Russlands erstes schwimmendes Atomkraftwerk ist am Ziel
Die einen Länder schalten sie ab, die anderen machen sie mobil. Russland steht kurz vor der Inbetriebnahme seines schwimmenden Kernkraftwerks. Die Akademik Lomonossow hat in Pewek festgemacht und soll dort die dezentrale Energieversorgung sichern – umweltfreundlich und autark.
Vergangenes Jahr wurde das erste schwimmende Kernkraftwerk der Welt im Hafen von St. Petersburg auf die Reise geschickt. Nun ist die „Akademik Lomonossow“ im Osten Russlands angekommen, wo es bis Ende des Jahres verankert wird. 2020 folgt dann die Inbetriebnahme des Schiffes der besonderen Art. Es wurde im Auftrag des Staatskonzerns Rosatom in St. Petersburg gebaut und ist derzeit das einzige Schiff seiner Art. Denn an Bord der Akademik Lomonossow befinden sich Reaktoren, die mit nuklearem Brennstoff beladen sind. Der Kraftwerksbetreiber Rosenergoatom will damit die Stadt Pewek im äußersten Nordosten Russlands zuverlässig mit Strom und Wärme versorgen. Hauptabnehmer werden die russischen Bohrinseln in der Region sein, aber auch die 5.000 Einwohner Peweks.
Das Schiff wiegt 21.000 Tonnen und ist 144 x 30 Meter groß. Mit seinen beiden KLT-40S-Reaktoren kann es eine Gesamtleistung von 70 Megawatt (je 35 MW) erzeugen und damit theoretisch eine mittelgroße Stadt mit 100.000 Einwohnern versorgen. Wenn das Pilotprojekt in Pewek erfolgreich verläuft, plant Russland eine ganze Flotte schwimmender Kernkraftwerke. Dann sollen sich zu dem Koloss weitere mobile Kraftwerke gesellen, die jedoch nicht an die Ausmaße der Akademik Lomonossow heranreichen werden.
Mobiles Kernkraftwerk mit SMR-Technologie
In der Region Tschukotka, in der Pewek liegt, werden derzeit verstärkt Öl- und Gasvorkommen erschlossen. Nicht zuletzt, weil die riesigen Eisdecken durch die globale Erwärmung schmelzen und somit neue Wege für Schiffe und Eisbrecher frei werden. Dass diese Rohstoffe nicht direkt vor Ort in Energie umgewandelt werden, soll auch durch Naturschutz begründet sein. „Es ist vielleicht ein kleiner Schritt für eine nachhaltige Entwicklung in der Arktis, aber ein gigantischer Schritt für die Dekarbonisierung von netzfernen Gebieten“, so der Generaldirektor von Rosatom, Alexei Likhatschow.
Doch nicht nur das Unterfangen an sich ist spannend, auch die verbaute Technologie lässt staunen. Um eine dezentrale und flexible Energieversorgung für diesen strategisch wichtigen Standort zu realisieren, setzt Russland auf kleine modulare Reaktoren (SMR). Die einzelnen SMR-Einheiten haben eine Leistung von unter 300 Megawatt und können ohne Brennstoffumladung 3 bis 5 Jahre betrieben werden – ohne Unterbrechung. Dennoch wird die SMR-Technologie momentan in keinem anderen Kernkraftwerk der Welt eingesetzt. Wenn der Pilot in Pewek erfolgreich läuft, sollen viele weitere kleine Blöcke mit SMR-Technologie dafür sorgen, dass der hohe Norden und der entlegene Osten Russlands stets zuverlässig mit Energie versorgt wird – offshore ebenso wie onshore. Dann dürfte die Technologie made in Russia auch zum Exportschlager werden: „Sobald wir beginnen, kleine Reaktoren in Serie herzustellen, haben SMR-Anlagen für abgelegene Gebiete gute Chancen, Strom günstiger als Diesel zu produzieren, Geld zu sparen und schädliche Emissionen zu vermeiden“, so ein Rosatom-Sprecher.
