So kam es zu einem der schlimmsten Atomunfälle der Geschichte
26. April 1986: Im Atomkraftwerk von Tschernobyl explodiert der Reaktorblock, ein radioaktiver Fallout geht über Europa nieder. Wie konnte es zu diesem GAU kommen? Das lesen Sie hier.
Die Reaktoren von Tschernobyl sind sogenannte graphitmoderierte Siedewasser-Druckröhren-Reaktoren (RBMK), die nur in der früheren Sowjetunion zum Einsatz kamen. Die Uran-Brennelemente stehen dabei einzeln in 1700 Röhren, die von einem Graphitblock umschlossen sind. Von oben lassen sich Steuerstäbe aus einem sehr harten Material namens Borkabid einfahren, um die Kernreaktion zu kontrollieren. Am 26. April 1986, um 1.23 Uhr nachts, starteten Ingenieure mit diesen Reaktoren ein verhängnisvolles Experiment.
Die Ingenieure wollten zeigen, dass die Anlage auch bei einem Stromausfall reibungslos funktioniert. Dafür schalteten sie eine der beiden Turbinen im Reaktorblock 4 ab. Zu ihrer Überraschung fiel die Leistung daraufhin zu stark ab, sodass sie als Ausgleich Steuerstäbe aus dem Reaktorblock zogen – es waren nun nur noch acht Stäbe eingefahren, vorgeschrieben war eine Mindestzahl von 30. Eigentlich hätten die Ingenieure die Anlage jetzt abschalten müssen, doch sie fuhren mit dem Experiment fort und unterbrachen die Dampfzufuhr zur Turbine. Die Turbine lief aus, die Leistung der Kühlpumpen verringerte sich, Kettenreaktion und Hitze im Reaktor nahmen sprunghaft zu.
Zwei Explosionen sprengten Reaktordach in den Nachthimmel
Dann kam es zum GAU. Die Überhitzung löste zwei Explosionen aus, die die 3000 Tonnen schwere Abdeckplatte des Reaktors absprengten und mehrere Tonnen radioaktiven Kernbrennstoffs in den Nachthimmel schleuderten. Es wurde 400-mal mehr Radioaktivität freigesetzt als beim Atomangriff in Hiroshima. Im Reaktorblock selbst schmolz der uranhaltige Kernbrennstoff und bildete eine glühende Lava. Radioaktive Partikel wie Cäsium-137, Jod-31 und Strontium-90 gelangten die folgenden zehn Tage durch den Aufstrom heißer Luft bis zu 2000 m in die Höhe und gingen als radioaktiver Fallout über weiten Teilen Europas nieder.
350.000 Menschen verloren durch Evakuierungen ihre Heimat, laut Atombehörde IAED starben bei der Katastrophe 9000 Menschen. Greenpeace schätzt, dass noch bis zu 93.000 Todesfälle durch Krebs zu erwarten sind. Allein in der Ukraine leben bis heute etwa eine Million Menschen auf Territorium, das radioaktiv belastet ist. In Süddeutschland erreichte die Kontamination mit Cäsium-137 stellenweise bis zu 75.000 Becquerel pro Quadratmeter.
800.000 Arbeiter bauten einen Sarkophag aus Stahl und Beton
Nach den Explosionen begann ein verzweifelter Kampf um die Kontrolle des havarierten Kernkraftwerks. Hubschrauber warfen knapp drei Tonnen Lehm, Sand und Dolomit ab. Das machte das Feuer aber nur noch heißer – noch mehr Radionuklide des Kernbrennstoffs verdampften. Erst am 6. Mai war das Graphitfeuer erloschen und die Lava am Reaktorgrund erstarrte. Jetzt begannen Arbeiter, sogenannte Liquidatoren, mit dem Bau eines Sarkophags aus Stahl und Beton, um den Reaktor abzuschirmen. 800.000 Liquidatoren kamen zum Einsatz, da jeder Einzelne nur kurze Zeit bis zur Überschreitung des Dosisgrenzwerts arbeiten konnte.
Doch der Sarkophag, der auch heute noch vor der Strahlung der 150 t Kernbrennstoff schützen soll, ist alles andere als sicher. Es gibt zahlreiche Löcher und Ritzen, durch die Radioaktivität nach außen gelangt. Zudem dringen jährlich mehr als 2000 m3 Wasser in die Ruine ein.
Wie gefährlich dieser Zustand ist, zeigte ein Vorfall im Februar 2013. Damals stürzte ohne Vorwarnung ein Teil des an den Sarkophag grenzenden Maschinenhauses ein. Abhilfe schaffen soll eine neue Schutzhülle, die dreimal so schwer ist wie der Eiffelturm. Experten wollen die 1,5 Milliarden Euro teure Konstruktion Ende 2017 auf Schienen über den Reaktor schieben.
In Japan planen unterdessen Ingenieure sehr ambitioniert den Rückbau des zerstörten Kernkraftwerks Fukushima: 40 Jahre bis zur grünen Wiese sind veranschlagt. In Fukushima kam es 2011 infolge eines Tsunamis zur Reaktorkatastrophe.
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