Mini-KKW auf dem Meeresgrund
Selbst Frankreich, das Land mit den weltweit meisten laufenden Kernkraftwerken, zeigt sich erschüttert über die Lage in Japan. Wie unser Nachbarland bisher in Energiefragen denkt, belegt das Millionenprojekt Flexblue: Die halbstaatliche Marine-Werft DCNS setzt sowohl auf neue, modulare Kleinkernkraftwerke wie auf erneuerbare Energien.
Französische Ingenieure beschäftigt wieder einmal eine ehrgeizige Zukunftsvision: die Versenkung von kleinen Kernkraftwerken auf den Meeresgrund. Städte von 100 000 bis zu 1 Mio. Einwohnern nahe der Küste könnten so ausreichend und kostengünstig mit Strom versorgt werden.
Die Entwickler der halbstaatlichen Marine-Werft DCNS wollen in zwei Jahren bei Cherbourg am Ärmelkanal einen Prototyp der Mini-KKW platzieren, vor zwei Jahren haben die Studien begonnen. An derartigen Kraftwerken – DCNS plant zwischen 50 MW und 250 MW – arbeiten international auch andere Firmen. Wie sich ihre Zukunft gestaltet, ist zurzeit aufgrund der Reaktorkatastrophen in Japan nicht vorauszusagen.
Eine der Grundideen des Projektes Flexblue ist, dass der Meeresboden ein sicherer Anker- und Arbeitsplatz für Mini-KKW ist. Die mit dem Projekt beauftragten Marinefachleute können über 100 Jahre Erfahrung mit der Entwicklungstechnologie und Tests im U-Boot-Bau vorweisen. Deshalb soll Flexblue auch die Form eines etwa 100 m langen Zylinders (siehe Foto), ähnlich einem Unterseeboot, mit einem Durchmesser von 12 m bis 15 m erhalten. Das auf dem Meeresboden verankerte Modell wird 12 000 t schwer sein. Tiefsee-Starkstromkabel werden die Elektrizität auf einer maximalen Strecke von 5 km bis 10 km zum Land transportieren. In dem Zylinder sind der Reaktor, ein Turbo-Wechselstrom-Generator sowie ein Mini-Stromwerk untergebracht. Die Marine-Werft plane, dass ab 2016/2017 die Pilotanlage vor Cherbourg Strom liefert.
Patrick Boissier, Generaldirektor des DCNS-Unternehmens, schwört auf die absolute Sicherheit des Vorhabens. „Wir haben mit Fachleuten der Behörde für Atomare Sicherheit geprüft, um nichts Verrücktes zu bauen und zu versenken“, sagte er noch im Januar der Pariser Abendzeitung „Le Monde“. Die Sicherheitsoptionen, die dem Design zugrunde liegen, sind jedoch nicht öffentlich.
Doch sein Unternehmen wird seit Bekanntwerden der schweren Unfälle in einigen japanischen KKW sofort mit der Sicherheit des Vorhabens Flexblue konfrontiert. Ein Seebeben könne an Frankreichs Küsten nicht ausgeschlossen werden, sagen Experten. Die französischen Reaktoren seien so gebaut, dass sie eine Erdstoßstärke von bis zu 6,3 auf der Richterskala aushalten können. Diese Marke ist jedoch 2001 festgelegt worden.
Jacky Bonnemain, Sprecher des Anti-Nuklear-Verbandes „Robin des Bois“, sagt, es gebe seitdem neue Erkenntnisse über die Wucht der Verschiebung tektonischer Platten in der Tiefsee im Übrigen zeige eine neue, vom Umweltministerium im Jahr 2005 vorgelegte geografische Karte, dass sich mögliche Gefahrenzonen ausgedehnt hätten, in größerem Umfang, als bisher errechnet wurde. Beim Bau der französischen Kernreaktoren sei dies „nicht angepasst“ und in Erwägung gezogen worden.
Die Fachleute von DCNS sind sich der neuen Lage bewusst. Die Vorgänge im japanischen Werk Fukushima würden „genauestens geprüft“, heißt es gegenüber den VDI nachrichten, und „neue Erkenntnisse und Erfahrungen mit Sicherheit“ würden in der Studie zur Entwicklung des Minikraftwerkes auf dem Meeresboden ausgewertet. Kein Kommentar gibt es beim Kommissariat für Atomenergie (CEA): Dort wolle man die Entwicklung in Japan abwarten, ehe man Einschätzungen gebe.
Die Vorteile der Versenkung im Meer sei, dass das Meereswasser ein „natürliches Kühlsystem“ sei, so DCNS. Die KKW wären in der Tiefe vor Stürmen, Blitz- und Meteoriteneinschlägen, vor Flugzeugabstürzen und Terrorattacken geschützt. Mit massivem Einspruch von Bürgern brauche nicht gerechnet zu werden, glaubt die Unternehmensleitung. Das könnte sich durch die Vorfälle in Japan jedoch auch in Frankreich ändern. Ob Seebeben den Reaktoren etwas anhaben können, wird getestet (s. o.).
Um die Sicherheitsprobleme zu 100 % in den Griff zu bekommen, beteiligt die Marine-Werft als Partner ihres Projektes den Atomkonzern Areva, den Stromversorger EDF und das CEA. Im Prototyp der KKW soll der Reaktortyp der dritten Generation (ERP) eingebaut werden. Der ERP ist ein Zwitter aus der deutschen und französischen Reaktorentwicklung. Er verfügt innen über eine betonverstärkte Stahlhülle, die die äußeren Betonkuppen sicher abdichten soll. Der Reaktor des Flexblue soll in etwa der Größe des in atomgetriebenen U-Booten verwendeten Modells entsprechen.
DCNS setzt nicht nur auf die Kernkraft. Auch erneuerbare Meeresenergien sollen ein breites und weites Arbeitsfeld werden. Generaldirektor Boissier: „Wir glauben, dass die erneuerbare Meeresenergie in zehn Jahren zu dem werden kann, was heute die Windkraftenergie ist.“ Der Konzern plant zweistellige Millionenausgaben für schwimmende Windkraftanlagen, Wellenkraftwerke, thermische Meeresenergie und für Wellenenergie. Zum Programm gehört weiter der Einsatz von Meeresturbinen zur Stromerzeugung. LUTZ HERMANN
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