Als ingenieur.de 2014 das erste Mal von dem Projekt berichtete, stand es in Konkurrenz zu Arbeiten am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Mittlerweile arbeiten weitere Länder wie China an solchen SMR-Konzepten, um sich Rohstoffe und Schifffahrtswege zu sichern.
SMR ist keine neue Technologie
Auch wenn das schwimmende Atomkraftwerk Akademik Lomonossow das erste Modell seiner Art ist – die Technologie an Bord ist seit Jahrzehnten bekannt. Die kleinen modularen Kernreaktoren werden seit den 1950er Jahren vor allem als Triebwerk in Atom-U-Booten und Eisbrechern eingesetzt. Auch die USA nutzten schon in den 1970er Jahren ein schwimmendes Atomkraftwerk, um ihre Militäreinrichtungen mit Strom zu versorgen, gaben das Konzept wenige Jahre später jedoch auf. Es sind vor allem Sicherheitsaspekte, die die schwimmenden Kernkraftwerke verhindern. Die Konstrukteure des neuen russischen Schiffs haben laut eigenen Angaben deshalb besonders viel Zeit in die Sicherheit investiert. Zu Protesten der russischen Bevölkerung kam es dennoch – übrigens ein Grund, wieso sich die Inbetriebnahme des Atomdampfers immer weiter verzögerte und die Reaktoren statt in St. Petersburg in Murmansk beladen wurden.
Oberste Prio: Schutz der Reaktoren vor Terror und Naturkatastrophen
Ein neuartiges Containmentsystem soll das Schiff sowohl vor Naturkatastrophen als auch vor Terroranschlägen ausreichend schützen. Rosatom versichert, man habe beim Bau alle Sicherheitsstandards der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) eingehalten. Immerhin sollen auch die abgebrannten Brennstäbe bis zu 12 Jahre ab Bord gelagert werden. Damit verwandelt sich das Schiff in ein schwimmendes AKW mit angeschlossenem Zwischenlager. Das System Rosatoms aber soll auch im Falle einer Kernschmelze kein radioaktives Material nach außen lassen. Und selbst Erdbeben der Stärke 10 habe man simuliert, um zu testen, wie das System funktioniert, sollte die Akademik Lomonossow aufgrund eines Tsunami an Land gespült werden. Allein der Bau dieses Containmentsystems hat die Fertigstellung des Schiffs übrigens um 8 Jahre verzögert. Geplant war die Inbetriebnahme ursprünglich im Jahr 2010.
Greenpeace kritisiert schwimmendes AKW scharf
Die Sicherheit des Schiffes betrifft derweil nicht nur Russland. Schon seit Jahren streiten sich verschiedene Länder bezüglich der Sicherheit von Atomkraftwerken. In diesem Zuge kritisierte die weltweit agierende Umweltschutzorganisation Greenpeace auch den Einsatz der russischen Akademik Lomonossow. Greenpeace weist dabei vor allem auf die doppelte Schlagkraft gegen die Natur hin. Der Greenpeace-Experte für Atomenergie, Heinz Smital, sagt: „Die Risikotechnologie Atomenergie wird auf einem Schiff noch unsicherer und sie soll genutzt werden, um mehr klimaschädliche Öl- und Gasvorkommen in der Arktis auszubeuten.“ Ein Paradox? Nicht für Rosatom.
Während die Deutsche Energie-Agentur (dena) der Tschukotka-Halbinsel und anderen entlegenen Gebieten im Osten und Norden Russlands „gute Standortbedingungen“ für den Betrieb von Windkraftanlagen attestiert, sie das die staatliche Agentur für Atomenergie naturgemäß anders. Das Betreiben von Anlagen für erneuerbare Energie wie Wind erfordere „eine teure, umweltschädliche Dieselunterstützung oder einen teuren Energiespeicher“. Kleine Kernkraftwerke dagegen seien zuverlässig, kohlenstoffarm und könnten auch energieintensive Gewerke zuverlässig versorgen.
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