Neuer Erdsondenspeicher für Solarwärme
In Crailsheim wird nicht gekleckert, es wird geklotzt. Eine Großsolaranlage mit einem saisonalen Erdsondenspeicher zur Heizwärmeversorgung hat das erste Jahr im Praxisbetrieb absolviert. Ein zukunftsweisendes Projekt: Anlagen in dieser Dimension gab es bisher nicht, zudem arbeitet das System so effizient, dass es besonders wirtschaftlich Wärme liefert.
Während sich die Energiewende fast nur dem Strom zuwendet, wird die Wärmewende kaum als Aufgabe verstanden. Zu Unrecht, denn für die großen Themen wie Nutzung von erneuerbarer Energie und Energieeffizienz ruhen hier Potenziale, die man als schlafenden Riesen bezeichnet. Die Frage ist nur, wie weckt man ihn?
Eine Antwort liefert das Kreisstädtchen Crailsheim. Crailsheim liegt im schwäbischen Teil Baden-Württembergs dort, wo die Traktordichte auf den Straßen besonders hoch ist und sich rechts und links der Landstraße Windanlagen und Photovoltaikfelder mühelos in eine traumhafte Landschaft einfügen.
Größte Solarthermieanlage Deutschlands
Die Öko-Vorzeigeregion Hohenlohe ist aber alles andere als verträumt. Sie kann ein neues Highlight präsentieren: die größte Solarthermieanlage Deutschlands, in den Crailsheimer Hirtenwiesen auf einem ehemaligen Kasernengelände. Fünf Wohnblocks, eine Schule und eine Turnhalle haben 2200 m2 Kollektoren auf dem Dach. 5300 m2 Solarpaneele sind an aufgeschütteten Wällen installiert, die Wohngebiet und Industrieareal optisch und lärmtechnisch voneinander trennen. So weit der sichtbare Teil.
Die eigentliche Sensation ist im Boden vergraben. Ein unterirdischer Wärmespeicher bunkert die Sonnenwärme der Sommermonate bis zum Winter, wenn sie zum Heizen gebraucht wird. Geeignete Speicher sind Mangelware für solar erzeugte Wärme. Bislang war die saisonale Speicherung nur bedingt wirtschaftlich oder noch gar nicht ausgereift für die Anwendung in der Praxis.
Kombination mit einem Erdsondenspeicher
Nun treten die Stadtwerke Crailsheim den Gegenbeweis an. Vor rund zwölf Jahren hatte der Gemeinderat beschlossen, die Hirtenwiesen als Wohn- und Gewerbequartier zu reintegrieren. Und zwar als Fernwärmeversorgungsgebiet mit einem innovativen Wärmeversorgungskonzept, das die Stadtwerke Crailsheim mit dem Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme (Solites) entwickelten. Messungen an der Anlage selbst übernahm das Institut für Thermodynamik und Wärmetechnik der Uni Stuttgart.
„Unsere Anlage ist die neueste, modernste und größte Solarthermieanlage in Kombination mit einem Erdsondenspeicher, dessen Funktion wir nachgewiesen haben“, sagt Sebastian Kurz, Leiter der Abteilung Planung und Projektleiter der Anlage. Sie versorgt aktuell 200 Haushalte, im Endausbau werden 280 Verbraucher am Netz sein.
Hälfte der Wärme wird solar erzeugt
„Unser Ziel, mindestens 50 % der Wärme solar zu erzeugen, haben wir erreicht“, betont Projektleiter Kurz. Die andere Hälfte speisen die Stadtwerke über ein 520-kW-Blockheizkraftwerk in das Fernwärmenetz ein. Kurz hat schon Minister, Wirtschaftsabordnungen und Wissenschaftler aus aller Welt den kollektorgespickten Wall rauf- und runtergeführt. Mittlerweile blüht eine Sommerblumenwiese auf dem Speicherfeld mit 80 Erdwärmesonden, die bis zu 55 m tief in den Boden reichen. Nur ein Lehrpfad mit Schautafeln lässt die Besucher wissen, was sich unter ihren Füßen befindet.
