„Mondlandung“ mit Getriebeschaden
In der ausländischen Presse wurde die Inbetriebnahme des Offshore-Testfeldes „Alpha Ventus“ vor Borkum schon als „Germanys Moonlanding“ gefeiert. Nun aber stehen einige der imposanten Windräder schon wieder still. Laut Hersteller Areva Wind sind ihre Getriebe einem Materialfehler zum Opfer ge- fallen. Dieser Fall zeigt beispielhaft, welche Herausforderung die Stromerzeugung auf See birgt.
Ziel der Ausfahrt ist der 130 km entfernte Windpark „Alpha Ventus“, den ein Konsortium deutscher Energiekonzerne 45 km vor der Insel Borkum in der Nordsee gesetzt hat. Eine norwegische Zeitung betitelte das Projekt als „Germanys Moonlanding“. Im rund 30 m tiefen Meer fußen nun zwölf Anlagen á 5 MW Leistung. Sie sollen Strom für 50 000 Haushalte vom Himmel holen. Hersteller sind die beiden Firmen REpower und Areva.
Das ganze passiert mitten in der Deutschen Bucht. Bei diesem Standort denken Landmenschen zuerst an schwere Stürme, Gewitter und meterhohe Wellen – Mordsee eben. Doch davon haben sich die Ingenieure und Techniker nicht schrecken lassen. Mit 60 Kran-, Kabel-
leger- und Transportschiffen, mit Arbeitsplattformen, Hubschraubern und jeder Menge Mut haben sie das Projekt gestemmt. Ein Windrad nach dem anderen verankerten sie auf millimetergenau ausgerichteten, hunderte Tonnen schweren Stahlfundamenten im Meer. Riesige Nägel im Meeresgrund sorgen für festen Halt. Zwischen den Anlagen haben sie ein dichtes Kabelnetz versenkt und vor Ort an ein ebenfalls auf Stahlstützen ins Meer gesetztes Umspannwerk angebunden.
Ende April war das technische Wunderwerk vollbracht. Jetzt hat die Windenergie Agentur Bremerhaven Bremen (wab) eingeladen, „Alpha Ventus“ von Nahem zu bestaunen. Trotz rasender Fahrt des „Halunder Jet“ vergehen fast zwei Stunden, bis sich der Windpark am Horizont abzeichnet. Oder ist es nur eine Fata Morgana auf dem spiegelnden Wasser? – Nein. Die Windräder sind echt und wachsen beim Heranbrausen sekündlich. Über 150 m ragen sie in den Himmel. Insgesamt mehr als 12 000 t Stahl, von nichts als Wasser umgeben. Der Anblick mutet surreal an.
Beim Umfahren des Testfelds fällt auf, dass einige der Riesen ruhen. An Windmangel kann es nicht liegen – andere Rotoren sind ja in Bewegung. Zu viel Luftbewegung scheidet als Ursache auch aus – schließlich sollen die Anlagen bis Windstärke 11 Strom erzeugen. An Bord des Besichtigungskutters wird sofort wild spekuliert. „Das muss etwas Ernstes sein“, ist zu hören. Ein Verdacht, der sich bestätigt. „Zwei Anlagen haben Gleitlagerschäden in den Getrieben“, räumt Michael Munder-Oschimek von Areva ein. Gutachten hätten dies eindeutig auf den eingesetzten Werkstoff zurückgeführt. Die von Main-Metall gelieferte Aluminium-Zink-Legierung dehne sich im Betrieb über Gebühr aus – wodurch nach und nach mehr Spiel ins System komme, als es die Getriebe vertragen.
Dieser Ausfall im Prestigeprojekt ist gleich mehrfach bitter. Denn die Ingenieure haben alle erdenklichen Vorkehrungen für eine störungsfreie Strom-ernte auf See getroffen. Als Beispiel verweist Munder-Oschimek auf ein Überdrucksystem, das salzige Luft aus dem Maschinenhaus fernhält. Außerdem waren ausführliche Materialtests absolviert worden – alle ohne Auffälligkeiten. Und weil fast alle Systeme in den Anlagen redundant ausgelegt sind, konnten in den ersten Monaten bis zur offiziellen Einweihung des Parks 86 % der per Fernüberwachungssystem gemeldeten Fehler vom Festland aus behoben werden. „Nur einmal mussten wir tatsächlich rausfahren“, sagt der Experte.
Und nun zerstört eine abweichende Legierung die ganze Arbeit. Es hilft aber alles nichts. Weil die Schäden auf See nicht zu reparieren sind, müssen in Kürze wieder Kranschiffe anrücken. Bei der Demontage werden sich die Vorüberlegungen der Ingenieure auszahlen. Sie haben die Umrichter und Transformatoren – anders als bei Onshore-Anlagen – in Turmsegmenten untergebracht. Die Maschinenhäuser sind dadurch mit begrenzt belastbaren Offshore-Kränen gut handhabbar.
