Nord Stream 2: Gas als Waffe?
USA versus Deutschland: Auch nach der Einigung um die Pipeline Nord Stream 2 gibt es weitere Probleme. Warum das Projekt so viel Streit bringt.
Die US-Regierung ist offiziell weiter gegen Nord Stream 2, doch eine Einigung konnte mit Deutschland geschlossen werden. Damit gibt die USA den Widerstand gegen die Finalisierung der Pipeline auf. Nach der Erleichterung in Berlin können aber weitere Probleme auftreten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel verlebte eine harmonische Zeit bei US-Präsident Joe Bide – wäre da nicht das verflixte Thema Nord Stream 2. Biden gab sich diplomatisch: „Gute Freunde können unterschiedlicher Meinung sein“. Am 21. Juli kam es zur großen Einigung zwischen Berlin und Washington. Doch die Probleme des Projektes sind keineswegs beseitigt.
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Welche Sorgen gibt es wegen Nord Stream 2?
Die USA laufen seit Jahren Sturm gegen die Ostsee-Pipeline, die russisches Gas nach Deutschland transportieren soll. Sowohl Bidens Demokraten als auch die Republikaner seines Vorgängers Donald Trump sind gegen Nord Stream 2. Das Projekt umgeht die Ukraine, die auf Milliardeneinnahmen aus dem Gas-Transit angewiesen ist. Dass hinter dem geopolitischen Projekt Kremlchef Wladmir Putin steckt, ist für die USA sonnenklar. Der Vorwurf lautet: Europas Abhängigkeit von russischem Gas verstärkt sich. Kritik wird auch an einer weiteren Destabilisierung der Ukraine durch Putin laut, sobald Russland nicht mehr für die Gas-Weiterleitung auf das Land angewiesen ist. 2024 läuft der Transitvertrag aus. Die Pipeline soll bereits Ende August fertiggestellt werden.
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Worauf wurde sich geeinigt?
Angela Merkel und Joe Biden haben sich auf eine Unterstützung für die Ukraine geeinigt. Die Abhängigkeit von Russland soll reduziert werden. In einer gemeinsamen Erklärung mit den USA heißt es, dass Sanktionen folgen, sollte Moskau “Energie als Waffe” nutzen. Doch welche Grenze müsste Russland überschreiten, damit Strafmaßnahmen folgen? Das ist nicht festgelegt und könnte die Grauzone darstellen, die für weiteren Streit sorgen kann.
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Deutschland verpflichtet sich zudem “alle verfügbaren Einflussmöglichkeiten zu nutzen, um eine Verlängerung des Gas-Transitabkommens der Ukraine mit Russland um bis zu zehn Jahre zu ermöglichen”. Ob dies von Erfolg gekrönt sein wird, ist unklar.
Wie verläuft Nord Stream 2?
Nord Stream 2 stellt eine europäische Gas-Pipeline dar. Die Ostsee-Pipeline verläuft durch die Hoheitsgewässer und/oder ausschließlichen Wirtschaftszonen von fünf Ländern: Russland, Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland. Die Pipeline soll die “Energieinfrastruktur für die Zukunft” sein.
Wie lang ist die Ostsee-Pipeline?
Die Leitung ist gut 1.200 Kilometer lang. Jeden Tag werden weitere drei Kilometer auf dem Grund der Ostsee verlegt. Betreiber ist der russische Konzern Gazprom.
Steckbrief:
- Pipeline besteht aus rund 200.000 Stahlrohren
- parallelen Stränge verlaufen über 1.230 Kilometer in der Ostsee
- jeder Strang besteht aus 100.000 einzelnen Rohren, mit einer Länge von jeweils zwölf Metern
- eine der längsten Offshore-Pipelines der Welt
- Route verläuft durch die Ostsee und beginnt an der russischen Küste, landet in der Nähe von Greifswald, Deutschland
- Rohre haben einen konstanten Innendurchmesser von 1.153 Millimetern und eine Wandstärke von bis zu 41 Millimeter
- 71.000 Kilometer werden zurückgelegt, um das Ökosystem der Ostsee zu erforschen
- 47.800 Milliarden Kubikmeter: Russland hat die größten natürlichen Erdgasvorkommen der Welt
Warum heißt es Nord Stream 2?
