Norwegische Forscher sicher: Ohne Kernenergie geht es nicht
Ein Forschungsteam aus Norwegen ist sich sicher, dass Kernenergie eine entscheidende Rolle im europäischen Mix sauberer Energien spielen wird.
Es ist eine der meistdiskutierten Fragen zum Thema Energiewende: Schaffen wir es ohne Kernenergie oder war es ein Fehler, die letzten deutschen Atomkraftwerke abzuschalten? Forschende der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) sind sich sicher, dass selbst teurer Atomstrom zu einem insgesamt erschwinglicheren Energiesystem führen kann. Das gilt insbesondere in Hinblick auf den Bedarf kostspieliger Stromnetzerweiterungen und Energiespeichern.
Inhaltsverzeichnis
Kernenergie ein unverzichtbarer Baustein?
Europa steht vor einer der größten Herausforderungen seiner Geschichte: Die Energiewende und der Übergang zu Netto-Null-Emissionen. Angesichts des zunehmenden Bedarfs an Elektrizität, ausgelöst durch den Wandel hin zur Elektromobilität und der Digitalisierung, suchen Staaten nach einer nachhaltigen und stabilen Energiequelle. Norwegische Forschende sehen hier die Kernenergie in einer entscheidenden Rolle. Ihre aktuelle Studie beleuchtet, warum die Kernkraft in Kombination mit erneuerbaren Energien den optimalen Energiemix darstellt – und wie sich Europa auf diese Transformation vorbereiten muss.
Ein zunehmender Trend im Energiesektor ist das Interesse von Technologieunternehmen an der Kernenergie. So prüft Microsoft derzeit die Wiederinbetriebnahme des stillgelegten Kernkraftwerks Three Mile Island Block 1. Der Preis für den Strom liegt mit etwa 100 US-Dollar pro Megawattstunde zwar über den aktuellen Kosten von Wind- und Solarenergie, doch der Wert der stabilen, durchgängigen Energieversorgung ist für Unternehmen wie Microsoft entscheidend. Der Deal unterstreicht den hohen Stellenwert, den eine kontinuierliche, emissionsfreie Stromquelle für die Tech-Branche inzwischen einnimmt.
Das Potenzial der Kernenergie für Europa
Laut der NTNU-Studie könnte der Einsatz von Kernkraft europaweit die Effizienz von Solar- und Windenergie steigern. Die Forschenden zeigen, dass Kernenergie einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, das Stromnetz stabil zu halten und die Verluste erneuerbarer Energien zu verringern. Ein solider Kernenergieanteil im Energiemix würde die Notwendigkeit, Strom von Solar- und Windkraftanlagen zu drosseln, verringern und dadurch deren Gesamtnutzen erhöhen.
Ein zentrales Argument der Studie ist die Reduzierung der benötigten Fläche für die Erzeugung erneuerbarer Energie durch den Einsatz von Kernkraft. Große Solar- und Windparks benötigen ausgedehnte Flächen, die insbesondere in dicht besiedelten Gebieten Europas schwer verfügbar sind. Die Kernenergie kann hier eine kompakte Alternative bieten, die nicht nur den Flächenverbrauch minimiert, sondern auch die Abhängigkeit von Wetterbedingungen senkt. „Ein Verbrauchsmuster, das immer mehr stabile Energie erfordert, wird die Kernenergie als Teil des Energiemixes wertvoller machen“, so die Forschenden.
Kernkraft senkt den Bedarf an Netzausbau und Energiespeichern
Ein wichtiger Vorteil der Kernenergie ist laut Studie ihr Potenzial, den Bedarf an Energiespeichern und den Ausbau des Stromnetzes zu reduzieren. Für ein Energiesystem, das auf intermittierende Quellen wie Wind und Sonne setzt, sind umfangreiche Speicherlösungen erforderlich, um die Versorgungssicherheit bei schwankender Energieproduktion zu gewährleisten.
Kernkraftwerke hingegen liefern kontinuierlich Strom und tragen zur Stabilisierung des Netzes bei. Damit könnten kostenintensive Investitionen in die Infrastruktur verringert werden, was sich auf lange Sicht positiv auf die Energiekosten auswirkt.
Standardisierte Reaktordesigns als Erfolgsmodell?
Die Forschenden der NTNU betonen die Bedeutung standardisierter Reaktordesigns, um die Kosten und den Zeitaufwand für den Bau neuer Kernkraftwerke zu senken. Das Barakah-Kraftwerk in Abu Dhabi dient hier als Vorbild: Durch einheitliche Reaktorkonstruktionen und den Bau mehrerer Reaktoren an einem Standort konnten signifikante Kostensenkungen erzielt werden. Der Lerneffekt, der bei der Errichtung der nachfolgenden Reaktoren eintritt, trägt dazu bei, die Bauzeit und die Kosten zu reduzieren.
Martin Hjelmeland, Postdoktorand am NTNU-Institut für Elektrische Energie, warnt jedoch vor den Fehlern der Vergangenheit: „Wenn die Gesellschaft nicht aus Projekten wie dem finnischen Olkiluoto-3-Projekt lernt, dessen Bau und Inbetriebnahme 18 Jahre gedauert hat, wird die Kernenergie teuer.“ Die Verzögerungen in Olkiluoto-3 entstanden durch regulatorische Eingriffe und unvollständige Baupläne, was das Projekt erheblich verteuerte. Wenn Europa jedoch erfolgreich eine standardisierte Vorgehensweise übernimmt, könnte die Kernenergie in Zukunft zur größten Einzelquelle für sauberen Strom werden.
Interessanterweise zeigt die NTNU-Studie, dass Kernenergie auch in Ländern wie Norwegen, das traditionell auf Wasserkraft setzt, zunehmend relevant wird. Der Energiebedarf steigt in vielen Industriebereichen, von der Schwerindustrie bis hin zu den energieintensiven Rechenzentren für künstliche Intelligenz. Jonas Kristiansen Nøland, außerordentlicher Professor an der NTNU, betont: „Dies wird von mehreren unsicheren Faktoren abhängen. Die Kosten werden entscheidend sein, aber es hängt auch vom Umfang der Onshore-Windenergieentwicklung und dem Bedarf an stabiler Energie ab.“
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