Smart Grid als Lösung für den Umbau der Stromnetze
Bei der Integration dezentral erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien in die Netze klaffen noch große Lücken in der Forschung und bei der Umsetzung. Dies wurde auf der Jahrestagung der Elektrotechnischen Gesellschaft des VDE diese Woche in Würzburg deutlich. Es fehle ein verbindlicher Handlungsrahmen, auf den sich die vielen unterschiedlichen Akteure verlassen können, so Experten.
Die Integration der erneuerbaren Energien in die Stromnetze stellt Netzbetreiber vor gewaltige Herausforderungen, besonders auf der Nieder- und Mittelspannungsebene: „Die ländliche Netzstruktur, die bisher erzeugungsfrei war, muss nun wegen der dezentralen Stromerzeugung mit Wind und PV auf höhere Lasten und bidirektionalen Stromtransport umgebaut werden“, fasste Jochen Schmiesing, Leiter Netzentwicklung bei E.on Avacon, zusammen. Wie er waren rund 650 Energietechnikspezialisten zur Jahrestagung der Elektrotechnischen Gesellschaft (ETG) des VDE am Dienstag und Mittwoch nach Würzburg gekommen, um sich über aktuelle Entwicklungen zu informieren.
Es gebe einen „bunten Strauß technologischer Optionen“, erklärte Schmiesing, doch welche davon die richtigen sind, sei noch unklar. Hauptproblem sei, bei fluktuierender Stromeinspeisung die Netzspannung konstant zu halten, also Lastspitzen und -täler auszugleichen. Dazu benötigt man auf Ebene der Verteilnetze erheblich mehr intelligente Steuer- und Regeltechnik als bisher.
Smart Grid: Umbau der Stromnetze muss breit koordiniert werden
Dieser Umbau könne nur gelingen, wenn das Vorgehen endlich breit koordiniert werde, erklärte Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech), in einem Hintergrundgespräch anlässlich der Veranstaltung. Nötig seien eine alle Interessengruppen umfassende Task Force zum Thema Smart Grid und eine verbindliche Roadmap. Modell soll das Vorgehen im Bereich E-Mobility sein.
Kagermann präsentierte vor Journalisten erste Einblicke in die Studie „Fu-
ture Energy Grid“ von Acatech, die sich mit Migrationspfaden zum Smart Grid beschäftigt. Sie definierte drei Migrationsszenarien: Das erste namens „20. Jahrhundert“ setzt weiter auf großtechnische Stromerzeugung, kombiniert diese aber mit verbesserten transeuropäischen Netzen.
Das zweite Szenario – die „Komplexitätsfalle“ – geht von „vielen gut gemeinten, aber unkoordinierten“ (Kagermann) Versuchen aus, die Erneuerbaren effektiv zu integrieren. „Dann haben wir am Ende die Energiewende geschafft, aber alles passt nicht richtig zusammen.“ Kagermann hält dieses Szenario für das wahrscheinlichste, wenn nicht bald entschiedene Maßnahmen getroffen werden, um es zu verhindern.
Schließlich definiert die Studie ein drittes, erwünschtes Szenario: Unter der Bezeichnung „nachhaltig-wirtschaftlich“ soll konzertiertes Vorgehen Doppelarbeit, sich gegenseitig konterkarierende Ansätze und andere Reibungsverluste minimieren.
Acatech für Smart-Grid-Implementierung in drei Phasen
Die Acatech schlägt eine Smart-Grid-Implementierung in drei Phasen vor. Die erste, eine Planungs- und Koordinierungsphase mit Fokus auf die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), soll schon bald beginnen und bis 2015 dauern.
Das wirft die Frage auf, wie unter diesen Umständen der Aufbau eines Smart Grid in den dafür vorgesehenen Zeiträumen gelingen kann. Hier schürt Kagermann keine Illusionen: „Auf zwei, drei Jahre mehr oder weniger kommt es nicht an – und die Kosten bei solchen komplexen Großprojekten werden fast immer falsch eingeschätzt.“ Dies gelte um so mehr, als es noch erheblichen Forschungs- und Entwicklungsbedarf gebe. Der IKT-Bereich habe beispielsweise für Smart Grids noch immer keine Referenz-
architektur definiert.
Das größte Problem, so Wolfgang Glaunsinger, Geschäftsführer der ETG des VDE, sei die Speicherung von Strom zum Ausgleich der Fluktuationen im Netz. „Hier müssen wir dringend neue Möglichkeiten wie Wasserstoff oder Windgas weiterentwickeln, denn Pumpspeicherwerke lassen sich nicht in ausreichendem Umfang errichten“, forderte er.
Das bestätigte in seinem Kongressvortrag auch Günther Brauner, Vorstand des Instituts für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft der TU Wien: „Weil der Ausbau der Erneuerbaren schneller geht als der der Pumpspeicherwerke, wird der Anteil an regenerativem Strom, dessen Ausfall sie abpuffern können, in Deutschland von derzeit 14,1 % auf mittelfristig nur noch 7,1 % sinken.“
Wegen der schnellen Zu- und Abnahme besonders der Photovoltaikenergie bei Sonnenauf- und -untergang brauche man andere Puffertechnologien, die derart steile Gradienten auffangen könnten. Dafür kämen Kohle und Gas infrage. Um die Lösung dieser Aufgabe wirtschaftlich zu machen, solle man, so Brauner, darüber nachdenken, auf dem Strommarkt Gradientenprodukte anzubieten.
Stromerzeuger brauchen Stromverbraucher für das Smart Grid der Zukunft
Eine weitere ungelöste, aber dringend lösungsbedürftige Aufgabe sei, so Glaunsinger, die Definition von Anreizmodellen, die den Netzausbau für die Betreiber attraktiv machen. „Eine Roadmap, wie wir sie fordern, muss klar sagen, wer wann für was zu investieren hat.“ Dabei müssten Ausbaupläne über nationale Grenzen hinweg europaweit koordiniert werden. Zudem müssen sich IKT- und Energiespezialisten besser verständigen. „Wir meinen oft mit denselben Begriffen völlig unterschiedliche Dinge“, stellte Kagermann fest, der als ehemaliger SAP-Chef die IKT-Seite gut kennt.
Schließlich gelte es dringend, die Stromverbraucher ins Smart Grid der Zukunft mitzunehmen, da sie mit teurerem Strom rechnen und ihr Verhalten an die neuen Gegebenheiten anpassen müssten. „Das wird schwierig“, fürchtet Kagermann. Allerdings gebe es gerade in der Industrie erhebliche Möglichkeiten, in Hochlastzeiten Strom aus eigenen Pufferspeichern zu nutzen und die Puffer bei Schwachlast günstig wiederaufzuladen. Unternehmen seien dazu bereit, sobald die nötigen Investitionen in Speichertechnik ökonomisch sinnvoll sind. Glaunsinger: „Dafür brauchen wir aber die richtigen Tarifmodelle – hier ist die Politik gefragt.“
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