Schifffahrtskanäle werden dezentrale Pumpspeicher
Jede Innovation beginnt mit einer guten Idee. In diesem Fall stammt sie von zwei Elektromeistern. Hebewerke an Kanälen für die Binnenschifffahrt könnten die bestehenden Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland als Stromspeicher ergänzen. Ein EU-Projekt soll rechtliche Frage klären.
Die Elektromeister Hubert Schulte und Jürgen Nölke engagieren sich in der Region Lüneburg seit vielen Jahren nebenberuflich in der Errichtung von bürgerfinanzierten Sonnen- und Windkraftanlagen. Täglich haben sie das imposante Schiffshebewerk Scharnebeck vor Augen, das mit seiner Fallhöhe von 38 m den 115 km langen Elbe-Seitenkanal mit der Elbe verbindet. „Lässt sich dieses Schiffshebewerk nicht für andere Zwecke nutzen, als für nur die Schifffahrt?“, fragten sie sich. Zum Beispiel als dezentralen Pumpspeicher für die intermittierend anfallende Windenergie der Region?
„Das ist ein greifbares, mit relativ geringen Mitteln realisierbares Projekt“, sagt Schulte. Ohne Eingriff in unberührte Landschaften für neue Staudämme und Becken. Alles ist schon da – die vorhandene Infrastruktur wird doppelt genutzt.
Die Idee: Die in Scharnebeck installierten Pumpen (4 x 1,2 MW) zum Ausgleich von Wasserverlusten im oberen Kanalabschnitt sollen bei Windkraftüberschüssen im Stromnetz zum Hochpumpen von Wasser dienen. So ließe sich elektrische Antriebsenergie als Lageenergie speichern. Bei Bedarf sollen dieselben Pumpen dann durch das rückströmende Wasser als Generatoren arbeiten und Strom ins Netz rückspeisen.
Dazu müssten die Pumpen mechanisch und steuerungstechnisch umgerüstet oder durch Kaplan-Rohrturbinen ersetzt werden. „Am sinnvollsten“, so Schulte, „wäre eine neue Druckrohrleitung vom Oberwasser auf die Turbinen.“ Damit, so schätzt er, ließe sich eine Generatorleistung von 30 MW bis 40 MW realisieren.
Erweitert man die Idee auf die 2000 km der deutschen Binnenwasserstraßen, wären Pumpspeicherkapazitäten von 400 MW denkbar.
Der Leiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in Uelzen, Martin Köther, steht dem Konzept aufgeschlossen gegenüber. „Natürlich ist die Hauptaufgabe der Kanäle die Schifffahrt. Da gibt es gewisse Bewirtschaftungsgrenzen.“
Die Kanäle sind typisch für einen Normalwasserstand von 4 m ausgelegt – mit bis zu 25 cm Schwankung. Diese Bandbreite müsste beim Ein- und Abpumpen des Speicherwassers eingehalten werden: wegen der Durchfahrtshöhen von Brücken und, schwerwiegender, wegen möglicher Gefährdungen der Dämme. Deren Asphalt-Betondichtung ragt nur geringfügig über die Wasserlinie hinaus. Das Deckwerk darf beim Wellenauflauf bei Schiffsdurchfahrten nicht überspült werden, um die Grasnarbe des Damms zu schützen.Das alles, der Investitionsbedarf und die technischen Randbedingungen, sagt Thomas Schomerus, Professor für Öffentliches Recht an der Leuphana Universität Lüneburg, verdient eine gründliche Aufarbeitung und Begutachtung. Deshalb wollen er und sein Kollege Heinrich Degenhart ein Forschungsprojekt aus Mitteln der EU-Regionalförderung auflegen.
Es soll das Potenzial der Stromspeicherung in Binnenwasserstraßen rechtlich und wirtschaftlich analysieren – in Kooperation mit der Forschungsanstalt der Bundeswasserstraßenverwaltung und interessierten Energieversorgern. Als mögliche Betriebsform sieht Schomerus das Konstrukt der Private-Public-Partnership.
Im Vorlauf muss das technisch so einleuchtende Projekt also noch manche regulatorische Hürde nehmen (s. Kasten). Unter anderem das novellierte Energiewirtschaftsgesetz. Es befreit alle nach 2009 errichteten Pumpspeicherkraftwerke vom Netznutzungsentgelt – eine auf zehn Jahre befristete Förderung. Die Frage, so Schomerus: „Wären Speicherwerke wie Scharnebeck ,neu errichtete“ Anlagen, oder nur die Nutzung ,bestehender Anlagen“?“ Ein Rechtsgutachten müsste das entscheiden.
Dringend ist die intensive Diskussion der Pumpspeicherkraftwerke allemal. Schomerus: „Wir werden mehr davon brauchen, wenn wir in den nächsten zehn Jahren den Anteil der erneuerbaren Energien verdoppeln wollen.“ WERNER SCHULZ
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