Rohrkolben als natürlicher Dämmstoff mit überraschenden Eigenschaften
Der Rohrkolben, lateinisch Typha, wächst schnell, ist schimmelresistent und hat viel Biomasse. Als ökologisches Baumaterial wird die Wasserpflanze gerade wiederentdeckt und für die Dämmung als Alternative zu Holz und Baumwolle eingesetzt.
Innovation – das muss nicht immer die Erfindung des Rads bedeuten. Auch die Wiederentdeckung eines in Vergessenheit geratenen Rohstoffs und sein Einsatz in modernen Bautechniken ist innovativ. Der Rohkolben, lateinisch Typha und umgangssprachlich auch als Lampenputzer, Schlotfeger oder Kanonenputzer bekannt, ist so ein Fall. Die Vorzüge der vielseitigen Wasserpflanze sind schon seit über 100 Jahren bekannt, gerieten aber in Vergessenheit.
Jetzt erlebt Typha eine Renaissance als nachhaltiger und ökologischer Baustoff. Das niederbayerische Unternehmen Typha Technik Naturbaustoffe hat eine Dämmplatte aus Rohrkolben entwickelt und wurde dafür mit dem Preis „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“ gewürdigt.
Typha ist schimmelresistent, leicht, stabil und bindet Kohlenstoff
In enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP ist eine mit dem Mineral Magnesit gebundene Dämmplatte aus Rohrkolben entstanden, die alle Qualitäten der Pflanze vereint. Sie ist belastbar, schimmelresistent, hochdämmend, energiearm in der Herstellung, rein biologisch und komplett recyclebar. Typha Technik bietet die Platte in drei Varianten mit unterschiedlicher Dichte an, je nachdem ob Druckfestigkeit oder Wärmedämmeigenschaften wichtiger sein sollen.
Die dicken Blätter der Rohrkolben, die bis zu fünf Meter lang werden können, eignen sich hervorragend als Dämmmaterial, entdeckten die Fraunhofer-Forscher in Zusammenarbeit mit dem Erfinder Diplom-Ingenieur Werner Theuerkorn. Die Platten aus Rohrkolben haben eine geringe Wärmeleitfähigkeit von nur 0,055 W/mK (Watt pro Meter mal Kelvin). Zum Vergleich: Glas- oder Mineralwolle und Schäume erreichen noch etwas bessere Werte zwischen 0,032 bis 0,035 W/mK.
Im Gegensatz zu anderen Dämmstoffen bietet Typha allerdings neben seinen Dämmeigenschaften eine große Tragfähigkeit und Stabilität, einen guten Brand-, Schall- und Wärmeschutz. Sie ist relativ diffusionsoffen, aber ausreichend dicht, um bei den meisten Anwendungen auf eine Dampfbremse verzichten zu können. Vor allem ist das Material in Richtung der Plattenebene mit hohen Drücken belastbar.
Als Wasserpflanze ist der Rohrkolben gegen Feuchtigkeit von Natur aus gut gewappnet. Gerbstoffe schützen ihn vor Schimmel und der Aufbau der Blätter macht ihn leicht und stabil. Typha kommt als natürliche Monokultur vor und bindet große Mengen Kohlenstoff, das auch nach der Verarbeitung zum Dämmstoff gebunden bleibt. Rohrkolben wird schon seit langem für verschiedene Zwecke verwendet, wie zur Reinigung von Abwässern in Kläranlagen, zum Entgiften von Böden, als Rohstoff für handwerkliche Flechtarbeiten, als Nahrungsmittel oder in der traditionellen Medizin als Heilpflanze bei verschiedenen Erkrankungen.
In Deutschland wird der Rohrkolben bisher noch nicht kultiviert
Auch die Verarbeitung der Rohrkolben ist vergleichsweise einfach. Die Blätter werden zunächst längs in stabförmige Partikel aufgetrennt und auf die richtige Länge von rund sieben Zentimeter gekürzt. Anschließend werden sie in einer Trommel mit einem umweltfreundlichen mineralischen Kleber eingesprüht und in einer Presse weiterverarbeitet.
Wegen der hohen Biegesteifigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht kann das Material für Dachkonstruktionen oder als Leichtbausandwichelement für Fußböden und Zwischendecken verwendet werden. Auch Türblätter, Fenster- und Türstürze lassen sich damit gestalten, ebenso ist der Ersatz von Holzbalken möglich. „Im Grunde könnte man ein komplettes Gebäude aus Typha bauen“, erklärten Klaus Sedlbauer vom Fraunhofer IBP und Werner Theuerkorn von der Typha Technik Naturbaustoffe bei der Preisverleihung zum „ausgezeichneten Ort im Land der Ideen“, einer Standortinitiative von Politik und Wirtschaft.
Doch trotz der zahlreichen Vorzüge wird der Baustoff aus der Natur bislang noch nicht im größeren Stil verbaut und industriell verwertet. Rohrkolben wächst in großen Beständen vor allem in Osteuropa, vornehmlich in Rumänien und Ungarn. In Deutschland jedoch wird Pflanze, die in Feuchtgebieten wächst, nicht kultiviert und muss importiert werden. Dabei gäbe es hierzulande geeignete Anbauflächen. Trockengelegte Niedermoore, die jahrzehntelang landwirtschaftlich genutzt wurden, ließen sich durch den Anbau von Typha regenerieren. Zugleich bieten Rohrkolbenflächen Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen.
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