Ann-Catrin Uhr-Müller: „Meine Kabel sind haarige Biester“
Ann-Catrin Uhr-Müller erforscht preisgekrönt die Alterung von Stromkabeln. Langweilig? Überhaupt nicht, und zukunftsträchtig obendrein!
„Es war mir nicht in diesem Umfang klar, wie viele alte Kabel es noch gibt.“ Ann-Catrin Uhr-Müller, Doktorandin an der Hochschule Coburg, gibt ganz offen zu: Als sie sich „um die Promotionsstelle beworben habe, wusste ich in etwa, worum es geht. Der Feuereifer kam erst während der Arbeit.“ Doch man spürt, dass der gebürtigen Bambergerin inzwischen die Begeisterung für Kabel ins Blut übergegangen ist. Mit Folgen: Schon während einer Promotion gleich einen Wissenschaftspreis zu bekommen, das gelingt nicht vielen. Uhr-Müller hat bereits die Jury des Bayerischen Wissenschaftsforums Baywiss in diesem Jahr überzeugt: Ihre Arbeit zur diagnostischen Analyse von beschleunigt gealterten Mittelspannungskabeln wurde 2024 von Baywiss mit dem zweiten Platz als „herausragende zukunftsweisende Forschungsarbeit“ gewürdigt.
Ann-Catrin Uhr-Müller
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin Hochschule Coburg am Institut für Hochspannungstechnik, Energiesystem- und Anlagendiagnose (IHEA) seit 2017
- Zweiter Platz beim Preis des Bayerischen Wissenschaftsforums (Baywiss) für herausragende oder zukunftsweisende Forschungsleistungen 2024
- 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin ZAE
- 2016 M.Eng. Energietechnik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt
- 2015 Dipl.-Ing. Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt
- 2008 bis 2010 Ausbildung zur Mechatronikerin inkl. Fachhochschulreife, Bosch
- Geboren in Bamberg
Dies gelang ihr vielleicht auch, weil sie Elektrotechnik von der Pike auf gelernt hat: Durch den Abschluss ihrer Ausbildung zur Mechatronikerin hat sie gleichzeitig die Fachhochschulreife erlangt. Danach hat sie in Schweinfurt einen Diplomstudiengang als Wirtschaftsingenieurin abgeschlossen. Doch trotz der Hauptfächer Technische Betriebsführung und Elektrotechnik war die Doktorandin schon damals überzeugt: „Mir kam dabei die Technik zu kurz.“
Ann-Catrin Uhr-Müller: Universitätskarriere von der Mechatronik ins Kabellabor
Es folgte ein per Stipendium finanziertes US-Praktikum als Produktionsingenieurin. Der Betreuer dort war wohl so begeistert vom Engagement der jungen Wirtschaftsingenieurin, dass er ihr sagte, sie brauche einen Doktortitel. Der war mit FH-Diplom aber nicht erreichbar. Deshalb setzte sie einen Master für Elektrotechnik obendrauf. Danach ging es richtig los und ab in die Forschung: zuerst am als ZAE bekannten bayerischen Zentrum für angewandte Energieforschung e. V. in Würzburg, seit Ende 2017 an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg.
Die von ihr dort übernommene „Entwicklung eines Verfahrens zur Charakterisierung des Alterungsverhaltens von Mittelspannungskomponenten“ konnte sie kurz darauf mit einer Promotionsstelle verknüpfen, welche an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, kurz FAU, angeboten worden war. Titel: „Entwicklung und Applikation eines Systems für künstlich beschleunigte Alterung zur diagnostischen Analyse von Betriebsmitteln im Mittelspannungsbereich.“
Im Frankenland kumuliert eine deutschlandweit gefragte Forschung zur Alterung von Stromkabeln
Wer sich jetzt wundert über die ähnlichen Inhalte: Der Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik, Energiesystem- und Anlagendiagnose (IHEA) an der Hochschule Coburg, Christian Weindl, lehrt auch an der FAU auf dem Gebiet „Technische Isoliersysteme und deren Zustandsdiagnose“. Den zugehörigen FAU-Lehrstuhl leitet Reinhard German – wo wiederum Weindl vor seiner Berufung nach Coburg einige Jahre als Privatdozent (PD) tätig war. Weindl und German sind denn auch die Promotionsbetreuer von Uhr-Müller.