Der erste Ernstfall deutet an, vor welchen logistischen Herausforderungen die Windbranche auf See steht. Schon auf der Hinfahrt haben mehrere Exkursionsteilnehmer einen konkreten Eindruck eines der Probleme bekommen. Trotz ruhiger See wird ihnen schlecht. Mancher Mageninhalt geht über die Reling. Was die robusteren Reisenden erheitert, ist für die Betreiber von Offshore-Windparks ein ernstes Problem. Es gibt wenig qualifiziertes Personal für Service und Wartung der Anlagen. Die Firmen müssen nehmen, wer kommt – ob seetüchtig oder nicht.
Auf ein weiteres Problem weisen die Organisatoren der Fahrt mit einer kleinen Vorführung hin. In der Hauptrolle ein Helikopter. Er nähert sich einer kleinen zügig dahin fahrenden Fregatte, bremst auf ihr Tempo ab und seilt dann einen Mann im orangen Overall ab. Zwei Männer nehmen ihn unten in Empfang.
Helikopter spielen in den Wartungs-Konzepten der Offshore-Windmüller eine zentrale Rolle. Sie sollen die Monteure zu den Windparks und auf die riesigen Anlagen bringen, die dafür spezielle „Laufställe“ auf den Gondeln haben. „Mit dem Schiff fahren wir jeweils 4,5 Stunden hin und zurück“, begründet Munder-Oschimek die teure Luftlogistik. Bei starkem Seegang brauche man mit dem Schiff erst gar nicht loszufahren nicht nur wegen der seekranken Monteure, sondern weil dann der Übergang vom Schiff auf die Anlagen viel zu gefährlich wäre.
Nur schweres Material will Areva per Schiff zu den Windparks liefern, 85 % aller Wege sollen Helikopter erledigen. Zieht dabei Nebel oder Sturm auf, können sich die Helikopter in einem Hangar auf der Umspannplattform verkriechen.
Bard, ein anderer komplett auf Offshore-Wind konzentrierter Hersteller, zieht aus den rauen Bedingungen eine andere Konsequenz. „Wir setzen vor allem aufs Schiff, weil wir in den Ausfallzeiten der Hubschrauber wegen Nebels das größere Problem sehen“, erklärt Bard-Ingenieur Daniel Brickwell. Damit die Arbeitszeiten trotz langer An- und Abfahrten im gesetzlichen Rahmen bleiben, richte man Wohnbereiche auf den Umspann-Plattformen ein. „Die Monteure sind so in wenigen Minuten an den Anlagen“, sagt er.
Im Pendelverkehr zu den einsamen Unterkünften wird Bard die „Natalia Bekker“ einsetzen, ein sogenanntes SWATH aus der Werft Abeking & Rasmussen. Das Kürzel steht für Katamarane, die über das Wasser zu schweben scheinen. Tatsächlich ruhen sie auf torpedoartigen Rümpfen unter der Oberfläche. Automatisierte Stabilisierungsflossen sorgen für zusätzlichen Ausgleich. Selbst bei zügiger Fahrt in rauer See bleibt so ein SWATH in Waage.
Damit die „Natalia Bekker“ an die Windräder andocken kann, hat die Werft ihr als Schnauze ein austauschbares Gummimodul verpasst. So ist gewährleistet, dass das Schiff die Stöße aufnimmt und schnell wieder verfügbar ist, wenn ein Andockmanöver doch einmal zu hart gerät. Das wird aber eher selten vorkommen. Dank eines dieselelektrischen Antriebs lässt sich ihr Schub per Frequenzumrichter blitzschnell umkehren, um die Lage zu stabilisieren. Das Schiff steht dann wie angenagelt in rauer See.
Abeking & Rasmussen hat solche Boote bisher für Lotsen gebaut, die bei Wind und Wetter auf große Schiffe umsteigen müssen. Eines dieser Boote, die „Elbe“, gibt sich an Backbord des Halunder Jets ein Stelldichein und legt ein wildes Tänzchen hin. Sie schwankt zu den Seiten, bäumt sich auf und kracht mit der Schnauze voran ins Wasser. Die „Elbe“ spielt Sturm in der ruhigen See. Laut Nils Olschner, dem Vertriebsleiter der Werft, nutzt sie dazu das technische Arsenal, das sie im echten Sturm stabilisiert. „Wir können über das Jahr verteilt zu 95 % der Zeit direkt an die Windenergieanlagen heranfahren“, sagt er. Bis 2,50 m Wellenhöhe sei sicheres Umsteigen möglich. Bei normalen Booten wird es schon bei 1,2 m schwierig.
Mit solchen Konzepten wollen die Windmüller auch auf See festen Boden unter die Füße kriegen. Trotz aller Anlaufschwierigkeiten sind Areva, Repower, Bard und Co. entschlossen, ihre Produktion in den nächsten Jahren massiv hochzufahren. Allein bis 2020 ist in Nord-, Ost- und Irischer See der Bau von 10 000 Anlagen projektiert. Es wird also viele „Mondlandungen“ geben – dann aber hoffentlich ohne Getriebeschaden.
PETER TRECHOW
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