Shell: Ärger mit Pipelines von Afrika bis Köln
Die nigerianische Tochter des Ölkonzern Royal Dutch Shell muss einem Fischer Schadensersatz zahlen. Denn Shell Nigeria hat Leckagen nicht schnell genug repariert. Wie teuer und aufwendig Sanierungen sind, lernt der Konzern gerade in Deutschland in der Nähe von Köln bei einem Störfall.
Kürzlich musste sich der britisch-niederländische Ölkonzern Royal Dutch Shell (RDS) vor einem Zivilgericht in Den Haag wegen ausgelaufenem Öl im Nigerdelta verantworten. Geklagt hatten vier Bauern und Fischer aus den Dörfern Goi, Ikot Ada Udo und Oruma sowie der niederländische Umweltverband Milieudefensie. Konkret ging es um Schäden, die durch lecke Pipelines zwischen 2005 bis 2007 entstanden. Fast 80 Mio. l Öl zerstörten Ernte und Fischteiche.
Das Gericht entschied zugunsten des Konzerns. RDS müsse für die Umweltschäden nicht haften. Verantwortlich sei allein Shell Nigeria. Die 100 %ige RDS-Tochter habe Pipelines nach Sabotageakten nicht schnell genug wieder in Ordnung gebracht und Umweltschäden nicht sofort beseitigt.
Einzig im Falle des 52-jährigen Fischers Friday Akpan aus Ikot Ada Udo verurteilte das Gericht die Konzerntochter Shell Nigeria zu Schadensersatz. Dessen Höhe wird allerdings erst in einem weiteren Prozess festgelegt.
Nun will der Umweltverband Milieudefensie Berufung einlegen. Die Umweltschützer verstehen nicht, dass das Gericht den Mutterkonzern freigesprochen und den Klägern aus Goi und Oruma keinen Schadensersatz zugesprochen hat. Zudem hat die Gemeinde Bodo im Nigerdelta den Mutterkonzern in London angeklagt.
Auch in Deutschland ist der Ruf des Konzerns ramponiert. Denn schon vor einem Jahr ereignete sich in der Raffinerie Rheinland in Wesseling ein Störfall, dessen Folgen immer noch nicht absehbar sind. Rund 846 t Kerosin – also mehr als 1 Mio. l – sickerten knapp vier Wochen lang aus einer Pipeline. Das Leck ist ein winziges Loch von 0,68 cm² Größe.
Den ersten Hinweis auf den Störfall gab es am 25. Februar 2012. Mitarbeiter bemerkten, dass zwei Tanks zu wenig Kerosin enthielten. Sie vermuteten, dass eine 800 m lange Rohrleitung aus dem Jahr 1942 undicht war und sperrten sie. Fachleute der Raffinerie und des TÜV Rheinland bestätigten dies drei Tage später, Shell Deutschland informierte Behörden, Anwohner und Medien.
Im März ließ Shell Messstellen einrichten, um das Ausmaß des Schadens zu erfassen. Das Ergebnis: Der ölige Teppich aus Kerosin schwimmt etwa 7 m unter der Oberfläche auf einer grundwasserführenden Kies- und Sandschicht. „Es sind aber keine Trinkwasserreservoirs oder Wasserschutzgebiete berührt“, zeigt sich Shells Pressemann Constantin Graf von Hoensbroech erleichtert. Alle Trinkwasserproben seien bis heute in Ordnung.
Im August ermittelte der TÜV Rheinland endlich die Ursache. Die mit Bitumen ummantelte Rohrleitung war zwar dank kathodischen Korrosionsschutzes (KKS) elektrisch vor Rost geschützt. Doch gut 1 m über der Leitung kreuzte eine ebenfalls elektrisch geschützte Wasserleitung, die ein ehemaliges Schwimmbad versorgte. Es kam zu Streuströmen, die die Korrosion förderten. Zudem war die Bitumenisolierung der gesamten Leitung nur an dieser einen Stelle beschädigt. Der TÜV spricht aufgrund dieser Zufälle von einem singulären Ereignis, das sich so kaum wiederholen könne.