Sichtbar sind zwei überirdische Wasserspeicher, die kurzfristig die Energie aus den Sonnenkollektoren aufnehmen. Der kleinere mit 100 m3 Fassungsvermögen speist sich aus den Dachkollektoren, versorgt die Bewohner direkt mit Wärme und kann den normalen Wochenverlauf abdecken. Den Erdspeicher bedient ein 14 m hoher 480-m3-Speicher, der zu zwei Dritteln im Lärmschutzwall versenkt ist. Gleich daneben, in der Leitzentrale unter der Grasnarbe, arbeiten die Pumpen, wird gesteuert und werden die Messwerte abgelesen.
„Gebaute Forschungsanlage“
Seit einem Jahr läuft die rund 8 Mio. € teure Anlage im Dauerbetrieb. Mit 3,4 Mio. € förderten BMU und das Land Baden-Württemberg das Projekt. Solites-Chef Dirk Mangold bezeichnet es gerne als „gebaute Forschungsanlage“. Sie habe bewiesen, dass die Kombination aus Kollektoren, Speichern, Wärmepumpe und Erdsonden funktioniere und das Ganze auch noch wirtschaftlich sei. „Mit Baukosten von 50 €/m2 Wasseräquivalent steht der saisonale Wärmespeicher am Beginn der Wirtschaftlichkeit“, betont Mangold.
Bis dahin war es ein langer Weg. Was es an Know-how über Erdsonden gab, ist eingeflossen. Oft war die Baustelle selbst noch Labor, bis alles zusammenpasste. Konsequent wurde auf der Ausgabenseite nach sparsameren Lösungen gesucht, auf Haltbarkeit und verringerte Störanfälligkeit geachtet.
Die Pufferspeicher sind aus Beton gebaut, das Speicherfeld ist mit Glasschaumschotter und einer dünnen wasserdichten Geotextilfolie gedämmt. Vernetztes Polyethylen (PE) für die Erdsonden anstelle von PE stellt eine höhere Temperaturfestigkeit sicher.
Anlagenteile wurden auf neue Art ausgelegt und verknüpft besondere Verfahren zur Stabilisierung des Erdsondensystems wurden entwickelt. Eine Wärmepumpe reizt alle Möglichkeiten aus, die Speicherkapazität maximal zu nutzen. Um die Effektivität der Anlage noch zu steigern, muss jeder Nutzer vor dem Netzanschluss einen hydraulischen Abgleich seines Heizsystems nachweisen. Sebastian Kurz will weiter verbessern, um die Anlage noch effizienter betreiben zu können: „Als Nächstes werden wir die Wärmepumpe gemeinsam mit dem Hersteller optimieren.“
Projekt zieht neue Bewohner an
Die Bewohner der Solarsiedlung finden das Projekt gut, manche ziehen extra deshalb in das Wohngebiet, das nach und nach erschlossen wird. Sie zahlen das Gleiche für ihren Wärmebedarf wie andere Stadtwerkekunden. Das ist nach den Berechnungen aus dem ersten Betriebsjahr auch in etwa der reelle Wärmepreis.
„Die tatsächlichen Wärmekosten lagen im letzen Jahr nicht höher als bei denen, die klassisch über Kraft-Wärme-Kopplung versorgt werden“, erläutert Projektleiter Kurz. Er ist zuversichtlich, dass die Investition sich rechnet. „Wir haben eine langfristige Amortisation kalkuliert, die beträgt 20 Jahre plus.“ Beschleunigend wirken steigende Preise bei den fossilen Energien. Je höher der Gaspreis, umso wirtschaftlicher wird die Anlage.
Der Ehrgeiz zu zeigen, was sogar unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten alles möglich ist im regionalen Klimaschutz, treibt die Crailsheimer an, noch mehr zu tun. Bislang kommt die Wärme für den Erdspeicher von der Sonne. Die Idee ist, auch Abwärme etwa aus dem angrenzenden Blockheizkraftwerk in das System einzukoppeln. „Damit könnten wir den Gewerbekunden eine solargestützte Kälteversorgung anbieten“, erklärt Kurz.
Die ganz große Vision ist ein Multifunktionswärmespeicher, der in einem großen Verbund zur Strom- und Wärmeversorgung weite Teile von Crailsheim ohne fossile Energien und damit CO2-frei beliefert.
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