Neue VDE-Anwenderregel soll 50,2-Hz-Problem beheben
Zurzeit sind in Deutschland Anlagen mit einer maximalen Nennleistung von 17 GW installiert; sie tragen jetzt – da bereits einige Kernkraftwerke abgeschaltet sind – mit dazu bei, deren Ausfall zu kompensieren. Gäbe es nicht die dräuende Gefahr, dass eine Sofortabschaltung all dieser Anlagen das Netz an den Rand des Kollapses bringt – das sogenannte 50,2-Hz-Problem. Eine neue VDE-Anwenderregel soll damit Schluss machen.
Eigentlich könnten 17-GW-Solarkraftwerke, auf ganz Deutschland verteilt, das Stromnetz stabilisieren. Gerade an Sonnentagen. Doch aktuell droht durch die Photovoltaikanlagen, kurz PVA, der schlagartige Kollaps des deutschen Stromnetzes.
„Nach aktuellem Regelwerk für Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz wird bei Erreichen und Überschreiten einer Netzfrequenz von 50,2 Hz eine unverzügliche Abschaltung gefordert“, heißt es vom Forum Netztechnik/Netzbetrieb (FNN), und weiter: „Damit ergeben sich Risiken für den Netzbetrieb.“ Das FNN legt die für ganz Deutschland geltenden Technischen Netz-Anschlussbedingungen fest.
50,2-Hz-Problem: Aktuelles Regelwerk gefährdet den Netzbetrieb
Dass die Frequenz in den Stromnetzen schwankt, hängt vor allem an den konventionellen, „rotierenden“ Generatoren großer Kraftwerke: Deren Drehzahl ist bei Lastschwankungen nicht stabil. „Weil die Spannung im Bereich von 150 ms häufig rauf- und runtergefahren wird, kommen wir leicht über 50,2 Hz“, erklärt Bernhard Plail von Siemens aus Fürth. Die Wechselrichter von Photovoltaikanlagen wiederum passen sich der Netzfrequenz immer an, sind also „netzgeführt“.
Das 50,2-Hz-Problem besteht vor allem in den Niederspannungsnetzen. Dort speisen allein PVA mit einer Gesamtleistung von 10 GW ein. „Fallen diese 10 GW weg, dann können die Übertragungsnetzbetreiber nur 3 GW kurzfristig aktivieren. Das führt zum Blackout“, wie Thomas Schaupp weiß. Schaupp ist Ingenieur und beschäftigt sich beim Wechselrichterhersteller Kaco New Energy in Neckarsulm mit Fragen der Netzintegration. Er arbeitete auch in jenem Normungsarbeitskreis von Solarverbänden, Netzbetreibern und anderen Fachleuten mit, in dem die neue „Anwendungsrichtlinie VDE AR-N 4105“, entstand.
Diese neue Anwendungsrichtlinie wird zum 1. 7. 11 veröffentlicht und ersetzt mit Jahresbeginn 2012 die momentan gültige „BDEW-Richtlinie Parallelbetrieb von Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz“. Genau in dieser 2001 eingeführten Richtlinie hatte der BDEW laut Schaupp „eine scharfe Abschaltgrenze von 50,2 Hz“ festgelegt.
Vor zehn Jahren glaubte wohl niemand an jene 10 GW Solarstrom, die Ende 2010 ins Niederspannungsnetz eingespeist wurden. „Doch heute gefährdet die 50,2-Hz-Abschaltgrenze die Systemstabilität“, so Thomas Schaupp.
Neue VDE AR-N 4105: Keine schlagartige Abschaltung der PV-Wechselrichter bei 50,2 Hz
Inzwischen hat die EU einheitliche Netzanforderungen festgelegt, die sogenannten Grid Codes. Darin ist von Spannungen über Frequenzen, Anschaltbedingungen („welche Leistung in welches Netz“) bis zur Kommunikation zwischen Anlagen- und Netzbetreiber alles geregelt.
Darauf fußt die neue VDE AR-N 4105 und fordert: Wechselrichter dürfen sich im Bereich von 51,5 Hz und 47,5 Hz nicht mehr automatisch vom Netz trennen. Bei 50,2 Hz werden nicht mehr schlagartig die PV-Wechselrichter abgeschaltet, sondern deren Leistung reduziert; die „Leistungskennlinie bei Überfrequenz“ endet mit dem Abschalten des Wechselrichters erst bei 51,5 Hz.
Laut Kaco-Mann Schaupp haben BHKW- und Photovoltaikhersteller den Netzbetreibern versprochen, die Wechselrichter anzupassen. Schon ab Mitte dieses Jahres sollen die hiesigen Produkte die AR-N 4105 einhalten und nicht noch die Übergangsfrist bis 31. Dezember 2011 ausnützen.
Doch: Wissen auch die anderen Betroffenen – Installateure, Planer, Großhändler – rechtzeitig von den Änderungen? David Wedepohl vom Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) erklärt: „Die im BSW organisierten Wechselrichterhersteller sind an dem Projekt beteiligt beziehungsweise darüber informiert. Die Systemanbieter erfahren davon durch die Gremienarbeit sowie Veröffentlichungen.“ Dennoch werden wohl noch viele Solaranlagen im Megawattbereich mit „alten“ Wechselrichtern ans Netz gehen: Die Lager müssen erst geleert werden. Ob Importeure sich sofort AR-N-4105-konform verhalten, ist nicht sicher.
Neue Anwendungsregel 4105: Auch PV-Anlagen über 100 kW müssen abgeregelt werden
Diese Anwendungsregel hat im Übrigen noch einige andere Neuerungen parat, so Thomas Schaupp: „In der 4105 sind alle Energien drin. Deshalb müssen auch Photovoltaikanlagen über 100 kW abgeregelt werden können.“ Neu auch: „Die bislang jederzeit zugängliche Trennstelle entfällt zukünftig auf jeden Fall“, was Installateure wie Anlagenbetreiber freuen dürfte. Auf der anderen Seite steht der Mehraufwand: Photovoltaikanlagen ab 13,8 kVA Wechselstromleistung müssen symmetrisch auf alle drei Phasen einspeisen, Blindleistung zur Verfügung stellen können und weitere Vorgaben zur „verbesserten Spannungshaltung“ erfüllen.
Wechselrichter-Fachmann Schaupp meinte am Ende eines Vortrags beim Bayerischen Clusterforum Energietechnik in Bayreuth lapidar: „Die Installateure sind gehalten, die Übergangsregelung umzusetzen.“ Es sei zudem zu erwarten, dass die Bestandsanlagen „irgendwann angepasst werden müssen. Dafür ist aber noch viel Forschung notwendig.“
Beim BSW herrscht scheinbar noch Hoffnung, eine Nachrüstung gehe an der Branche vorbei: „Ein umfassendes Gutachten der Universität Stuttgart und von Ecofys Berlin wird bis Juni 2011 klären, in welchem Umfang das notwendig ist.“
Das Beratungsunternehmen Ecofys geht Mitte Mai „davon aus, dass binnen weniger Tage oder Wochen abgestimmte Informationen publiziert werden“. Dann werden die Auftraggeber von FNN und Co. über die genauen Ergebnisse berichten. Vielleicht schon auf der Branchenmesse Intersolar (8. bis 10. 6.) nächste Woche in München.
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