Zwei Stränge der Gas-Pipeline wurden 2011 bereits unter dem Namen Nord Stream 1 eingeweiht. Daher spricht man nun von Nord Stream 2.
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Stellt die Pipeline eine Bedrohung dar?
Laut Kiew und Warschau ja. In einer gemeinsamen Erklärung warnten die Außenministerien der Ukraine und Polens, dass die Einigung zwischen Deutschland und den USA eine “politische, militärische und energietechnische Bedrohung für die Ukraine und Mitteleuropa geschaffen” habe.
„Die Entscheidung zu Nord Stream 2 kann nicht hinter dem Rücken all derer getroffen werden, die das Projekt real bedroht“, sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Vor Merkels Besuch bei Biden war Selenskyj zu Gast bei der Kanzlerin in Berlin.
Warum wird die Ostsee-Pipeline gebaut?
Der EU droht bis 2035 eine Importlücke von 120 Milliarden Kubikmetern Erdgas. Die einheimische Förderung großer Gasproduzenten wie den Niederlanden oder Norwegen ist rückläufig. Die Nachfrage nach Erdgas bleibt aber stabil. Das heißt: Die EU muss Gas importieren – über Nord Stream 2. Die Pipeline deckt mit ihren Kapazitäten ein Drittel des zusätzlichen Bedarfs ab.
Wie hilft der Wechsel von Kohle zu Gas der EU?
Bei der Stromerzeugung mit Erdgas statt Kohle entsteht bis zu 50 Prozent weniger CO₂. Der Wechsel auf Erdgas hilft also das EU-Ziel zu erreichen, die CO₂-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Mit dem geliefertem Erdgas können 14 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen in der EU aus Stromerzeugung eingespart werden, sofern der Strom aus Gas statt aus Kohle produziert wird. Die Ostsee-Pipeline transportiert genug Gas um 26 Millionen Haushalte zu versorgen.
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Was bedeutet Nord Stream 2 für die USA?
In erster Linie Gegenwind aus dem US-Kongress. Nach der Einigung mit Merkel muss sich Joe Biden auf deutliche Kritik einstellen. Das US-Parlament hat die Sanktionsgesetze gegen die Ostsee-Pipeline mit überwältigender Mehrheit sowohl der Republikaner als auch der Demokraten beschlossen. Diese Gesetze sehen verpflichtende Sanktionen gegen Unternehmen vor, die sich an Nord Stream 2 beteiligen. Die Regierung von Joe Biden verzichtete aber erst kürzlich bei der Schweizer Nord Stream 2 AG auf diese Maßnahme. Das nationale Interesse der USA diente als Begründung.
Der republikanische Senator Ted Cruz spricht hingegen von einem “geopolitischen Sieg für Putin und einer Katastrophe für die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten”. Cruz warf Biden vor, “im Bett mit Putin” zu sein. Was er verschwieg: Trumps Regierung zögerte bis zu ihrem letzten Tag im Amt, um die ersten Sanktionen zu verhängen.
Europaexpertin: “Mit Deal in Washington ist es nicht getan”
Berlin ist erleichtert angesichts der Einigung. Doch die Europaexpertin Julia Friedlander von der Denkfabrik Atlantic Council weist darauf hin, dass es mit dem Deal mit Washington nicht getan sei. Für die Bundesregierung beginne erst jetzt die richtige Arbeit. Friedlander sagt, die nun getroffene Vereinbarung sei der einzige vernünftige Ausweg aus einer “politischen Falle” gewesen, die sich Deutsche und Amerikaner über Jahre hinweg selbst gestellt hätten. Die Expertin ist auch überzeugt: „Washington hat fälschlicherweise ein europäisches Problem zu einem amerikanischen gemacht.“
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