Dennoch: „Shell hat viel Zeit verstreichen lassen, bevor es den ersten Sanierungsbrunnen gebaut hat“, kritisiert Matthias Welpmann. Er ist umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Kölner Rat. Es dauerte bis Ende Juli 2012, also fünf Monate nach Entdeckung der Leckage, bis das Abpumpen des Kerosins begann. Und erst im Oktober legte Shell Deutschland seinen Sanierungsplan vor: Zunächst will man so viel Kerosin wie möglich abpumpen, bevor Reste des Flugbenzins in Boden und Grundwasser biologisch abgebaut werden sollen.
Die Bezirksregierung Köln ordnete kurz darauf Teile des Sanierungsplans an: Shell musste mit weiteren Messstellen die Ausbreitung des Kerosinsees bestimmen. Seit November ist bekannt, dass sich der See auf einer Gesamtfläche von 42 000 m² ausgebreitet hat. Zudem sollten weitere Sanierungsbrunnen errichtet werden. Kurz vor Weihnachten 2012 nahm ein zweiter Brunnen den Betrieb auf. Der dritte folgte Anfang Januar 2013. Den Bau des vierten Brunnens bereitet Shell vor.
Bis heute – also fast ein Jahr nach Entdeckung des Lecks – konnte Shell nach eigenen Angaben erst rund 100 000 l Kerosin abpumpen. Das ist gerade einmal ein Zehntel des ausgelaufenen Flugbenzins. Alle vier Pumpen würden wohl noch bis zu fünf Jahre weiterarbeiten müssen, meint von Hoensbroech.
Parallel dazu bereitet der Konzern die biologische Sanierung vor. Wie lange es dauern wird, bis Erdreich und Grundwasser wieder kerosinfrei sein werden, könne niemand vorhersagen, ergänzt der Pressesprecher und verspricht: „Es wird keine unendliche Geschichte werden.“
Doch es geht nicht allein um die Sanierung des eingetretenen Schadens, sondern auch um das betriebseigene Alarmsystem. Der TÜV und die Raffinerie prüfen die Ölleitungen regelmäßig auf ihre Dichtigkeit. Das Alarmsystem erkennt eine Leckage aber nur, wenn mehr als 5000 l/h auslaufen. Aus dem winzigen Loch aber liefen stündlich nur 1700 l.
Deshalb fiel der Schaden erst Wochen später auf. „Wir wollen unser automatisches Leckage-Erkennungssystem erneuern“, verspricht von Hoensbroech. Der Mineralölkonzern sondiert zurzeit weltweit den Markt für Erkennungssysteme, die bereits bei kleineren Austrittsmengen verlässlich Alarm schlagen.
Der Grüne Welpmann hofft, dass Shell schnell lernt. Selbst die CDU im Kölner Rat ist unruhig geworden und verweist auf weitere Störungen in der Raffinerie Rheinland – zwar nicht im Werk Wesseling, dafür im Nachbarwerk Godorf. Auch dort traten im Herbst 2012 aus undichten Leitungen Erdölprodukte aus. Während die Bezirksregierung Köln sehr neutral von „Schadenshäufung“ spricht, schimpft der grüne Politiker Welpmann: „Shell ist ein potentes Unternehmen.“ Es sollte nicht nur in der Lage sein, „den Kerosinsee zügig zu beseitigen, sondern auch, all seine Rohrleitungen im besten Zustand zu halten“.
Keine Frage. Die Sanierung im Süden Wesselings wird Shell Deutschland viel Geld kosten. Pressesprecher von Hoensbroech nennt zwar keine Zahlen, die Sanierung wirft aber ein Schlaglicht darauf, wie teuer und aufwendig es sein wird, das Nigerdelta zu reinigen.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen ließ 2011 prüfen, wie sauber das Trinkwasser nach 50 Jahren Ölförderung im Ogoniland – im Südosten des Deltas – ist. In der Studie heißt es, an einigen Orten müsse sofort gehandelt werden. Die Sanierung der gesamten Region würde fast 30 Jahre dauern und bis zu 1 Mrd. $ kosten. Nach dem Urteil von Den Haag müsste sich RDS nicht daran beteiligen, wohl aber Shell Nigeria. RALPH H. AHRENS
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