brennmaterial aus den Reaktoren ausgetreten ist. Aber ob die Lage weiter eskaliert oder die Techniker und Ingenieure des Anlagenbetreibers Tepco die Kontrolle über die Anlage wiedererlangen können, scheint weiter unklar.
Knackpunkt, so Simone Mohr, sei wohl der Ausfall der Notstromdiesel durch den Tsunami gewesen. Diese „haben in Fukushima wohl nicht ausreichend geschützt gegen den Tsunami gestanden und sind dann komplett in allen Anlagen ausgefallen. Damit war es zu einem sogenannten Station Blackout gekommen und die Sicherheitssysteme konnten nicht betrieben werden.“
Mohr weist darauf hin, es solle „2007 Warnungen von Wissenschaftlern gegeben haben, dass mit Tsunamis in einer Höhe von 11 m zu rechnen sei bzw. diese nicht auszuschließen sind“. Diese Anlagen in Fukushima gehören zu den ältesten betriebenen Reaktoren der Welt. „Da hat man sich dann scheinbar nicht die Mühe gemacht, nachdem die Wissenschaftler diese Erkenntnisse veröffentlicht hatten, diese alten Anlagen noch entsprechend nachzurüsten“, so Mohr.
Nachdem die Batteriestromversorgung erschöpft war, konnte sich Tepco nur noch auf das dampfbetriebene Hochdruck-Einspeisesystem als Kühlsystem stützen. „Dies ist das einzige System, was bei hohem Druck im Reaktor noch Kühlwasser einspeisen kann“, erklärt Mohr. Dies sei standardmäßig bei diesen japanischen wie auch einigen deutschen Anlagen vorhanden. „Dies sieht jedoch bei den japanischen Anlagen etwas anders aus als bei den deutschen. Hierzulande gibt es zwei einsträngige Systeme, in Japan ein System mit zwei Strängen.“
Die Hochdruck-Einspeisesysteme RCIC (Reactor Core Isolation Cooling System) haben wohl anfänglich noch funktioniert. Diese sind dann wohl später reihenweise nach Block 1 auch bei den anderen Reaktorblöcken ausgefallen. Am Montagabend, 20.30 Uhr japanischer Ortszeit, meldete das Japan Atomic Industry Forum (JAIF) – das Pendant zum Deutschen Atomforum – die RCIC-Systeme der Blöcke 1 bis 3 als „non functional“.
Mohr weist auf erste, mögliche Konsequenzen aus den japanischen Störfällen für deutsche Kernkraftwerke hin: „Interessant ist, dass es offensichtlich nicht so gut ist, mehrere Reaktoren nebeneinander zu betreiben. Wenn in einer Anlage etwas passiert, können die anderen Anlagen offensichtlich mit geschädigt werden, etwa beim Wegsprengen des Sekundärcontainments. Das ist hier deutlich geworden.“ STEPHAN W. EDER
Siedewasserreaktoren wie in Fukushima nutzen Wasser als Kühlmittel und als Moderator. (Der beeinflusst den Spaltprozesse.) Der entstehende Dampf dient zum Antrieb einer Turbine (ob.). Ohne ausreichende Kühlung erhöht sich die Brennstofftemperatur. Ab 1900 °C schmelzen die Brennstäbe. Die Kernschmelze sammelt sich am Boden des Druckbehälters und kann durch dessen Boden schmelzen (unten).
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