Im Frühjahr 2013 hatte VDI nachrichten über ein vom damaligen PD Weindl verantwortetes Projekt berichtet: In den zwei Testjahren hatte ein Forschungsteam, mittendrin die Doktorandin Ivana Mladenovic, mehr als 270.000 Einzelmessungen an künstlich gealterten Mittelspannungskabeln durchgeführt. Am Ende standen Kenngrößen, die es Stromnetzbetreibern leichter machen sollten, Restlebensdauer und Ausfallwahrscheinlichkeit papierisolierter Mittelspannungskabel vorauszusagen. Für die Entwicklung des dabei benutzten Datenbanksystems bekam Mladenovic einen angesehenen Wissenschaftspreis und am Ende den Doktortitel. Nicht zu vergessen: Einige Patente sind rund um deren Kabelforschungsarbeit entstanden.
Kabelalterung ist bisher eine Blackbox, die uns alle noch teuer zu stehen kommen könnte
„Meine Kabel sind haarige Biester“, fasst Ann-Catrin Uhr-Müller ihre „nicht banale Forschung“ zusammen. „Es geht um kritische Infrastrukturen, über die man sprechen muss. Denken Sie nur mal an die Frage: Hält das Mittelspannungskabel, wenn alle gleichzeitig die Stromheizung oder Wärmepumpe einschalten und womöglich noch das Elektroauto laden?“ Sie wolle Antworten geben, damit die Verteilnetzbetreiber wüssten, auf welche Parameter sie künftig besser achten müssten. Ein Beispiel: „Wenn ich weiß, wie sich der tatsächliche Verbrauch (die Belastung, d. Red.) auf die Kabel auswirkt, kann ich besser vorbereitet sein“, auch auf einen möglichen Defekt.
Für die Arbeit an insgesamt 32 einzelnen Massekabeln mit getränkter Papierisolierung (Papiermassekabel) mit einer jeweiligen Länge von 13 m hat die Rheinische Netzgesellschaft (RNG) in Köln eine eigene Halle gebaut. Dort ist für die definiert künstlich-beschleunigte Alterung eine Klimaanlage eingebaut, die alle Temperaturbereiche darstellen kann. Neben acht neuen Kabelstücken wurden dafür eigens 24 alte Kabelstücke bei Erneuerungsmaßnahmen geborgen, das älteste stammt aus dem Baujahr 1946.
Stromnetzbetreiber finden Ann-Catrin Uhr-Müllers Forschung hoch spannend
Uhr-Müller selbst hat fast drei Jahre lang täglich Mantel-Ableitungsströme gemessen und dabei alle sechs Wochen zusätzlich Parameterstudien im Temperaturbereich von 10 °C bis 80 °C mit definierten Lastprofilen und mit zwei Frequenzen gemacht: „Bei 0,1 Hz messe ich nur die Leitfähigkeit, bei 50 Hz nur die Polarisation“, nennt sie „den Clou“ ihrer Forschung. Dass sie so feststellen konnte, „wo finden die Verluste statt, ist wohl das aufsehenerregendste Ergebnis“. Und so bemerkt die Doktorandin: „Dahinter sind schon einige Kabelnetzbetreiber her.“ Doch zunächst wird wohl die RNG darauf Zugriff haben.
Wenn alles klappt, dürfte Ann-Catrin Uhr-Müller in einigen Monaten ihren Doktorhut aufsetzen können. Im Januar 2025 steht die Abgabe ihrer Dissertation an. Sie hofft, dass die wissenschaftliche Verteidigung ihrer Arbeit im Laufe des ersten Halbjahres vonstattengehen kann. Einen Wunschtermin für die Feier danach hat sie auch schon: „den 7. Juli – meinen 34. Geburtstag.“ Denn danach ist erst einmal Pause: Sie erwartet dann nämlich ihr erstes Kind.
Ach ja: Es könnte sogar sein, dass ihre Quasivorgängerin Ivana Mladenovic die Dissertation auch in Augenschein nimmt. Denn die ist inzwischen Professorin im Lehrgebiet „Elektrische Energiespeicher für intelligente Netze und Elektromobilität“ an der Technischen Hochschule Nürnberg, auch einfach „Ohm“ genannt. Eine ähnliche Karriere strebt augenscheinlich auch Ann-Catrin Uhr-Müller an: „Seit 2011 arbeite ich bereits im akademischen Umfeld und sehe mich auch langfristig weiter in der Forschung. Das macht mir Spaß.“
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